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, 6. Juni 2017
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«Es ist ja alles live»

In der Junisession behandelt der Kantonsrat den 47,6-Millionen-Kredit für die Sanierung des Theaters St.Gallen. Georges Hanimann, der technische Leiter, über den Arbeitsplatz Theater und das Kribbeln vor der Premiere.

Was ist die Aufgabe des technischen Leiters am Theater?

Georges Hanimann: Als technischer Leiter bin ich zuständig für den Betrieb auf und neben der Bühne, für den Herstellungsprozess der Dekorationen, für den Proben- und Gastspielbetrieb, für das Haus. Das Theater arbeitet praktisch rund um die Uhr. Das fängt um acht Uhr an mit den Vorbereitungen für die Probe. Diese dauert von 10 bis 14 Uhr, dann wird bis halb sechs die Probe weg- und die Vorstellung aufgebaut, es folgt die Vorstellung, und nach dem Abschluss kommt die Nachtabbau-Equipe.

Haben Sie trotz der vielen Aufgaben geregelte Arbeitszeit?

Einigermassen. Über die normale Tagesarbeit hinaus sind ich oder mein Stellvertreter Frank Stoffel bei den Endproben am Abend dabei; besonders die Hauptprobe ist entscheidend, wenn erstmals alles original auf der Bühne steht. Und dann an der Premiere, aber da geht es mehr um moralische Unterstützung, um das «Kind» noch ganz zur Welt zu bringen. Machen kann man dann nichts mehr.

Sind Sie an der Premiere selber aufgeregt?

Wenn man nicht das Kribbeln hätte, wäre man am Theater am falschen Ort. Man kennt die zwei drei Stellen, die heikel sind – es ist ja alles live. Aber heute geht es; in den ersten Jahren war ich zum Teil unheimlich nervös. Meine erste grosse Produktion 1998 war Evita. Eine gute Show, und dann an der Premiere hat der Balkon geklemmt, auf dem Evita Don’t cry for me Argentina sang. Es ist zum Glück nichts passiert, aber für mich war es furchtbar. Nachher hat die Szene bei jeder Vorstellung geklappt. Man lernt natürlich aus solchen Situationen und bemüht sich, sie auszuschliessen. Es darf nichts «in die Hose gehen».

Sanierung nach 50 Jahren

«Dringende Sanierung», «unzumutbare Platzverhältnisse»: Mit starken Worten hat die St.Galler Regierung im März die Vorlage für die Renovation des Theaters St.Gallen begründet, mehr dazu hier. Die Gesamtkosten betragen 47,6 Millionen Franken. Der Löwenanteil betrifft das Gebäude und die Betriebseinrichtungen, das Provisorium für die zweijährige Umbauzeit wird mit 4,5 Millionen Franken budgetiert. Weil vier Fünftel des Betrags als werterhaltend gelten, untersteht der Kredit nur dem fakultativen Referendum. Widerstand kam bis jetzt vor allem aus Kreisen des Naturschutzes, weil das Provisorium im Stadtpark zwischen den beiden Museen geplant ist, und von der SVP, die eine Volksabstimmung fordert. (Su.)

Was ändert sich bühnentechnisch mit dem geplanten Umbau?

Nicht viel. Die beiden Orchesterpodien müssen saniert werden, da ist 50 Jahre lang nichts gemacht worden. Und die 20 Handkonter-Züge werden durch Elektrozüge ersetzt. Damit transportieren wir Dekorationsteile mit einem Ausgleichgewicht von bis zu 250 Kilo. Das Gute ist: Die Technik funktioniert ohne Strom. Aber sie braucht zwei kräftige Jungs, es sind pro Vorstellung bis zu anderthalb Tonnen, die man hin- und herlädt. Nicht im Projekt vorgesehen sind Hubpodeste, wie sie andernorts üblich sind.

Warum?

Mit Hubpodesten kann man verschiedene Ebenen und Schrägen bauen und verändern. Anderswo ist es «state of the art», dass man eine Ober- und eine Untermaschinerei hat. Das wäre aber eine grosse zusätzliche Investition, und die Architektur des Theaters verhindert es, die Bühne in ihrer ganzen Breite damit auszurüsten. Ich kann mit dem Verzicht leben – besonders weil ich finde, andere Verbesserungen sind entscheidender.

Welche?

