, 19. September 2014
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«Die ewige Diskussion: Komödie oder Tragödie»

Vor 50 Jahren ging die Kellerbühne auf – ein Gespräch mit dem Leiter Matthias Peter über den Spagat zwischen Humor und Ernst. Nächsten Montag und Dienstag wird sein Jubiläumsbuch präsentiert.

1964 war alternative Kultur in St.Gallen noch ein Fremdwort. Wie kam es zur Gründung der Kellerbühne?

Am Anfang standen die Kabaretts: das Cornichon, das Fédéral, in St.Gallen das Sowieso. Sie traten in Wirtshaussälen auf. In den 50er-Jahren folgte daraus eine eigentliche Kellertheater-Bewegung quer durch die Schweiz. Die Kellerbühne gehört mit Gründungsjahr 1964 zu dieser Geschichte. Die Initiative ging hier vom Kabarett Schnodergoofe aus, dem späteren Sälewie. «Kennen Sie einen Keller, aus dem wir ein kleines Theäterchen basteln könnten?», hiess es in einem Aufruf. An der St.Georgenstrasse wurden sie dann fündig.

Was Kabarett betrifft, ist die Kellerbühne auch nach 50 Jahren in St.Gallen noch fast allein. Sonst aber hat sich die Zahl von Räumen ungeheuer erweitert, mit Grabenhalle, Palace, Kugl, Theater 111, Kultbau, Tivoli, Parfin de siècle etc. Ein Glück oder eine Gefahr?

Wir haben beschränkte Kapazität, trotz inzwischen 166 Vorstellungen im Jahr muss ich sehr viele Absagen erteilen. Schon deshalb ist das ein Glück. Wer kreativ ist, will eine Bühne. Neue Spielorte sind ein Auffangbecken für die Vielzahl an Produktionen. Es entsteht Neues, auch Dinge, die weniger an einen «etablierten» Ort mit seinen Qualitätsansprüchen passen, wie es die Kellerbühne ist.

Stichwort «Theäterchen»: In der Geschichte der Kellerbühne taucht wiederholt der Vorwurf auf, das Programm sei zu wenig bissig, und man habe die aktuellen Kleintheater-Entwicklungen verschlafen. Hat sich das geändert?

Es gab unterschiedliche Phasen. In den ersten Jahren machte Norbert Bischof mutige Dinge, er holte Alfred Rasser oder den jungen Franz Hohler, zeigte aktuelles Schauspiel. Fred Kurer pflegte als Leiter danach Kabarettisten wie Kaspar Fischer, Georg Kreisler, Hanns Dieter Hüsch, Franz Josef Bogner. Unter Renward Wyss kam es 1974 zur Kehrtwende, er sah die Kellerbühne als Forum für Laientheater. Auch wenn Bruno Broder, Liana Ruckstuhl, Kurt Schwarz wieder andere Akzente setzten, blieb die Kellerbühne bis Ende der 90er-Jahre stark vom Amateurtheater geprägt. Seit 2004 jedoch hat sie sich inhaltlich und auch baulich grundsätzlich erneuert. Sie gehört heute zu den wichtigen Kleintheatern der Schweiz, spiegelt in erster Linie die aktuelle Kleinkunst, bietet daneben aber immer noch dem Cabaret Sälewie und der St.Galler Bühne Gastrecht.

Gibt es auch ein politisches Anliegen?

Die Kellerbühne hat sich seit jeher politisch neutral verhalten. In einem alten Sitzungsprotokoll habe ich den Satz gefunden: «Es ist niemandem erlaubt, sich in der Kellerbühne politisch zu betätigen.» Eine einseitige politische Linie zu verfolgen, wäre auch nicht mein Ding und fände kaum Rückhalt bei den Mitgliedern. Mir geht es in umfassenderem Sinn um den Menschen. Wie gehen wir mit der Welt und den Mitmenschen um? Solche gesellschaftskritischen Fragen interessieren mich, überparteilich.

Fast gleichzeitig wie die Kellerbühne wurde 1965 das Africana an der Goliathgasse eröffnet. Das «Aff» war Rebellion, die Kellerbühne bürgerlich – die Fronten waren damals noch klar. Und heute?

Ganz klar waren die Fronten nicht. 19 Jahre lang, bis zur Eröffnung der Grabenhalle, war die Kellerbühne im Bereich der Kleinkunst praktisch allein auf dem Platz, da trat auch ein Popautor wie Urban Gwerder oder der Hippie Urs Graf auf, es gab Jazz, Unterschiedlichstes war möglich, auch eine gehörige Portion Rebellion. Trotzdem haftet der Kellerbühne bis heute ein bürgerlicher Touch an. Gut, unsere Vorstellungen fangen um 20 Uhr an… vielleicht ist das bürgerlich. Ich glaube aber, dass sich solche Fronten auflösen, gerade bei den Jüngeren. Die Kellerbühne hat ein durchmischtes Publikum, auch altersmässig. Und bei der Arbeit für das Jubiläumsbuch habe ich gestaunt, was da alles im Keller über die Jahre Platz hatte. Vielleicht macht das manchen Lust, zu sagen: Da gehe ich auch mal hin.

Viele gehen in die Kellerbühne, um sich zu entspannen und zu amüsieren.

Es ist die ewige Diskussion: Spielen wir Komödie oder Tragödie? Wer lässt sich auf was ein? Und wer hat den Kopf frei in einer Gesellschaft, die ihre Leute immer mehr ausbeutet und ihnen kaum Freiraum lässt, sich mit «schweren» Stoffen zu beschäftigen? Da den Ausgleich zu finden, ist nicht einfach. Grundsätzlich kann auch übers Lachen Erkenntnis transportiert werden. Das verbreitete Urteil, die Kellerbühne spiele nur lustiges Zeug, stimmt trotzdem nicht. Wir haben eine Schiene für anspruchsvolles literarisches Theater. Für diese stehe ich ganz klar ein.

Das Publikum kommt auch ins Sprechtheater?
Immer mehr. Wir haben mit etwa dreissig Besuchern angefangen, jetzt sind es um die siebzig. Und insgesamt war 2013/14 ein Rekordjahr mit einer Gesamtauslastung von siebzig Prozent. Offensichtlich stimmt die Mischung. Die Kellerbühne kann nicht nur auf eine einzige Klientel zählen. Deshalb mache ich bewusst ein Wellen-Programm. Hutzenlaub & Stäubli zum Auftakt, dann ein Theaterstück von Julian Barnes – und daneben sollen auch olma- oder fasnachtstaugliche Produktionen Platz haben. Wenn ich anfange auszuschliessen, kommt es nicht gut.

Matthias Peter, 1961, ist seit 2004 Leiter der Kellerbühne St.Gallen. Im Appenzeller Verlag erscheint zum Jubiläum sein Buch Applaus und Zugaben. Buchvernissage ist am 22./23. September in der Kellerbühne. Informationen zum Spielplan hier.

Bild: Tine Edel. Der Beitrag erschien im Septemberheft von Saiten.

1 Kommentar zu «Die ewige Diskussion: Komödie oder Tragödie»

  • Bärni Schaller sagt:

    Tschou zäme,
    habe beim Aufräumen eine EP von Urs Graf von 1968 gefunden – und konnte das Hippyliedli tatsächlich noch fehlerfrei mitsingen!
    O tempora o mores … Frage: Weiss jemand, was aus dem Hippie geworden ist? Der einzige Link im WWW verweist auf ein Interview mit Peter Surber von der Kellerbühne aus dem Jahr 2014. Herzlichen Dank für Hinweise. BS

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