, 12. Januar 2013
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Geld ist ungesund

Das Theater St.Gallen bringt Urs Widmers Stück „Das Ende vom Geld“ zur Schweizer Erstaufführung. Es will der Finanzwelt an den Kragen und bleibt in der Komödie stecken. Geld ist ungeniessbar. Wers noch nicht selber ausprobiert hat, lernt es jetzt im Theater St.Gallen. Eingesperrt in der Hotellobby des Steigenberger in Davos, halb am Verhungern und Verdursten, […]

Das Theater St.Gallen bringt Urs Widmers Stück „Das Ende vom Geld“ zur Schweizer Erstaufführung. Es will der Finanzwelt an den Kragen und bleibt in der Komödie stecken.

Geld ist ungeniessbar. Wers noch nicht selber ausprobiert hat, lernt es jetzt im Theater St.Gallen. Eingesperrt in der Hotellobby des Steigenberger in Davos, halb am Verhungern und Verdursten, greifen die Mächtigen dieser Welt zum letzten und einzigen, was ihnen geblieben ist, stecken sich Hunderter und Tausender, Franken und Euro in den Mund – und würgen das Zeug gleich wieder heraus. Eine Bauchkrampf-Choreographie zum Tränenlachen, wie so vieles in dieser Inszenierung. Autor Urs Widmer und Regisseur Tim Kramer zeigen mit virtuoser Lustigkeit, was wir längst wissen.

Der Banker, der Unternehmer, der Bundesrat, der HSG-Professor, der Bischof, der Chinese, die NGO-Delegierte und die Tussi des Bankers: Widmer zeichnet sie grad so, wie man sie sich den Macho-Banker, den Trottel-Bundesrat, den Schleim-Bischof, den Protz-Unternehmer vorstellt. Gespielt ist das grandios, allen voran vom prominenten Gast im Ensemble, Andrea Zogg (oben mit Taube), aber ihm ebenbürtig Marcus Schäfer, Bruno Riedl, Tim Kalhammer-Loew, Anselm Lipgens und Gen Seto, während die Frauen (Boglarka Horvath und Danielle Green) wie üblich keinen Stich in der Geldmännerwelt haben.

Schon nach den letzten Gläsern Sekt bröckeln die Fassaden. Lauter abverheite Biographien, lauter Elend hinter der Maske, im Hintergrund klimpert dazu die Internationale. Wir lernen: Geld macht borniert, Geld macht unglücklich, Geld versaut. Und ist das Geld nichts mehr wert, weil das Handy streikt, der Fahrer verschwunden, der Draht zum Herrgott sowieso gekappt und im verlassenen Hotel kein Stück Brot mehr zu kaufen ist, bricht unter dem dünnen Zivilisationsfell das Tier hervor. Auch nichts Neues, aber diese Geschichte erzählt das Widmer-Stück mit besonderer Lust.

Kostümbildnerin Natascha Maraval steckt den Figuren von Anfang an einen animalischen Restposten an, ein Stück Fell am Revers des Bundesrats, flauschige Boots für die NGO-Frau, Pelzbuckel für den Bischof, Schafsohren für Schäfer, den HSG-Professor. Dann bricht der Schneesturm ein und die nackte Angst aus, der Bischof beschwört den jüngsten Tag und der Banker den letzten Crash, alle Dämme brechen, es wird handfest geprügelt und ein bisschen gevögelt, der Banker will seine Geliebte opfern, ein gespenstischer Koch (Oliver Losehand) schwingt das Schlachtmesser und berichtet vom grossen Weltenbrand.

„Ein Todesexperiment“ nennt Widmer sein Stück. Untergangs-Komödie wäre passender. Analysen, wie der Titel „Das Ende vom Geld“ erwarten liesse, bietet der Autor kaum, die Ursachen des Crashs sind meteorologisch-fatal, der Sturm ein harmloses Flockentreiben auf der zu wenig beklemmend engen Bühne (Gernot Sommerfeld). Am Ende schweben die WEF-Teilnehmer in den Schafshimmel, und das Publikum hat sich jedenfalls gut amüsiert. Das letzte Wort hat Hoteldirektor David Steck: Danke für den Besuch, und Uf wiedergüx.

Nächste Vorstellung: 18. Januar / Bilder: Tine Edel

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