, 5. Mai 2015
6 Kommentare

Eine Bibliothekskritik

Die Bibliothek Hauptpost in St.Gallen ist seit zwei Monaten in Betrieb. Und findet viel Zuspruch. Doch es gibt auch Mängel. Ein Diskussionsbeitrag von Ralph Hug, Mitinitiant der St.Galler Bibliotheksinitiative.

Zweifellos ist die neue Bibliothek Hauptpost eine Attraktion. Das Publikum kommt, die Ausleihzahlen steigen. Die Hauptpost ist ein Provisorium mit viel Potenzial. Nun gilt es, dieses auszuschöpfen. Und ein paar Fehler zu beseitigen. Fangen wir vorne an, beim Eingang.

Das Hinweistäfeli an der Fassade wäre gut für eine Quartierbibliothek. Aber nicht für die wichtigste Bibliothek der Ostschweiz. Es fehlt ein repräsentatives Schild, das sagt: Hier geht’s lang zu einer zentralen Institution unserer Gesellschaft. Der Einwand, die Installation mit den goldenen Büchern über dem Eingang zeige dies schon an, geht leider fehl. Die hängenden Bücher mögen originell sein, sie ersetzen aber keine Benutzerführung. Oder neudeutsch: Die Signaletik fehlt.

Sie fehlt auch vor dem Lift, im Treppenhaus und im Eingang im 1. Stock. Die Anschrift «Nordhalle» oder «Südhalle» sagt leider wenig. Man will in die Bibliothek, nicht in die Nordhalle. Auch steht einsam eine Rückgabebox im Posteingang. Zufall, wer sie findet. Niemand darf sich wundern, wenn sie leer bleibt.

Wo sind die Neuen?

Eine Bibliothek soll zum Lesen anregen. Es interessiert, was neu ist. Weshalb werden die Neuerscheinungen nicht grosszügig ausgelegt und vielleicht sogar beworben? Stattdessen muss man sie sich in den Regalen zusammensuchen. Dafür nimmt das grosse Bücherrad viel Raum ein. Es sieht zwar schön aus, nützt aber nicht viel. Vorschlag: Weg mit dem Rad, dafür eine grosszügige Auslage für die Neupublikationen. Die auf einen Blick zeigt, was alles angeschafft wurde.

Apropos Signaletik: Die Orientierung in der Freihandaufstellung lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Zwar kündet ein Plakat von den Standorten der Wissensgebiete. Aber wo sich zum Beispiel der Bereich Psychologie befindet, erschliesst sich nicht auf den ersten Blick. Man muss Slalom laufen. Und das kann schon mal mühsam werden. Freihand ist nicht Freiland.

Ein Blick in die Regale zeigt: Das Bücherangebot fällt teils enttäuschend schmal aus. Warum sind die Gestelle oft nur zur Hälfte oder gar noch weniger gefüllt? Was nicht in der Hauptpost ist, muss per Kurier aus dem Magazin im Museumsquartier bestellt werden. Das sind Hindernisse. Die Kantonsbibliothek kann ruhig noch einen Zügelwagen bestellen. Es hat viel mehr Platz in der Hauptpost.

Heilige Sangallensia im Elfenbeinturm

Das Turmzimmer kommt als Heiligtum daher. Und die Sangallensia, die dort ausgelegt sind, als quasi-sakrales Schrifttum. Nur benützt dies kaum jemand. Warum also lagern im schönsten Raum der Bibliothek die Werke mit der geringsten Nachfrage? Und wieso muss ich die Leiter nehmen, wenn ich zu Stefan Kellers Grüningers Fall greifen will, während sich die Mitteilungen zur Vaterländischen Geschichte, ein Fall nur für Fachhistoriker, auf Nasenhöhe befinden? Solche Schrägheiten zeugen nicht gerade von Publikumsbezug. Sondern eher von bibliothekarischem Elfenbeinturm.

Wer die Fachzeitschriften sucht, sucht vergeblich. Die sind nämlich in allen Regalen verstreut. Gegenüber früher wurden sie zudem ausgedünnt. Das ist einer neuen Public Library nicht würdig. Vorschlag: Platziert die am wenigsten gelesenen Sangallensia um. Und rüstet Teile des gediegenen Turmzimmers zu einer echten Fachzeitschriften-Lounge um.

Arbeitet heute noch jemand ohne Laptop? Kaum. Weshalb gingen dann die integrierten Stromanschlüsse an den Arbeitsplätzen vergessen? Deshalb liegen jetzt selbst im Turmzimmer, dem ruhigsten Arbeitsort, Stromschienen und Verlängerungskabel am Boden herum.

