, 3. Januar 2016
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Das Gaswerk geht in ihren Keller

«Entleeren Sie sich mal wieder!», rät Charles Pfahlbauer jr. und wünscht ein frohes Neues.

Prüfungsabbruch, Herr Pfahlbauer, erhebliche Mängel! Das Verdikt des Herrn Verkehrsexperten in der Prüfungshalle war wie erwartet scharf und endgültig. Er zog die Augenbrauen hoch und drückte mir den Zettel mit der Mängelliste, die haben jetzt so gäbige Computer, druckfrisch in die Hand, mit den angekreuzten Beanstandungen: Bremsleitung Rost hinten ersetzen, Lenkung Geräusch bei Einschlag instandstellen, Richtungsblinker Glas vorne links ersetzen, Trapez Gummilagerung rechts Spiel, Motor Öl undicht…

Klare Sache: Nein, hier werden keine Geschenke gemacht. Obwohl mir der strenge Autodoktor, dem ich zuvor ohne ernstliche Hoffnung noch den Schmus gemacht hatte, wenigstens eine Gnadenfrist zugestand: Wenn ich diese Reparaturen sofort ausführte, würde man bei den vielen Roststellen ein Auge zudrücken. Aber nur bis Ende Februar.

Last Exit Oberbüren, was kannst du dort erwarten, du weisst als Bub vom See ja schon immer: Von all unseren Landen ist das Fürstenland das schlimmste. Arme Tröpfe, die da aufwachsen und einen Ausweg finden müssen. Und jetzt wieder ein Todesurteil aus Oberbüren für ein Auto, das in Rumänien noch fünf und in Indien noch zehn Jahre fahren würde. Aber egal, es gab im Advent auch eine Frohbotschaft, und die will ich lieber erzählen.

Sie beginnt, äxgüsi, mit Dünnschiss. Oder eigentlich früher, mit einem Anschiss: Kostentreiber! Prämiensteigerer! Geldverschwender! Solche Beschimpfungen fielen in der trauten FC-Raucher-Runde, als ich den ovalbeinigen Freunden von meinem Vorhaben erzählte: Darmspiegelung, aufgepasst hier herrscht akuter Zuviel-der-Informations-Alarm; also eine Dickdarmspiegelung, oh ja, empfohlen vom Hausarzt, weil keine bösen Hämos und doch öfters mal Blut im Stuhl.

Also umgehend abgesagt, aufgrund der nicht-repräsentativen, aber mit 1:12-Stimmen glasklar verneinenden Umfrage in der Fussballraucherbeiz. Und dann Wochen später doch: aufs Neue zugesagt. Spiegelung, Spiegelung an der Kühlschrankwand.

Und ich bereue nichts, um es mit der hundertjährigen Franzfrau Piaf zu sagen. Im Gegenteil: Der Charlie würde das gern wiederholen. Erstens tut die Zwangsdiät gut. Mal so richtig entleeren, den ganzen Shit absondern, stossweise, wasserfallweise, bis nur noch hellgelbe Minifontänen in die Spülung spritzen. Das ist spätestens am Vorabend des Eingriffs der Fall, wenn auch Joghurt, Kartoffelstock, Bouillon nicht mehr drinliegen, sondern nur noch sogenannt klare Flüssigkeiten. Und vor allem dieses Klean-Prep-Pulver, literweise, die ersten drei gehen noch, Nase zu Augen zu und durch, der vierte Liter ist zugegeben eine Qual, aber in euphorisierender Erwartung des Gedärmvollservices überlebbar.

Nach einer ruhigen Leerdarmnacht und einem rumorigen Morgen der Gang zu Doktor Flutsch, der sich als weltbester Darmspiegler, pardon Gastroenterologe entpuppen sollte, erst recht mit traumhafter Assistentin. Im Wartezimmer eine fröhliche Frau, die es hinter sich hat, nichts gespürt, prima, alles bestens.

Dann geht’s schnell: Auf dem Schragen überlege ich noch, was man denn so für Musik hören könnte, etwa Beethoven wie Alex in Clockwork Orange, aber der Horror weicht schnell einer wohligen Halbnarkose. Propofol! Endlich darf ich auch mal. Der Stoff, von dem Michael Jackson zuviel nahm, wirkt Wunder. Conscious sedation, sagte der Arzt, frei übersetzt Volldröhnung bei Bewusstsein, aber bei mir endet das sofort in erotisch beflügelnden Träumen.

Gefühlte zwei Stunden, in Echtzeit sieben Minuten später bin ich blubberwach und klinke mich sofort in die operativen Gänge ein: Die sausen mit der Minikamera noch immer durch meine Innereien, die Sequenz erinnert mich an eine Mischung zwischen Yellow Submarine und Alien. Und an eine psychedelische Pilzparty im Westen von New Jersey, an deren Ende die ganze Gesellschaft auf einem Special-Interest-TV-Sender krasse Live-Operationen schaute, kommentiert von pennsylvanischen Philosophieprofessoren, die ein paar Pilze mehr intus hatten als wir andern. Das alles plaudere ich dem Herrn Flutsch und seinem Darmengel ungefragt aus, in allen Details, und habe überhaupt das Bedürfnis zu quatschen wie noch nie.

Der Darmdoc schmunzelt nur und sagt dann den grossen Satz: Ein sauberer Darm, Herr Pfahlbauer, ein schöner Darm, ein sehr schöner Darm! Ich bin baff: Ein solches Kompliment habe ich lange nicht erhalten, auch wenn Braunauge mir kürzlich ins Ohr flüsterte, sie halte es wohl doch noch ein Leben lang aus mit mir. Es wurde noch besser: Die nächsten zehn Jahre sicher kein Darmkrebs. Am liebsten hätte ich gleich etwas Propofol nachgeschossen und die Frohbotschaft dann im nahen Park allen Spaziergängern zugerufen. Aber ich fragte nur nach dem Abendessen. Was denn möglich sei. Alles! Alles? Alles, sogar Fondue.

Ich entschied mich für ein Riesencordonbleu mit Pommfritt, gespült mit Weisswein und Grappa obendrauf, hernach spielte eine laute amerikanische Gitarrenband quirlige Propofolhymnen. Euphorische Gedärme! So hiessen sie nicht. Aber so war es mir.

Wieder zuhause jedoch der Schock: Da unten ist offenbar längst nicht alles gut. Denn am Briefkasten klebte eine Warnung: «Achtung: Das Gaswerk geht in Ihren Keller.» Hoppla, jetzt muss auch der Hausdarm gespiegelt werden, explosive Sache. Frühmorgens rumpelte und furzte es gehörig aus dem Unterbau. Doch die Gasmänner waren schnell wieder weg und hielten ihr Versprechen: «Wir werden dafür sorgen, dass nach dem kleinen Eingriff Ihr Keller wieder sauber und in Ordnung verlassen wird.»

Darm gut, Keller gut, vieles am Zweifünfzehn letztlich doch gut, die Nachbarn haben jetzt auch eine Gasheizung. Und demnach die besten Neujahrswünsche an die Leserschaft: Entleeren Sie sich mal wieder!

 

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