, 15. Januar 2017
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Jugendarbeit sucht Uma’s

NEKJA SG, das Netzwerk für Kinder- und Jugendarbeit im Kanton St.Gallen, will sich vermehrt um die Uma’s, die unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden kümmern.

Diese wachsende Gruppe von Geflüchteten hat bis jetzt kaum Zugang zur Kinder- und Jugendarbeit gefunden. Das soll sich ändern. Die jährliche Fachtagung der kommunalen, kirchlichen und verbandlichen Kinder- und Jugendinstitutionen «Forum Kinder- und Jugendarbeit 2017» stellte am Freitag im Fürstenlandsaal in Gossau die Uma’s und ihre Probleme in den Mittelpunkt.

Tilla Jacomet, Juristin und Leiterin der HEKS Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende St. Gallen/Appenzell umriss die Besonderheiten im Asylverfahren für die Uma’s. So steht nach der UN-Kinderrechtskonvention das höhere Interesse des Kindes (Kindswohl) bei jeder Verfahrensentscheidung im Vordergrund. Die Situation bei der Begleitung von Minderjährigen sei aber grundsätzlich nicht anders als bei den erwachsenen Asylsuchenden, sagte Jacomet. «Wir stehen extrem unter Druck, haben nur wenig Ressourcen und fast keine finanziellen Mittel.»

Kaum Schätzungen möglich

Laut Jacomet sind zur Zeit etwa 140 Uma’s im Kanton St.Gallen registriert. Zudem gebe es eine Dunkelziffer, zu welcher aber keine Schätzungen gemacht werden könnten.

Zu den Besonderheiten im Schweizer Recht gehört die prioritäre Behandlung von Asylgesuchen unbegleiteter Minderjähriger, die unverzügliche Beistellung einer Vertrauensperson im Asylverfahren durch den zuständigen Kanton und die Errichtung einer Beistand- oder Vormundschaft nach Zuweisung in einen anderen Kanton.

2013 sind statistisch 346 Uma’s oder 1,61 Prozent bei einer Gesamtzahl von 21’465 Asylsuchenden erfasst worden. 2014 waren es 795 oder 3,34 Prozent bei einer Gesamtzahl von 23’765 Asylsuchenden und 2015 bereits 2’736 oder 6,92 Prozent bei einer Gesamtzahl von 39’523 Asylsuchenden.

Am stärksten vertreten war bisher die Altersgruppe zwischen 16 und 17 Jahren mit 71 Prozent (2013), 69 Prozent (2014) und 66 Prozent (2015). 2013 wurden bei den Uma’s 29 Prozent Dreizehn- bis Vierzehnjährige registriert, 2014 waren es 27 Prozent und 2015 noch 25 Prozent. 2013 waren in der Gruppe Acht- bis Zwölfjährige 2 Prozent, 2014 ebenfalls 2 Prozent und 2015 dann 4 Prozent vertreten.

Wechsel bei der Betreuung

Daniela Eigenmann, Fachspezialistin beim Kompetenzzentrum für Integration und Gleichstellung beim Amt für Soziales, referierte zum Thema «Integrationsförderung im Kanton St.Gallen: Übersicht – Einsicht – Aussicht». Jugendliche Asylsuchende sollten befähigt werden, einen Beruf zu erlernen, sagte sie. Deshalb spiele Bildung eine sehr wichtige Rolle in den Integrationsprogrammen des Kantons. Derzeit würden fünf Klassen geführt, drei davon in St.Gallen und je eine in Buchs (BWZ) und Rapperswil (BWZR).

Bei der Betreuung wechselte kürzlich die Zuständigkeit vom Kanton zu den Politischen Gemeinden. Auch bei der Unterbringung gab es eine Änderung. Früher waren die Uma’s im Thurhof in Oberbüren untergebracht, jetzt sind sie in der Marienburg in Thal einquartiert. Die Trägerschaft ist neu die Vereinigung St.Galler Gemeindespräsidentinnen und Präsidenten (VSGP). Ab April 2017 soll es der Trägerverein Integrationsprojekte St.Gallen (TISG) sein.

In Thal sind 80 Uma’s untergebracht. Ein weiteres Angebot ist die Wohngruppe MNA (mineurs non-accompagnés) in St.Gallen, die ausschliesslich männliche Jugendliche ab 16 Jahren aufnimmt. Hier ist die Trägerschaft der St.Galler Hilfsverein für gehör- und sprachgeschädigte Kinder und Erwachsene.

In ständiger Sorge

Über Traumata und deren Folgen bei Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung sprach Claudia Hengstler, Traumapädagogin und Leiterin Fachbereich Bildung und Projekte bei den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten St.Gallen. «Geflüchtete Jugendliche bringen vielfältige Belastungen und auch vielfältige Stärken mit. Das ist ihre besondere Lebensleistung, die ihnen in ihren Herkunftsländern und auf der Flucht abgefordert worden ist» sagte Hengstler.

Wichtig für die Begleitung der jungen Flüchtlinge sei neben trauma- auch kultursensibles Wissen. «Viele Uma’s sind keine Waisen. Sie sind zu ihrem Schutz und oft mit Aufträgen geschickt worden und stehen mit Eltern und Verwandten im Herkunftsland oder an anderen Orten – in ständiger Sorge – in Kontakt. Praktisch alle haben deshalb auch ein Handy.»Hengstler empfiehlt in der Jugendarbeit bei Kindern und Jugendlichen, die mit ihren Eltern geflüchtet sind, auch familienorientierte Projekte, damit Integration und Sozialisation besser gelingen können.

Untersuchungen und Studien hätten ergeben, dass Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrungen vor, während, aber auch nach der Flucht potentiell traumatisierenden Erfahrungen ausgesetzt sind. Das drücke sich in vielfältigen Belastungsreaktionen und Traumafolgestörungen aus, in Form von Ängsten, Trauer, starken Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen und somatischen Symptomen. Zusätzlich belastend ist die oft lange Dauer des unsicheren Aufenthaltsstatus. Viele der jungen Menschen empfänden auch Scham, über ihre schlimmen Erlebnisse zu reden, sagte Hengstler.

Nur durch behutsame Gespräche könne man darüber allenfalls etwas erfahren. Sehr wichtig seien für diese jungen Menschen neben stabilisierenden Alltagsstrukturen auch wertschätzende Beziehungen, Geduld,  Humor und Lachen. Das helfe ihnen dabei, ihre Fluchterlebnisse zu verarbeiten. Hengstler betonte zudem, wie entscheidend interdisziplinäre Zusammenarbeit ist, damit Traumafolgestörungen erkannt und behandelt werden können.

Jugendinstitutionen sind Türöffner

An der Fachtagung nahmen rund hundert Kinder- und Jugendarbeitende teil. Ein Podiumsgespräch, an dem auch Leute mit Asylstatus teilnahmen, zeigte, dass kommunale und kirchliche Jugendinstitutionen meistens die einzigen Möglichkeiten für Uma’s sind, Kontakte zur Welt ausserhalb der Asylzentren und Wohngemeinschaften aufzunehmen. Diese Kontakte stehen vielfach am Anfang einer erfolgreichen Integration und schaffen ein Wohlgefühl in der neuen gesellschaftlichen und kulturellen Umgebung.

Viele Kinder- und Jugendarbeitende werden in ihrem Arbeitsalltag plötzlich mit Uma’s konfrontiert. Mit dem Hintergrundwissen, das die Fachtagung vermittelte, sollen Berührungsängste abgebaut und menschliche Zugänge geöffnet werden.

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