, 4. September 2015
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Skorpione und Kugeln werfen

Charles Pfahlbauer jr. war weg. Und hat eine böse Überraschung erlebt, als er wieder zurück war in der Gallenstadt. Zum Glück regnet’s hier öfters.

Die Gallenstadt trübte das Comeback: Als ich von der längeren Reise zurückkam, war die Birke weg. Meine Birke! Der Baum für die Nachtgedanken vor dem Westfenster, der Baum gegen die Ausfallstrasse, der Baum der keifenden Krähen; mein Baum-Nächster – von gewissenlosen Schurken gefällt und weggeschafft. Tödliche Leerstelle, wo zuvor lichtvolles Blattleben. Wenigstens haben sie den Birnbaum-Spalier an der Hauswand belassen, der wiederum reiche Ernte verspricht.

Die Erklärung des Vermieters, einer christlichsozialen Wohnbaugenossenschaft, war lausig. Der Typ griff am Telefon nicht mal zur Notlüge einer Krankheit, sondern erzählte, die Birke habe den Asphalt untergraben und dass man mit Bäumen an Häusern und Strassen sowieso nur Probleme habe. Ich tobte, aber verkniff mir die Drohung, zur Vergeltung für jeden Birkenast künftig ein CVP-Wahlplakat zu fällen. Auch weil ich meinen Chefvermieter, den gewichtigen Schreinermeister, durchaus mag; immerhin hatte er sich gegen die gallenstadtweit dümmste 30er-Zone in unserem Quartier eingesetzt.

Die Birke war weg, doch es gab Neuzugänge im Vorgarten. Eines späten Abends trottete, scharf beobachtet von einer Schlappkatze auf dem Velogaragendach, ein fetter Dachs durchs Gebüsch. Er suchte, die Schnauze dicht am Boden, am Hang nach seinem bevorzugtem Fastfood: Regenwürmer, die er aus der Erde saugte und wie unsereiner Salzstengeli verschlang – ohne satt zu werden. Er kam schmatzend näher, bis auf knapp zwei Meter, der angebliche Meister Grimmbart sehr zutraulich, ich versuchte mein bestes Dächsisch, doch er schüttelte nur den Kopf und haute ab.

Tolle Begegnung, prima Dachslektion, und den Doktor Doolittle machte ich später nochmal im Steinhaus am Rand der Cevennen. Mehr Erfolg als mit den jungen Wildsauen im nahen Eichen- und Wacholderwäldchen hatte ich dort mit den Skorpionen, die jeden Abend frech auf den Schlafzimmerwänden hockten. Ich sprach ihnen beruhigend zu, wenn ich sie einfing und ins Kräuterbeet bugsierte, so kam niemand zu Schaden. Bei renitenten Fällen kontaktierte ich den Petit Duc, die Zwergohreule, die des Nachts im Innenhof ihr peilsenderartiges Djü rief, zwei Stunden lang im exakten Abstand von 3,5 Sekunden, ein wohliger Wiegensound für Braunauge und mich, doch ein Todesalarm für die Skorpione.

Und sonst so? Vieles gelernt, über manchen Schatten gesprungen. Aprikosenfladen, Frikadellen, Tintenfisch- und Barschgrillade, alles nach Charlie-Gusto selbstgemacht, alles tipptopp. Sandalen gekauft, vor lauter Hitzewellen, von wegen nur der Vandale trage Sandale, festgestellt: Bare Pfahlbauerzehen atmen auf. Und prompt Nagelpilzbehandlungsbox gekauft, jede Woche brav die kaputten Stümpfe geschmirgelt und angestrichen, gell Schatz, ich mache mir noch schnell die Nägel. Aufs Brot verzichtet, der Pirelli leistet noch Widerstand, doch genug der persönlichen Noten.

Der allabendliche Skorpion-Transport zahlte sich aus. Konzentration, meine Lieben, Konzentration! Die sollte mir beim Kugeln werfen zugute kommen. Nach zaghaften Anläufen in Barjac und Lussan kam es mit Segler Oskar zum Boule-Comeback auf dem schönsten Kiesplatz unserer Aue: vor dem Kornhaus der Siedlung am Grossen Pfahlbauersee. Wir hatten keine Erwartungen und begannen schlecht, miese Setzer und jämmerliche Sprenger, wir lagen gegen zwei bekappte Frischlinge 0:7 zurück, als wir Gegensteuer gaben und die Chose 13:10 wendeten. Dann wurden wir immer besser, Sieg um Sieg, gegen zwei zu gut aussehende Handballer, gegen das debütierende Tonmischer-Gespann, gegen die ehrgeizigen Freundinnen der Veranstaltersöhne, wir kannten kein Pardon und waren vor allem mental stark. Und wir hörten nicht mehr auf, bis wir heilandzack im Halbfinal standen, gegen den Bäcker und den Schlosser, lokale Legenden und Alleskönner, aber auch die packten wir. Nur der Zahnarzt und der Informatiker, famoses Duo im Final, das war bei schlechten Lichtverhältnissen, steigendem Publikumsdruck und nachlassender Konzentration dann doch eine Nummer zu gross.

Jetzt mal abwarten, welche Wahlplakate demnächst unsere Vorgärten verunstalten. Gegebenenfalls einige untergrabende Bäume pflanzen. Weiterhin ein paar Kugeln werfen. Und nachts auf den Dachs aufpassen. Der Regen ist auf unserer Seite.

Charles Pfahlbauer jr.

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