, 28. August 2015
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Dem Unrecht in die Augen geschaut

Speak Truth to Power: In Zusammenarbeit mit der Robert F. Kennedy Foundation präsentiert die IG Halle Rapperswil 32 Fotoporträts von Menschenrechtsaktivisten von Eddie Adams sowie Bilder von Paolo Pellegrin und Luca Zanier. von Peter Röllin  

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Rana Husseini (Jordanien I Ehrenmorde). © Eddie Adams

In Lateinamerika werden obdachlose Kinder verprügelt, entführt, gefoltert, vergewaltigt, ermordet. Der 2010 verstorbene Bruce Harris war der wichtigste Fürsprecher von «Strassenkindern » in Guatemala. Fauziya Kassindja (Togo/USA) entkam selbst nur knapp dem Schicksal der Genitalverstümmelung. Sie floh in die USA. Was sie zu Protokoll gibt, sind nicht nur ihre Erlebnisse in Togo, sondern auch ihr persönlicher Kampf um Asyl im entwürdigenden System der US-amerikanischen Einwanderungsbehörde. Für Elie Wiesel, aufgewachsen in einer jüdischen Gemeinde in Transsilvanien (Rumänien), machte die erste Nacht in Auschwitz das Leben ganz zur Nacht. Sein lebenslängliches Trauma hat er in seinem Werk La Nuit (Paris 1958) niedergeschrieben.

Drei Schicksale, drei Persönlichkeiten – Fakten und Wiederholungen von Menschenrechtsverletzungen, die weltweit bekannt sind. Doch sie rücken wie die Namen der wichtigsten Menschenrechtsaktivisten unter dem Druck täglicher Informationsüberflutung meist rasch wieder in den Hintergrund. Um das Ausmass und oft auch die Permanenz von Gewalt und Verletzung zu glauben und dann dagegen aufzustehen, braucht es Geschichten, Erzählungen und Bilder – und vor allem engagierte Persönlichkeiten, die gegen Unrecht ankämpfen.

RFK steht für Menschenrechte

Dem Einsatz zum Schutz und zur Förderung von Grundrechten der Rechtsstaatlichkeit und der medialen Aufklärung von Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen hat Kerry Kennedy ihr Leben verschrieben. Sie ist Vorsitzende des Amnesty International USA Leadership Council und Präsidentin der Robert F. Kennedy Human Rights Foundation (RFK).

Das Engagement von Kerry Kennedy baut auf Schicksalserfahrungen ihrer eigenen Familie. Ihr Onkel, der amerikanische Präsident John F. Kennedy, wurde 1963 in Dallas ermordet. Ihr Vater, Robert Francis Kennedy, exponierte sich als amerikanischer Justizminister durch sein Engagement für die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung stark. Seine eigene aussichtsreiche Präsidentschaftskandidatur endete 1968 im Blutbad eines Attentats. Seither ehrt der Name Robert F. Kennedy die Human Rights Foundation.

Zehn Jahre nach der Gründung von RFK Europe in Florenz ist 2015 RFK Switzerland ins Leben gerufen worden. Dies ist der Anlass zur aktuellen Ausstellung, den Rahmenveranstaltungen sowie dem Bildungsprogramm, das der Verein IG Halle Rapperswil in Zusammenarbeit mit der RFK Switzerland organisiert.

Wahrheit gegen die Mächtigen

Kerry Kennedy, 1959 als siebtes von elf Kindern von Robert F. und Ethel Kennedy geboren, ist mit ihren Interviews, die sie in 40 Ländern auf allen Kontinenten mit 51 Menschenrechtsaktivisten führte, bekannt geworden. Für die Porträts beauftragte sie einen der meistausgezeichneten Fotografen Amerikas, den inzwischen verstorbenen Fotoreporter und Kriegsfotografen Eddie Adams.

