, 30. August 2013
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Der Kampf um Land

Im Hinterland von Mombasa vertreibt die Regierung Bauern von ihrem Land, um Platz für Multis zu schaffen, die hier Zuckerrohr pflanzen und Mineralien abbauen. Wie Gespräche im Sommer 2011 zeigen, regt sich Widerstand. Mit steigenden Erfolgschancen. Eine Reportage aus Kenia.

Es ist ein mässig heisser Juli 2011. Der UNO-Flüchtlingskommissar Antonio Guterra kehrt schockiert von einem Besuch des Flüchtlingslagers Dadaab in Kenia zurück. Er hat eine Somalierin getroffen, die auf der Flucht vor dem Hunger drei ihrer Kinder verloren hat. Sie ist eine von vielen. 10’000 Flüchtlinge kommen monatlich nach Kenia, seit einer Weile schon. Und an Kenia hat die Dürre selbst genagt, drei Millionen Menschen sind auch hier akut vom Hunger bedroht. Was am Horn von Afrika gerade passiert, nennt Antonio Guterra «die schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt».

Fünfhundert Kilometer südlich der Katastrophe jagen sich vollbesetzte Matatus hupend durch Mombasas Strassen. «Nakumatt», «Nakumatt», schreit der Fahrgastbegleiter mit Surf-Shirt und Low-Hip-Jeans, schiebt die Bustür auf, klopft aufs Blech, klimpert mit den Münzen, raunt ein «Do you need company tonight?» an ein, zwei weibliche Hälse – macht sich nichts aus dem «No» und lacht. Klopft aufs Blech. Weiter gehts.

Im klimatisierten Nakumatt-Supermarkt biegen sich die Regale, im dazugehörigen Bistro gibt es Sachertorte und Cosmopolitans, und sonntags lassen benachbarte Fastfood-Ketten die Kleidernähte ihrer Gäste krachen. Aber das Bild trügt. Von Hunger und Dürre spürt hier nur nichts, wer ein gut gefülltes Portemonnaie hat. Die Küstenregion ist auf der internationalen Skala für Nahrungssicherheit zurzeit orange eingefärbt. Das ist noch keine Katastrophe (dunkelrot) und noch kein Notfall (rot), aber eine Krise. Im Hinterland von Mombasa, eine Fähr- und eine Matatureise von den Hotelpalästen, Fastfood-Ketten und Nakumatt-Komplexen entfernt, kämpfen Bauern für ihr Land. Wo sie noch vor kurzem Mangos und Kokosnüsse für ihre Familien und den Verkauf auf dem Wochenmarkt ernten konnten, wächst heute Zuckerrohr von Kiscol oder werden Strassen für die Lastwagen von Base Titanium gebaut.

Zuerst brannten die Pässe

Hussein durchwatet mit angehobenem Kaftan den kniehoch wasserführenden Fluss Ramisi, Asha kommt über die sich im Westen erstreckenden brachliegenden Felder, und vom Süden herauf schiebt Suleiman sein schwarzes, schweres Fahrrad. Sie sind nur drei von fast hundert Leuten, die sich täglich um vier Uhr beim grossen Baum treffen. Am Boden sitzen die Frauen, auf gefällten Baumstämmen stehen die Männer. Sie sind die ehemaligen Bewohner des Dorfes Vidziyani, das hier bis 2007 gestanden hat.

«Hier war es voll von Leuten, während dem ersten Präsidenten. Wir waren auch während dem zweiten Präsidenten hier. Erst beim dritten Präsidenten passierte das alles» sagt Hussein. Suleiman nimmt als Spokesman den Faden auf und erzählt die Geschichte ihrer Vertreibung: «Über Jahrzehnte hatten wir hier unsere Häuser und Felder, doch dann ist die Polizei mit Gewehren und Tränengas gekommen, ohne Diskussion, ohne Anhörung. Das Land wurde an den Zuckerrohr-Produzenten Kiscol verkauft und wir mussten verschwinden. Als wir blieben, ist die Polizei wieder gekommen. Immer wieder. Nachts haben sie die Saat abgeschnitten, Bäume gefällt, die Brunnen zugeschüttet. Und dann haben sie uns eines Nachts aus unseren Betten gezerrt, zuerst unsere Pässe verbrannt und dann unsere Häuser. Wir wurden aus unserem Land vertrieben, ohne Kompensationszahlungen zu erhalten, nicht einmal Zelte oder Nahrung wurden uns gegeben.»