Der Erweiterungsbau schafft mehr Platz für Garderoben, für die Künstler und das technische Personal. Auch die Maskenräume sind zu eng, es fehlt ein direkter Zugang vom Chorsaal zur Bühne, die Beleuchtungswerkstatt ist in einem fensterlosen «Loch» ohne Heizung, die Requisite in zwei kleinen Kammern eingezwängt. Die Erweiterung schafft Arbeitsplätze mit Tageslicht, die den arbeitsrechtlichen Vorschriften entsprechen. Sie ist mit 9,5 Millionen Franken ausgewiesen. Das Provisorium kostet weitere 4,5 Millionen. Vom Gesamtbetrag bleiben so rund 34 Millionen für die Sanierung von Haustechnik, Fassade oder des Eingangsbereichs: Die Schleuse funktioniert nicht mehr, das ist im Winter eine Katastrophe, und Ersatzteile für die Türen gibt es nicht mehr.

Defekte Rohre im Keller. (Bild: Theater St.Gallen)

Leiden Ihre Leute unter dem Zustand des Hauses?

Ich glaube, der Wunsch, am Theater zu arbeiten, ist stärker. Man arrangiert sich, irgendwann flucht man mal… Aber die Leute hätten sicher Anrecht auf akzeptable Arbeitsplätze. Es ist ja auch nicht so, dass man am Theater deshalb besser verdienen würde, weil die Arbeitsbedingungen nicht ideal sind – im Gegenteil.

Gibt es Reaktionen von Regisseuren, die sagen: Geht gar nicht, diese Zustände in St.Gallen?

Nein. Wer zu einem Projekt an einem Ort Ja sagt, weiss in der Regel, wie die Bedingungen sind. Wer bei uns eine Drehbühne will, kann sie haben – aber halt aufgesetzt auf dem Boden, während sie bei vielen Theatern fix eingebaut ist.

Muss man überhaupt so viel technischen Aufwand betreiben für die Kunst? Vor allem im Musical? Auch «armes Theater» hätte ja seine Qualität.

Nicht nur Musicals, auch das Schauspiel stellt Ansprüche, etwa was Verstärkung betrifft oder Videos. Aber sicher fordern Musicals die Technik besonders, nicht zuletzt wegen der zahlreichen Szenenwechsel. Die Kunst besteht darin, die Mittel richtig einzusetzen. Ein Stück oder eine Inszenierung wird nicht dadurch besser, wenn sie alle Hebel in Bewegung setzt und damit vielleicht anderes überdeckt.

Als technischer Leiter machen Sie, was von Ihnen verlangt wird?

Ich habe gewisse Rahmenbedingungen, die ich einhalten muss, und innerhalb dieses Rahmens realisieren wir, was gewünscht wird. Wir haben wenig Personal und vergleichsweise wenig Geld – insgesamt arbeiten 80 Festangestellte in den Schneiderei-Ateliers und Werkstätten, in Bühnentechnik, Maske, Ton, Beleuchtung und Requisite. Man muss weit suchen, bis man ein Theater findet, das fertigungstechnisch mit so wenig Personal auf dem selben Stand ist. Unsere Motivation ist es, aus den hier vorhandenen Möglichkeiten das Optimum herauszuholen. Dazu gehört nicht nur das Grosse Haus, sondern auch die Lokremise.

Was würde bei einem Nein zur Sanierung passieren?

Gewisse Dinge gingen irgendwann nicht mehr. Wir würden am 15. Juni 2019 natürlich nicht den Stecker ziehen. Aber es gibt auch keinen Plan B. Die Vorberatende Kommission des Kantonsrats hat das Theater besichtigt und gefunden: Das muss man machen. Sie hat sogar eine zusätzliche Million als Reserve eingeplant. Ich bin gespannt auf die erste Lesung der Vorlage im Juni.

Das Provisorium für die zwei Jahre des Umbaus ist ein umstrittener Punkt.

Eine Ersatzspielstätte an sich ist fraglos gut und nötig. Das Theater Bern hat mit einem solchen Ersatz-Kubus sehr gute Erfahrungen gemacht, übrigens auf einer Tiefgarage mitten in der Stadt. Das Publikum hat das Programm extrem gut angenommen. Der geplante Pavillon in St.Gallen wird mit Foyer und Bühnenraum ähnlich bespielt werden. Wir haben andere Lösungen geprüft, etwa einen Spielbetrieb in der Olma, aber das wäre wegen der starken Belegung der Hallen unmöglich gewesen, und die ständigen Umbauten wären viel aufwendiger als das ganze Provisorium.

Was halten Sie vom geplanten Standort zwischen den beiden Museen?

Von den technischen Abläufen her wäre der Standort vor der Tonhalle besser. Dort wären Einspielräume für das Orchester vorhanden, es gäbe Platz für die Technik im Untergeschoss der Tonhalle, und wir wären unsere eigenen Nachbarn. Aber der Kanton hat entschieden und den Platz vor dem Historischen und Völkerkundemuseum gewählt, der ebenfalls gut erreichbar ist.

Dieser Beitrag erschien im Juniheft von Saiten. Bild: Tine Edel

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