Adams, dessen schockierende Momentaufnahme Execution of a Suspected Vietcong, Saigon viele von uns im Kopf tragen, wurde mit dem Pulitzerpreis geehrt. Ziel von Kerry Kennedy war es, die eindrücklichen Schwarz-Weiss-Porträts der Menschenrechtsaktivisten in Kombination mit deren aussergewöhnlichen und bestärkenden Lebensgeschichten darzustellen und in dieser Form der zukünftigen Gesellschaft, allen voran Jugendlichen und Schulen, greifbar und begreifbar zu machen.

Speak Truth to Power – sinngemäss: der Macht mit Wahrheit begegnen, den Mächtigen die Wahrheit sagen, ein Ausspruch mit alter Tradition in den USA – ist als Buch erstmals 2000 erschienen. Anlässlich der Gründung von RFK Switzerland und der Ausstellung in Rapperswil-Jona wird das Werk jetzt neu herausgegeben.

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Elie Wiesel (USA / Rumänien | Die Machtlosen). © Eddie Adams

Der Ausdruck der porträtierten Menschenrechtsaktivisten spricht von unbeugsamem Mut, von furchtlosem Heraustreten trotz Bedrohung des eigenen Lebens sowie von der Hoffnung, Missstände zum Guten wenden zu können. Das gilt etwa für Samuel Kofi Woods: Der Gründer und Leiter der wichtigsten Menschenrechtsorganisation in Liberia und heutige Minister für öffentlichen Bau des Landes musste zeitweilig selbst vor Bedrohung und Gewalt flüchten. Sein Ausdruck (auf dem rückseitigen Umschlag dieser Saiten-Ausgabe) lässt tiefste Betroffenheit erfahren.

Gewalt und Folter durch Regierungsbeamte

Umgekehrt erahnt man bei der Betrachtung des ruhigen Blicks von Dianna Ortiz, der Ursulinennonne aus New Mexiko, nicht, welcher Gewalt und Folter durch Regierungsbeamte Guatemalas sie 1989 ausgesetzt war: Ihr Kampf für Gerechtigkeit zwang die USA, langjährige Geheimakten über Guatemala freizugeben, wodurch einige der dunkelsten Momente in der Geschichte Guatemalas und der amerikanischen Aussenpolitik erhellt werden konnten.

Kek Galabru, die sich als Medizinerin im kambodschanischen Kriegsjahrzehnt der 1980er-Jahre vor allem für die Rechte von Frauen und Kindern einsetzte, erscheint in Adams Aufnahme mit geschlossenen Augen wie im Traum, vielmehr im Albtraum, vor der Schädelwand eines Beinhauses. Grosse Entschlossenheit spricht aus dem Doppelbildnis der beiden Frauen an der Front der pakistanischen Frauen- und Menschenrechtsbewegung, Asma Jahangir und Hina Jiliani.

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Kek Galabru (Kambodscha I Rechte der Kinder). © Eddie Adams

Umgekehrt ein Augenblick des Glücks bei Kailash Satyarthi, der Leitfigur für die Abschaffung der Kinderarbeit in Indien: Sein Strahlen im Gesicht ist gerahmt von Kinderhänden. Satyarthi hat seit 1980 die Befreiung von rund 75’000 verpfändeten und versklavten Kindern bewirkt. Gemeinsam mit Malala Yousafzai (Pakistan) wurde ihm 2014 der Friedensnobelpreis verliehen. Andere Persönlichkeiten wie den Dalai Lama, Juan Méndez, Václav Havel oder Desmond Tutu erkennen wir als bekannte Politiker und erfahren sie erneut als wichtige Fürsprecher der Demokratie.

Sensibilisierung für Schulen

Die Porträtgalerie von Eddie Adams ist vor dem Hintergrund der jeweiligen Lebensgeschichten eine Vergegenwärtigung menschlicher Gewalt und des grossen Leids ganzer Bevölkerungsgruppen. Der Kampf gegen Unterdrückung jeder Art, gegen Menschenhandel und Sexsklaverei geht weiter, ebenso der Einsatz für die Rechte der Frauen, für die Aufklärung von Gewalttaten und zahlreichen Fällen von verschwundenen Personen, aber auch für die Stärkung multinationaler Unternehmensverantwortung. Die Vermittlung des Menschenrechtsgedankens an Kinder und Jugendliche und die Sensibilisierung für diese Themen sind das zentrale Anliegen der RFK Foundation.