Suleiman kämpft

Die Wut bleibt

Hussein, Asha und Suleiman sind Digos, eine Volksgruppe, die mit acht anderen zusammen die Mijikenda bilden und schon seit Jahrhunderten in der Küstenregion leben. Die Geschichte ihrer Vertreibungen begann in der Kolonialzeit und hat bis heute, Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit, noch kein Ende gefunden.

Bis zur Ankunft der Briten 1895 war das Land in Gemeinschaftsbesitz. Die Kolonialherren aber führtenden Land Title Act ein, der den indigenen Gemeinschaften das Recht auf Landbesitz absprach. Unter dem ersten Präsidenten der Republik Kenia, Jomo Kenyatta, änderte sich das nicht. Er gab den Landbesitz in die Hände einer kleinen Gruppe von Kikuyus, seinem Tribe. Auch das Küstenland. Asha funkelt: «Das hier ist unser Mutterland, schon immer hat es die Digo-Gemeinschaft besessen. Hier liegen unsere Ahnen begraben und hier beerdigen wir unsere Leute auch heute.»

Die Wut ist auch nach den Unruhen von 2007, als nach der Wiederwahl des Präsidenten Mwai Kibaki über 1500 Personen getötet wurden und 600’000 vor der Gewalt flohen, noch da. Das spürt man nicht nur, das ist ausgesprochen. Hussein zeigt seine braunen Zahnstummel: «Wir müssen unabhängig werden! Die Kenianer vom Hochland kommen und verkaufen unser Land an Firmen, die aus dem Nichts kommen, und werden damit reich.» Auf die Wahlen 2013 hin prophezeit Hussein einen Strom von Blut. «Wir sind bereit, für unser Land zu sterben.» Sein Freund neben ihm nickt. Dann raunt er «Can you organise some guns?» – macht sich nichts aus einem «No», lacht und geht Richtung Fluss davon.

Die verschlungenen Pfade des Besitzes

So einfach, wie Hussein sagt, ist die Geschichte mit der Zuckerrohr-Firma, die aus dem Nichts gekommen sei, nicht. Ende der 1920er Jahre baute die indische Madhvani Group International die Ramisi-Zuckerfabrik auf, die sie 1988 aufgab und sich nach Uganda zurückzog. Sie hinterliess 18’000 Hektaren Land und 66 Millionen Schillinge Schulden bei der Bank of India. Die 18’000 Hektaren verblieben der Bank als Sicherheit. Das war die Zeit, als viele umgesiedelte Digos wieder zurück in ihr Land zogen, Häuser bauten und Nahrungsmittel anpflanzten. Bis 2006 ging das gut. Dann meldete sich die kenianische Regierung mit dem Plan, die Zuckerproduktion wieder anzukurbeln, und zahlte die Schulden der Madhvani Group. Nun sind die 18’000 Hektaren Land im Besitz des kenianischen Staates. 6000 davon verkaufte er an die Kwale International Sugar Company Limited – an Kiscol – und liess die Menschen, die darauf siedelten, vertreiben. Vidziyani ist ein Dorf von sechzehn weiteren.

Sumpfland als Kompensation

Weiter im Landesinneren des Distrikts Kwale, wo die Wälder dicht stehen und die Wege sich von roten Strassen zu schmalen Sandpfaden verengen, hatte Martin Muya nicht sehr viel mehr Glück. Sein Gemeinschaftsland wurde an die kanadische Firma Tiomin verkauft. Das Dorf erhielt von der Regierung Ersatzland zugewiesen, sagt er und schimpft dann: «Dieses Land war sumpfig. Es stand zu fünfzig Prozent unter Wasser. Als ich das gesehen habe, weigerte ich mich, dorthin zu ziehen. Ich bin ein Mensch, kein Tier. Man soll mich auch so behandeln!» Er hat sich selber auf die Suche nach Land gemacht und sich 2008 in der Nähe seiner Mutter niedergelassen, ein Teil der Dorfgemeinschaft ist ihm hierher gefolgt.