Im Bibliotheks-Café St-Gall stimmt dafür vieles. Der Raum atmet, der Espresso ist gut, die Frequenzen erfreulich. Der Erfolg straft alle Bedenken von Hardcore-Bibliothekaren Lügen, die im Café nur eine unerwünschte Lärmquelle sahen.

Wie gesagt: Die Bibliothek Hauptpost ist ein Meilenstein mit Potenzial. Und Mängel sind dazu da, um behoben zu werden.

6 Kommentare zu Eine Bibliothekskritik

  • Ich unterschreibe fast alles. Nur: Lasst das Turmzimmer, wie es ist. Das ist der einzige Raum, der wirklich zum Lernen geeignet ist, weils im Rest der Bibliothek – verständlich und zurecht – halt etwas lauter ist. Umso öfter das Material dort verwendet wird, desto unangenehmer wirds!

  • Gieri Battaglia sagt:

    Vielen Dank lieber Ralph Hug für Deine berechtigte Kritik und die konstruktiven Verbesserungsvorschläge!

  • Joachim Brombach sagt:

    Was leider auch noch unschön ist dass die Erwachsenen Comic in der Katherinengasse „vergessen“ wurden obwohl in der neuen Bibliothek doch soviel Platz ist. Niemand von den Mitarbeitern kann sagen wann diese nachgeholt werden. Schade.

  • uvo sagt:

    unglaublich kleinkarierte mäkelei. wenn etwas nicht so ist wie immer, resp. wie man sichs selber vorstellt wirds gleich als mangel beschrieben. lasst euch auf das gebotene ein, lasst den ort sich entwickeln.
    diese haltung könnte auch eine erklärung sein, für die verklemmte entwicklung der stadt….

    • D.S. sagt:

      Nein, das ist sicher keine kleinkarierte Mäkelei, sondern endlich mal eine ausgewogene Berichterstattung, welche die übrigen Zeitungen in der Region offensichtlich zu leisten nicht in der Lage sind – merci, Saiten! Das Hauptproblem ist doch: Diese Bibliothek hat nur einen dürftigen frei zugänglichen Bestand, das reiche Vadiana-Magazin ist aber (anders als früher bei der Direktbenutzung in der Vadiana) letztlich schlechter nutzbar (Kurier). Als früherer Vadiana-Kunde empfinde ich die neue Situation als Verschlechterung, auch vom ganzen Ambiente her. Der Innenausbau ist (vom hübschen Turmzimmer abgesehen) nämlich auch keine Augenweide. Lediglich die Lage (gleich am HB) vermag zu überzeugen. Die Mischung der verschiedenen Zielgruppen ist sehr schwierig. Nur wenige Städte wagen dies. St.Gallen hätte eine leicht zugängliche, aber v.a. auf ein anspruchsvolles Publikum ausgerichtete „Stadt-, Kantons- und Unibibliothek“ à la Zürcher Zentralbibliothek verdient. Nota bene: In Zürich sorgen die Pestalozzi-Bibliotheken (http://www.pbz.ch/) an mehreren Standorten für die wertvolle „Grundversorgung“, die anderen Erfordernissen genügen muss und auf akademische Systematik und Vollständigkeit verzichten kann. Der offensichtlichen politischen Strategie mit diesem ausbaufähigen Provisorium am Schluss eine Dauerlösung zu erzwingen. wünsche ich als Bücherfreund insgeheim viel Erfolg, wäre ich allerdings noch Steuerzahler in meinem Heimatkanton, hätte ich die Fokussierung auf eine definitive Lösung als effizienter beurteilt und darum ein Provisorium einstweilen abgelehnt. Derartiges Taktieren birgt zudem auch aus bibliophiler Sicht Risiken. Was, wenn das Provisorium am Schluss Providurium wird? Was viele zudem vergessen: Eine Kantonsbibliothek hat auch eine informationswissenschaftlich-pädagogische Aufgabe, nämlich junge angehende Akademiker in die Einteilungen moderner Kataloge und Bibliographien einzuführen, die trotz, ja gerade wegen Google und seiner undurchsichtigen Herrschaft nicht passé sind. Die Bibliothekare vermitteln mit der Inszenierung von „Buch-Supermärkten“ das Bild einer wenig vielschichtigen Wissensgesellschaft, in welcher sich die Qualität einer Bibliothek am Schaum des servierten Latte Macchiato misst, den es dort zu trinken gibt. Vielleicht braucht es am Schluss sogar ein paar kleine Hürden, um die Entdeckung von Wissen zum Erlebnis werden zu lassen?

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