, 20. März 2017
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Die «alte Dame» wird verjüngt

Das Theater St.Gallen muss renoviert werden. Es ist mit 50 Jahren technisch und räumlich an seine Grenzen gekommen. Regierungsrat und Bauchef Marc Mächler, auf den Tag zwei Jahre jünger als das Theater, stellte heute das 47,6 Millionen-Vorhaben vor.

Visualisierung der Theaterfassade nach der Renovation. (Bild: Hochbauamt)

«Grosser Handlungsbedarf», «dringende Sanierung», «unzumutbare Platzverhältnisse»: Was an der Medienkonferenz am Montagmorgen im Theaterfoyer mit starken Worten benannt wurde, bestätigte sich beim anschliessenden Blick hinter die Kulissen unter Führung von Bühnenmeister Georges Hanimann.

Die Garderoben: engste Verhältnisse. Die Duschen: zu schmal selbst für schmale Tenöre. Die Waschküche für sämtliche Kostüme: ein Minikämmerlein, kaum ausreichend für einen Einpersonenhaushalt. Die Werkstätten: zusammengedrängt. Der Ballettsaal: zu niedrig für hohe Sprünge. Die Winden für die Bühnenbauten: Handbetrieb mit Kurbeln. Die Bodenheizung (Bild): defekt.

Den drastischen Ernstfall hat das Theater letzten Donnerstag bei einer Galavorstellung von Tanz der Vampire erlebt: Die Steuerung für eines der Bühnenpodien gab den Geist auf und musste manuell neu in Betrieb gesetzt werden. Es blieb zum Glück bei einem kurzen Unterbruch – andernfalls hätte das Publikum nach Hause geschickt werden müssen, sagt Theaterdirektor Werner Signer.

Energetisch und arbeitsrechtlich illegal

Regierungsrat Marc Mächler, Vorsteher des Baudepartements, spricht von der «alten Dame» Theater, die jetzt dringend verjüngt werden müsse. Das im März 1968 eröffnete Gebäude von Claude Paillard, eine der europaweit bedeutendsten Architekturikonen im Stil des «beton brut», wie Kantonsbaumeister Werner Binotto hervorhebt, ist in mehrfacher Hinsicht nicht mehr gesetzeskonform. Die riesigen Fensterflächen im Foyer müssen energetisch saniert und asbestbefreit werden. Die Sichtbetonfassade weist Risse auf, die Türen sind undicht, die Heizungsrohre rosten (Bild unten), die Lüftung ist höchstens noch ein Fall für den Denkmalschutz.

Arbeitsrechtlich taugt das alte Gebäude ebenfalls nicht mehr. Die technischen Räume wurden beim Bau ausschliesslich für Männer konzipiert, geschlechtergetrennte Toiletten und andere sanitäre Anlagen fehlen ebenso wie genügend Licht und Platz. Garderoben und Maske sind dem stark gewachsenen Betrieb nicht mehr gewachsen. Dass einzig der Malsaal eine ausreichende Grösse hat, liegt gemäss Werner Signer an der zur Entstehungszeit des Theaters üblichen Praxis, mit gemalten Prospekten statt wie heute mit räumlichen Elementen zu inszenieren.

Schliesslich ist auch die Bestuhlung in die Jahre gekommen und das vertraute Violett nicht mehr zeitgemäss. Diesen Teil der Erneuerung, ebenso die Verbesserung der Akustik, werde das Publikum am ehesten bemerken; die weitaus grösste Teil der Arbeiten passiere aber hinter den Kulissen, sagt Bauchef Mächler – was die Aufgabe, das Bauprojekt der Öffentlichkeit plausibel zu machen, etwas erschwere.

Ein Provisorium am Stadtpark-Rand

Insgesamt gewinnt das Theater durch geschickte, kaum merkliche Erweiterungen des bestehenden, charakteristischen sechseckigen Grundrisses rund 750 Quadratmeter Fläche hinzu (auf dem Plan unten rot die erneuerten Partien). Leicht zurückgebaut wird dagegen die Betonüberdachung des Vorplatzes; der Platzcharakter zwischen Tonhalle, Museum und Theater komme so wieder besser zur Geltung, sagt Kantonsbaumeister Binotto.

Der Umbau kann nicht bei laufendem Betrieb realisiert werden; die Option sei zwar geprüft, aber als unlösbar verworfen worden. Das Theater erhält daher für zwei Jahre ein Provisorium, einen Bau für 500 statt der im Theater bestehenden 700 Sitzplätze. Er soll zwischen Kunst- und Historischem Museum plaziert werden. Naturschutzkreise haben bereits Protest angemeldet; Binotto betonte jedoch, dass der Bau mit grosser Rücksicht plaziert werde, so dass ein einziger, jüngerer Baum weichen müsse. Andrerseits könnte mit der «natürlichen» Kulisse der tempelartigen Museumsfassade für die zwei Jahre eine spannende Foyersituation entstehen.

Der Betrieb werde trotz des Provisoriums Einschränkungen erfahren, sagt Werner Signer – andrerseits ermögliche es aber auch Ausweitungen an andere Spielstätten und in den Stadtraum. Das Theater werde so für das Publikum auch inhaltlich neu erlebbar. Betroffen sind die Spielzeiten 2019/20 und 2020/21.

47,6 Millionen im Finanzplan

Die Gesamtkosten betragen 47,6 Millionen Franken. Der Löwenanteil betrifft das Gebäude und die Betriebseinrichtungen, das Provisorium wird mit 4,5 Millionen Franken budgetiert. Weil vier Fünftel des Betrags oder 38,1 Millionen Franken als werterhaltende Kosten gelten, kommt das Geschäft nicht automatisch vors Volk, sondern untersteht dem fakultativen Referendum. Der Kantonsrat soll es in der Juni- und in der Septembersession beraten.

Es sei eine Bau- und keine Kulturvorlage, sagt Mächler, für den der Theaterumbau ein erster grosser politischer «Brocken» als Bauchef sein wird. Er rechne allenfalls mit Widerstand gegen die Kosten des Provisoriums, sei aber zuversichtlich, dass die Notwendigkeit der Renovation unbestritten bleibe.

2 Kommentare zu Die «alte Dame» wird verjüngt

  • Marcel Baur sagt:

    Hätte da noch einen Vorschlag fürs Provisorium.
    Warum nicht die St. Leonhardskirche? Musicals gab es dort ja schon und günstiger dürfte es (vermutlich) auch sein.

  • Susanne Hoare sagt:

    Auch ich hätte einen: Warum nicht auf dem Spelteriniplatz? die räumliche Nähe ist gegeben. Warum gopfridschtutz grünen Freiraum umpflügen, wenn in der Nähe Asphalt auf Verschönerung wartet?

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