, 21. Mai 2016
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Ich tanze in jeder Form!

An der Quelle des pakistanischen Sufismus: Der Schreiber, Orientalist und Teeist Jürgen Wasim Frembgen aus München kommt nächste Woche nach St.Gallen. von Florian Vetsch

Frembgen beim Teegenuss in Pakistan (Bild: pd)

Nach all den «Experten» zum Islam, die uns die Medien täglich servieren, ist Jürgen Wasim Frembgen endlich wieder einmal jemand, der Ahnung hat, der experienced ist, erfahren, einer, der wirklich Fühlung aufgenommen hat und unterhalb des Mainstreams der zigtausendfach reproduzierten Islam-Rezeption in fruchtbaren Gewässern fischt.

Der Islam werde im Westen lediglich in der Spitze des Eisbergs, als Schriftkultur, wahrgenommen, stellt er fest. Der viel grössere Anteil der mündlichen Überlieferungen werde nicht zur Kenntnis genommen; er blühe bei den Armen und in der Mittelschicht, auch und gerade bei den Frauen. In diesen Schattenbereich wirft Frembgen denn Licht, viel. Von dem Pakistan-Kenner sind im Waldgut Verlag bislang drei Bücher erschienen:

Das verschlossene Tal – Bei wehrhaften Freunden im pakistanischen Himalaja betrifft das gefährliche Harman-Tal, das der Ethnograph als einer der ersten Menschen aus dem Westen besucht hat.

Nachtmusik im Land der Sufis – Unerhörtes Pakistan lotet die mystische Dimension der Musikwelten Pakistans aus; daraus stammt dieser Wunsch des Autors: «Würden die eifernden Mullahs und andere Musik-Verächter doch nur erkennen, dass Klänge die Herzen öffnen und einige der Schleier zwischen Gott und den Menschen zu entfernen vermögen.»

Und schliesslich Am Schrein des roten Sufi – Fünf Tage und Nächte auf Pilgerfahrt in Pakistan, das den Kulten und Ritualen um den Derwisch Lal Schahbas Qalandar aus dem 13. Jahrhundert gewidmet ist.

Der Schrein des roten Sufi befindet sich in Sehwan, einer kleinen Stadt im Süden Pakistans, in der rund 40‘000 Einwohner leben; dorthin pilgern zu den fünf heiligen Wallfahrtstagen alljährlich bis zu einer Million Menschen.

Sehwan.Aug. 2009

Frembgen mit einem Pilger in Sehwan, August 2009

Die Pilger kommen nicht nur aus Pakistan, sondern auch aus Afghanistan, Indien und dem Iran, um sich den höchsten spirituellen Leitwerten des Qalandar hinzugeben: «Ich kenne nichts ausser Liebe, Rausch und Ekstase», soll derselbe gesagt haben.

Der Trancetanz Dhamaal ist vielleicht der direkteste Ausdruck dieser Maxime. In Sehwan verbindet der Dhamaal nicht nur Sunniten und Schiiten, sondern auch Muslime und Hindus. Selbst Atheisten tanzen in Verzückung mit, wenn etwa dieses Lied auf einer der vielen Bühnen um den Schrein angestimmt wird:

Ich brenne erfüllt von der göttlichen Liebe
in jedem Augenblick.
In einem Moment rolle ich mich zu Staub,
im anderen tanze ich auf Dornen.
Komm, o Geliebter!
Gib mir Leidenschaft für die Musik.
Ich tanze öffentlich auf dem Marktplatz
in der Ekstase der Vereinigung.
In Seiner Liebe wurde ich wegen des Tanzens
ein Verrufener, aber, o Frommer,
ich kümmere mich nicht um diesen schlechten Ruf
um Deinetwegen, und ich tanze vor allen.
Auch wenn mich die Welt einen Bettler nennt,
weil ich tanze,
trage ich ein Geheimnis in meinem Herzen,
das mich drängt zu tanzen.
Äussere Formen und Etikette bedeuten mir nichts,
ob in dem Mantel eines Sufi
oder umgürtet mit der heiligen Schnur eines heiligen Yogi,
ich tanze in jeder Form.

Diese Toleranz, diese uneingeschränkte Gastfreundschaft, prägt den Sufismus generell, auch ausserhalb Pakistans, was den islamistischen Fundamentalisten wahhabitischer oder salafistischer Prägung ein Dorn im Auge ist; die Taliban haben bereits mehrere Anschläge auf die Wallfahrer von Sehwan verübt.

Nicht weniger wird diesen aufstossen, dass Frauen dort für sich und in gemischten Gruppen öffentlich tanzen. Selbst Hidschras, Vertretern des dritten Geschlechts, begegnet man in Sehwan respektvoll: Lal Schahbas Qalandar schliesst niemanden aus.

Dies alles – und noch viel mehr – macht Jürgen Wasim Frembgens Buch Am Schrein des roten Sufi lebendig. Einen guten Einblick ins Thema gibt die WDR-Doku Love and Peace in Pakistan, die nur mit Frembgens Hilfe realisiert werden konnte und direkt nach Sehwan, ins pulsierende Herz des Sufismus in Pakistan, führt:

 

Frembgen wird am 24. Mai im Kult-Bau lesen. Dabei wird auch sein jüngstes Buch, in dem er sich als Vertreter des von Kazuko Okakura begründeten Teeismus outet, zum Zuge kommen. Es trägt den sympathischen Titel Tausend Tassen Tee und erschien, reich illustriert, 2014 bei Lambert Schneider.

Der Abend mit Jürgen Wasim Frembgen wird die letzte Veranstaltung der Saison 15/16 von Noisma im Kult-Bau sein. Im Herbst soll es weitergehen; feststeht schon jetzt, dass daselbst 2017 (sic!) ein DADA-Abend stattfinden wird und am 8. November der Herausgeber, Übersetzer und Dichter Joachim Sartorius sowie am 17.1.17 – «What a date!» (Clemens Umbricht) – die hochkarätige zeitgenössische Lyrikerin Silke Scheuermann lesen werden.

tausendtassentee

Jürgen Wasim Frembgen über das Abenteuer der Erfahrung als Kulturwissenschaftler und Autor in Pakistan: 24. Mai, 20 Uhr, Noisma im Kult-Bau, Konkordiatsr. 27, St.Gallen

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