, 22. Oktober 2016
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Kafka ist Deephouse-DJ im Iran

Der schöne Dokumentarfilm «Raving Iran» der Regisseurin Susanne Regina Meures zeigt die Geschichte zweier DJ’s aus Teherans Underground und deren Spiessrutenlauf durch Institutionen der islamischen Republik.

«Ich krieg eine Herzattacke, wenn das klappt!»: Anoosh und Arash mit erfreulicher Nachricht aus Zürich.

Eine Soundanlage in der Wüste unter dem Vollmond mit guten Leuten und geile Mucke bis die Sonne aufgeht: Kann man sich eine perfektere Party vorstellen? Doch hat die Sache einen Haken. Anoosh und Arash, die beiden DJ’s, setzen sich mit solchen Happenings, wie alle, die zu ihrem Sound die Nacht durchtanzen, einem erheblichen Risiko aus. Kameltreiber könnten etwas hören und sie bei der Sittenpolizei verraten, die ravenden Frauen sollten für solche ungewollten Zwischenfälle Kopftücher und Mäntel griffbereit halten.

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Die Saalmiete fällt in der Wüste weg, ohne Bestechung wirds aber gefährlich.

So vieles, was die beiden Underground-DJ’s laut geltendem iranischen Recht falsch machen: Der Bandname ist englisch (Blade & Beard), damit sowieso zu westlich, und das namengebende Rasiermesser könnte die bärtigen Männer auf der Behörde in ihren Gefühlen verletzen. Eine Frontsängerin hätten alle gern, kommt aber kategorisch nicht in Frage. Ihr Sound ist auch nicht gerade das Ding der Sittenwache, einzig klassisches Klavier und traditionelle Musik könnte bewilligt werden. «Wenn wir weiter solche Fragen stellen, werden wir noch verhaftet», so Arash, worauf die beiden das Amt wieder verlassen und darauf verzichten, eine bewilligte, legale Band zu sein.

«Die Post wird mit hoher Wahrscheinlichkeit geöffnet».

«Die Post wird mit hoher Wahrscheinlichkeit geöffnet».

Damit geht das Theater erst los. Eine Druckerei müsste gefunden werden, welche das Albumcover druckt, Musikläden, die das Album verkaufen, Bars, welche die Scheibe auflegen, wobei all das ohne Bewilligung nahezu unmöglich ist. Zwischendurch übernachtet Anoosh im Knast, weil die Polizei auf einer Party unverhofft die Hauptrolle zu tanzen beliebte. «Hat sich denn nichts geändert seit Rohani?», fragen sich die beiden immer wieder, und es ist ziemlich deutlich: für House-DJ’s – nicht wirklich.

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Noch immer nichts Neues unter Rohani?

Die beiden beginnen ihre Alben an Festivals wie die Streetparade oder das Burningman zu verschicken, was kein einfaches Unternehmen ist, da die unbewilligte CD von der Behörde entdeckt werden könnte. Bilder von hunderttausenden Tanzenden um die Quaibrücke auf der grössten Technoparty der Welt in Zürich – aus Anoosh und Arash’s Perspektive eine unglaubliche Sache, da wohl das radikalste Gegenteil von den Versteckspielen im Underground. Und sie haben Glück: Die Lethargy in der roten Fabrik meldet sich bei ihnen und lädt sie ein.

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Chills mal.

Der Kafka ist damit nicht zu Ende, auch nur schon fünftägige Visa sind eine halbe Doktorarbeit, Interviews auf der Schweizer Botschaft und Dokumente werden verlangt, welche House-DJ’s in Teheran nicht zwingend haben (Arbeitsbestätigung etc.). Zu viele Leute in der Schweiz mögen keine Ausländer, lernen die beiden im Internet, die «Masseneinwanderungs-»Initiative wurde gerade von 50.3% der Stimmbevölkerung angenommen. Aber ein erstes Mal in Europa auftreten! Alles andere kann warten bis «morgen», so zumindest Arash’s Einstellung. Aber mit dem Gedanken, nicht wieder in den Iran zurückzukehren, spielen beide.

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Ein fucking Drogencheck! Keine Sittenpolizei!

Nach der grossen Party folgen schwierige Diskussionen im Hotel: Arash vermisst die Heimat und telefoniert ständig mit Teheran, «so wirst du dich nie lösen können» sinniert Anoosh auf dem Balkon der Pension Kafi für dich, während dieser mit der Mutter spricht. Die isst gerade Baumnüsse, so ihre Erklärung auf Arashs Frage, «diese gibt’s hier nicht» vermutet er wiederum. «Warum reist du auch in diese Scheissländer?» lacht die Heimat ins Telefon. Die Eltern empfehlen den beiden aber, nicht zurück zu kommen, sie sollen ihr Leben leben, schliesslich hätten sie «damals auch gehen sollen», und nun sind sie 40 Jahre später immer noch da.

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Anoosh und Arash, im absolut richtigen Film.

Die DJ’s packen, verabschieden sich glücklich von den Wirten, und machen sich auf den Heimweg. Sie entscheiden sich aber anders. Das Taxi soll anhalten, because: «we don’t want to go to the airport anymore». Zukunft ungewiss, doch ohne die iranische Sittenpolizei. Mit dem daraus folgenden Asylverfahren beginnt, da wo der Film endet, der ganz grosse Kafka.

Inzwischen leben die DJ’s, nachdem sie zwei Jahre in einer abgelegenen bündnerischen Asylunterkunft leben mussten, wieder näher am Geschehen. Sie geben international Konzerte und haben laut einem Selfie sogar mal Sven Väth kennengelernt.

 

Raving Iran der Zhdk-Absolventin Susanne Regina Meures ist zu sehen im Kinok, Vorarlbergpremière feiert der Film am Dienstag im Conrad Sohm, um 21:30, ab 23 Uhr mit Aftershowparty, unter anderem mit den beiden Hauptakteuren Anoosh und Arash.

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