, 14. Januar 2016
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Lesungen gegen Todesurteil

Der 35jährige palästinensische Dichter Ashraf Fayadh soll in Saudi-Arabien hingerichtet werden. Weltweite Lesungen am heutigen 14. Januar protestieren dagegen.

dein stummes blut wird sich nicht zu wort melden


so lange du deinen stolz in den tod setzt


um deine seele zu verlieren


wirst du zeit brauchen


sehr viel mehr als um deine augen


zu heilen, die tränen aus erdöl geweint haben 

Das Gedicht von Ashraf Fayadh aus dem Jahr 2008 klingt heute wie eine unheimliche Todesahnung: Fayadh, ein 35-jähriger, in Saudi-Arabien als palästinensischer Flüchtling geborener Dichter und Kurator, ist von einem saudischen Gericht am 17. November 2015 für die «Straftat» des Abfalls vom Glauben zum Tode verurteilt worden. Während der Haft und der Gerichtsverhandlung wurde ihm anwaltlicher Beistand verwehrt.

Mit weltweiten Solidaritäts-Lesungen soll heute gegen das Urteil protestiert werden. Initiant der Aktionen ist das Literaturfestival Berlin (ilb). Fayadh, schreibt das ilb, sei eine Schlüsselfigur in der Vermittlung zeitgenössischer Kunst aus Saudi-Arabien für ein weltweites Publikum. Noch 2013 gestaltete er den Pavillon des Landes an der Biennale Venedig.

«Symbolisch für alle Opfer der Repression»

Zusätzlich zur Verleugnung des Islams wird Fayadh auch der Blasphemie und der Förderung des Atheismus in seiner 2008 veröffentlichten Gedichtsammlung Anweisungen von Innen angeklagt. Fayadh hat dagegen versichert, dass die Gedichte «allein von mir als Flüchtling aus Palästina handeln … über kulturelle und philosophische Probleme. Aber religiöse Extremisten haben es als zerstörerische Ideen gegen Gott gewertet.»

Gemäss Human Rights Watch kriminalisieren Saudi-Arabiens immer repressivere Gesetze die freie Meinungsäusserung und geben den Behörden übermässige Polizeimacht. Von richterlicher Kontrolle könne keine Rede sein. «In Ashraf Fayadhs Fall geht es nicht allein um seine Geschichte – sie steht vielmehr symbolisch für alle Opfer eines von Grund auf repressiven Regimes, das von westlichen Regierungen unterstützt wird», kritisiert das Institut. «Derzeit ist Saudi-Arabien sogar Mitglied im UN-Menschenrechtsrat, einer Organisation, die per se die allerhöchsten Standards der zivilen Freiheiten repräsentiert. Saudi-Arabien sitzt in diesem Gremium seit 2013, da es heimlich mit Grossbritannien einen Stimmen-Deal verabredet hatte, wie Wikileaks enthüllt hat. Andere westliche Staaten verkaufen an Riad für viel Geld Waffen und applaudieren bei allen möglichen Gelegenheiten den Saudis öffentlich, damit bloss weiterhin das Öl fliesst. In dieser Zwickmühle sitzen Menschen wie Ashraf Fayadh ohnmächtig fest.»

Die «Grammatik der Menschenrechte»

Der Fall Fayadh erinnert an das Schicksal des saudischen Bloggers Raif Badawi, der wegen angeblicher «Beleidigung des Islam» zu zehn Jahren Haft und 1000 Stockhieben verurteilt wurde; letztere Strafe wurde nach internationalen Protesten eingestellt. Gemäss Deutschlandfunk zählt Fayadh nicht zu den offensiven Regierungskritikern; er soll jedoch ein Video ins Netz gestellt haben, das die Hinrichtung eines Minderjährigen zeigt. Saudi-Arabien hat am Jahresbeginn bereits 47 Todesurteile vollstreckt.

In der heutigen NZZ setzt sich die britische Autorin Priya Basil für Fayadh ein. Auf die Sprache der Gewalt des saudischen Regimes habe die internationale Realpolitik keine Antwort, kritisiert sie. Und wenn, dann würde sie etwa so tönen: «Es tut uns leid, dass Sie derart in Schwierigkeiten sind, aber wir sind auch in der Klemme – zwischen unseren Wertvorstellungen und der Schwierigkeit, diese aufrechtzuerhalten. Unser tiefstes Mitgefühl, aber wir sind nun mal auf Öl angewiesen. Wir bedauern aufrichtig, aber wir müssen auch die Interessen unserer Rüstungsindustrie im Auge behalten.»

«Die Sprache der Politik kann nur dann glaubwürdig sein, wenn sie sich an die Grammatik der Menschenrechte hält», schreibt Basil weiter. «In diesem Idiom können wir von verletzter Würde und von vorenthaltenen Grundfreiheiten reden.»

Literaturhaus Basel 
index | Wort und Wirkung Zürich
Verein SCHRONK! Biel/Bienne
Bar Garage Aarau

Auch in der Schweiz gibt es Lesungen für Fayadh, in Basel, Biel, Zürich und Aarau. In der Ostschweiz hat unter anderem der Liechtensteiner Autor Hansjörg Quaderer den Aufruf zur Unterstützung verbreitet.

Infos: worldwide-reading.com

 

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