Sandra Hutterli, Vizepräsidentin der RFK Switzerland und selbst Mitglied der IG Halle Rapperswil, leitet das entsprechende Lehrmittel-Projekt in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für Menschenrechte der Universität Zürich und der Pädagogischen Hochschule Freiburg.

Respektvolle Dramaturgie: Paolo Pellegrin

Die Präsentation von Adams’ Porträts im 1100 Quadratmeter grossen, weitläufigen Obergeschoss des Kunst(Zeug)Hauses in Rapperswil öffnet den Raum für zwei weitere fotografische Positionen. Guido Baumgartner, Mitglied der IG Halle und Kurator der Ausstellung, führt Speak Truth to Power thematisch und in kluger, spannungsvoller Auswahl weiter. Die Werkgruppen von Paolo Pellegrin und Luca Zanier führen starke Wirklichkeiten von Kriegsschauplätzen und Orten der Macht zusammen.

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Freedom Neruda (Elfenbeinküste I Meinungsfreiheit). © Eddie Adams

Paolo Pellegrin, 1964 in Rom geboren, ist als gefragter Fotoreporter meistens in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs. Sein Interesse galt von Beginn an den Benachteiligten und Verletzten der Gesellschaft, wie Immigranten, Obdachlosen, Kindern in Bosnien nach dem Krieg oder den Roma. 1995 gewann er seinen ersten World Press Photo Award für seine Arbeit über AIDS in Uganda.

Seit 2005 ist Pellegrin Vollmitglied bei Magnum Photos. Die 37 in Rapperswil ausgestellten Werke unter dem Titel As I was Dying berühren das Elend in verschiedenen Kriegsgebieten: Gaza, Westbank, Libanon, Bagdad, Afghanistan und vor allem in Kairo. Pellegrins Bilder erinnern in ihrer Fokussierung sowie raschen und unzimperlichen Erfassung an die Dramatik von Szenen in Rodins Höllentor.

Räume der Macht: Luca Zanier

Wo finden sich die Orte der Macht, die Schaltzentralen, in denen politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entscheidungsträger die Weichen weltbewegender Entwicklungen und Auseinandersetzungen stellen oder ihr Wissen beziehen? Ihnen gilt seit 2008 das Interesse des 1966 geborenen Zürcher Fotografen Luca Zanier.

Als leere Räume fotografiert, offenbaren Machtzentren auf der ganzen Welt eine kühle, geometrische Ästhetik, wie unter anderem jene des Uno- Sicherheitsrats und der Uno-Vollversammlung (New York), der Arbeitergewerkschaft CGT (Paris), des Council of Europe (Brüssel und Strassburg) oder auch die ballbestimmenden Weltzentren der Fifa (Zürich) und der Uefa (Nyon).

Dazu zählen neben Sesselräumen auch Bibliotheken, wie beispielsweise die Bibliothek der Rechtswissenschaft (Zürich) oder die Bibliothèque Nationale (Paris), die die Macht von Wissen verkörpern, oder Übersetzungskabinen, die hier für die subtile Einflussnahme über Sprache stehen. Zaniers Corridors of Power beleben in unseren Köpfen das Koordinatensystem und die Verortung weltumspannender Machtzentralen.

 

Speak Truth to Power – Eddie Adams, Paolo Pellegrin, Luca Zanier: 30. August bis 8. November, IG Halle im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil

Vernissage: Sonntag, 30. August, 11:30 Uhr, in Anwesenheit von Kerry Kennedy und Christoph A. Karlo, Präsident der Robert F. Kennedy Foundation.

Rahmenprogramm zu Menschenrechtsfragen und der Bedeutung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die Schweiz: ighalle.ch

 

Titelbild: Zivilisten graben in Trümmern nach Überlebenden, unmittelbar nach einem israelischen Luftangriff, der verschiedene Gebäude in Beirut, Libanon zerstört hat, 2006. © Paolo Pellegrin / Magnum Photos

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