Im Schatten eines Baumes vor seinem Haus zählt er Umsiedlungsprobleme auf, die über fehlende Nahrung und Zelte hinausreichen: «In unserem Dorf hatten wir eine soziale Organisation, die fehlt am neuen Ort. Wer ins Spital muss, hat hier keine Gemeinschaft mehr, die ihm hilft. Bauern haben kaum mehr ein Auskommen, weil die Mangobäume und Kokosnusspalmen Jahre brauchen, bis sie gewachsen sind. Und Tischler und Schneider, die im Heimatdorf vielbeschäftigt waren, kennt am neuen Ort niemand mehr.» Martins rotgeränderte Augen wirken müde. Aber das täuscht. Er kämpft. Er fordert seit drei Jahren angemessene Kompensationszahlungen. «Bis heute habe ich kein Geld dafür bekommen. Ich bin in das Büro von Tiomin gegangen und wurde nicht empfangen, ich habe ihnen einen Brief geschrieben und keine Antwort erhalten. Als ich im Juni wieder dort war, hatte die Firma einen neuen Namen … Bloss: die Leute sind noch dieselben.»

Dreizehn Milliarden Steuern

Das Kwale-Projekt der kanadische Firma Tiomin ist durch die Hände der chinesischen Jinchuan-Gruppe und der kanadischen Vaaldiam gegangen, ehe es die australische Base Titanium Limited übernommen hat. Diese hat nun verlauten lassen, dass sie im Zeitplan liege und im dritten Quartal 2013 mit dem Abbau des Mineralsandes beginnen könne. Ende 2013 sollen die ersten Schiffe den Hafen von Mombasa verlassen. Gefüllt mit Ilmenit, Rutil und Zirkon. Das sind metallene Minerale, die zur Weissfärbung von Pillen und Zahnpasta, als Pigmente in Ölfarben (Ilmenit und Rutil) oder zum Aufbau von Zahnimplantaten (Zirkon) verwendet werden. Base Titanium rechnet mit einer jährlichen Ausbeute von 330’000 Tonnen Ilmenit, 80’000 Tonnen Rutil und 30’000 Tonnen Zirkon und verspricht dem kenianischen Staat dreizehn Milliarden Dollar Steuereinnahmen.

Base Titanium_Kenia

Im Unwissen gehalten

In Vumbu, einem von dichtem Wald verschluckten Dorf, einige Kilometer Sandpiste von der nächsten Strasse entfernt, dachten die Bewohner eigentlich, dass sie das Land, auf dem sie leben, gekauft hätten. Als sie in den Sechzigerjahren hierher zogen, zahlten sie den bereits Ansässigen hundertfünfzig Schilling (1.50 Franken), die ihnen dafür zeigten, wo sie ihre Pflanzen ansäen konnten. Ein symbolischer Kauf, aber gültig für die beteiligten Gemeinschaften. Sie wussten damals nicht, dass das Land eigentlich der Zuckerfabrik Ramisi gehörte. Heute besitzt Kiscol die südliche Hälfte von Vumbu, Tiomin (resp. Base Titanium) die nördliche.

Mwambi Mwasaru, Vorstandsmitglied des Coast Rights Forum und der kenianischen Menschenrechtskommission, verfolgt seit Jahren die Entwicklungen der Landverkäufe in der Küstenregion Kenias. Er weiss, dass viele indigenen Gemeinschaften nie über ihre Rechte aufgeklärt wurden. Und er hat auch das Land gesehen, welches die Regierung für die Tiomin-Umsiedlungen im Kwale-Distrikt vorgesehen hatte. «Vorher hatten die Bauern gutes Land, bekommen haben sie zwei Hektaren sumpfiges. Egal ob jemand vorher zehn oder acht Hektaren bebaut hat: Eine Farm bekam zwei. An einem Ort, wo man gar nichts anpflanzen kann.» Den Grund, warum Bauern dennoch ein willigen, ihr Land zu schlechten Bedingungen zu verlassen, sieht er in ihrer Wahllosigkeit. «Wenn du arm bist, kannst du den Rechtsstaat gar nicht nutzen und dir keinen Anwalt leisten. Die Armen denken nicht einmal daran, vor Gericht zu gehen. In ihrer Realität existiert das gar nicht.»

Unter dem grossen Baum in Vidziyani, bei Hussein, Asha und Suleiman, wird deutlich, wie schwer es ist, selbst eine Reise mit einem Matatu zu bezahlen. Um einzelnen Dorfmitgliedern eine Matatu-Fahrt zu ermöglichen, wird ein Hut herumgereicht, wer etwas übrig hat, wirft ein paar kenianische Schillinge hinein.

«Wir wurden stark gemacht»

Mwambi Mwasaru sieht aber auch positive Entwicklungen. Zuerst war die Angstmache die Strategie der Regierung, um die Leute zu vertreiben, aber heute lassen sich die Gemeinschaften nicht mehr so leicht einschüchtern.»

Wie das Dorf Nyumba Sita. Auch sein Land wurde von Kiscol gekauft. Rama erinnert sich noch gut, als er vom Area-Chief ins Büro gerufen wurde. «Er hat mir gesagt, ein Fremder brauche das Land, wir sollen weggehen. Aber unser Dorf hat nicht eingewilligt und die Kompensationszahlung abgelehnt.» Dann kam die Polizei, und die Geschichte von Vidziyani wiederholte sich. Doch Rama brachte den Fall von Nyumba Sita vor Gericht: «Wir kämpfen für unser Land, unsere verlorene Ernte, für das Essen, die Tiere und unsere Kleider.»

Es ist ein Kampf von David gegen zwei Goliaths. Die Vertriebenen, ohne Elektrizität, Strassen und kommen auf der einen Seite, die multinationalen Firmen im Schulterschluss mit der kenianischen Regierung auf der anderen. Die Menschenrechtsorganisationen versuchen die Leute stark zu machen, sie über ihre Rechte aufzuklären. Denn obwohl es eine neue Verfassung gibt, kämpfen muss man weiterhin. Mwambi Mwasaru sagt es anschaulich: «Der politische Wille hat sich in Kenia noch nicht wirklich geändert. 2010 haben wir die neue Verfassung gefeiert – wir waren so glücklich – wir feierten bis in alle Nächte und schlafen jetzt unseren Rausch aus. Aber die Elite, die Businessclique, die Politiker, die sind schon lange wieder wach und machen ihre Deals.» Das war 2011. Seit da wurde an den neuen Gesetzen gefeilt. Es gibt eine National Land Commission, eine National Land Policy und ein National Land Act. Nebst privatem und staatlichem Land wird dort auch Gemeinschaftsland gesetzlich anerkannt und geregelt. Trotzdem stieg die Nervosität bei den Kenianern und den westlichen Medien, als das Wahljahr 2013 näher rückte. In der Küstenregion, wo die Landfrage eine grosse Rolle spielt, mobilisierte die Separatistenbewegung «Mombasa Republican Council» mit dem Slogan «Pwani Si Kenya» – die Küste ist nicht Kenia. Kikuyus, die in Mombasa lebten, fürchteten um ihr Leben.

August 2013

Zur Wahl stellten sich Raila Odinga und Uhuru Kenyatta. Odinga, der 2007 gegen Mwai Kibaki verlor, führte in seinem Wahlkampf immer wieder an, dass Uhuru Kenyatta einer der grössten Landbesitzer Kenias ist und deswegen nie die nötigen Landreformen durchführen werde. Uhuru Kenyatta, ein Sohn des ersten Präsidenten Jomo Kenyatta, am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Anstiftung zu Mord, Vertreibung und Raub nach den Wahlen 2007 angeklagt, versprach im Wahlkampf, unbedeutendes und brachliegendes Land in produktives Ackerland zu verwandeln. Die Küstenregion stimmte bereits 2007 mit 59 Prozent für Odinga. Auch 2013 erhielt er hier eine Mehrheit der Stimmen. Die Wahlen gewonnen hat Uhuru Kenyatta.

Im Land blieb es ruhig. Ein gutes Zeichen. Die neue Verfassung und die Reformen haben in der kenianischen Bevölkerung offenbar Vertrauen wecken können. Dazu tragen auch Meldungen bei, wie sie die kenianische Zeitung «The Star» am 5. August 2013 vermeldete: «No mining in Kwale». Der Produktionsstart der Rohstoff-Firma Cortec wird aufgeschoben, bis die Bewohner akzeptable Kompensationszahlungen erhalten.

Richtung Vumbu_Kenia

Andrea Kessler, 1980, Saiten-Redaktorin, war im Sommer 2011 in Kenia und konnte in der Küstenregion mit Betroffenen der Vertreibungen reden.

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