, 4. Februar 2016
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«So viel Gescheites, aber auch so viel Unsinn»

Diese Woche diskutierten die vier St.Galler Regierungsratskandidaten im Palace über Migration. Interessanter waren aber die Ausführungen des Sonderbotschafters für internationale Migrationszusammenarbeit, Eduard Gnesa.

«Migration und Flüchtlinge im Kanton St.Gallen» war das Thema am Dienstag an der erfreulichen Universität im Palace. Die bürgerlichen Parteien hatten zur Diskussion geladen, um die Regierungsratskandidaten – Bruno Dammann (CVP), Marc Mächler (FDP), Herbert Huser (SVP) und Andreas Graf (parteifrei) – unter die Leute zu bringen.

Als Basis sollte das Inputreferat von Dr. Eduard Gnesa, dem Sonderbotschafter für internationale Migrationszusammenarbeit, dienen. Dieser beschäftige sich seit über 25 Jahren mit globalen Migrationsbewegungen, erklärte CVP-Sekretär Ralph Lehner. Und doppelte mit einem «NZZ»-Zitat nach: Gnesa kenne die Vorzüge und Schwachstellen der Eidgenössischen Migrationspolitik wie kaum ein Zweiter.

Es werde «so viel geredet» im Migrationsbereich, erklärte Gnesa zu Beginn des Referates. «So viel Gescheites, aber auch so viel Unsinn.» Als neutraler Vermittler wolle er deshalb vor allem mit Fakten aufwarten. Hier eine Auswahl:

  • 2015 gab es in der Schweiz 39’523 Asylgesuche. 1999, auf dem Höhepunkt des Balkankonflikts waren es 47’513.

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    Microsoft PowerPoint - 16.02.02 Podium Regierungsratskandidaten

  • Ausländerinnen und Ausländer, die in der Schweiz arbeiten, schicken pro Jahr insgesamt 17 Milliarden Franken zurück in ihre Herkunftsländer – der Deutsche Arzt genau so wie der politisch Verfolgte aus Sri Lanka.
  • Wenn die Bevölkerung stabil bei 8 Millionen bleiben soll, müssten die Schweizerinnen statt 1,5 künftig 2,2 Kinder haben. Die Zuwanderung könne das nur bedingt auffangen, da sich ausländische Frauen der hiesigen Geburtenrate mit der Zeit anpassten.
  • Verglichen mit anderen Ländern sind die Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz «im Grossen und Ganzen gut integriert».
  • Weltweit gibt es ca. 8 Milliarden Menschen. 740 Millionen davon sind Binnenmigranten, reisen also innerhalb eines Landes, 244 Millionen gelten als internationale Migrantinnen und Migranten. 38 Millionen Menschen werden als Binnenflüchtlinge bezeichnet, 24 Millionen als internationale Flüchtlinge.

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  • Nach dem Arabischen Frühling stellten jeden Monat 325 junge Tunesier in der Schweiz ein Asylgesuch. 2015 waren es insgesamt 326. Das sei unter anderem der Migrationspartnerschaft mit Tunesien zu verdanken, sagt Gnesa.
  • Die Schweiz unterhält derzeit vier weitere Migrationspartnerschaften inkl. Rückübernahme-Abkommen: mit Nigeria, Kosovo, Bosnien und Serbien.
  • In den letzten fünf Jahren sind jedes Jahr rund 25 Millionen Menschen wegen Erdbeben, Dürren oder anderen Naturkatastrophen geflüchtet. Diese Menschen sind nicht geschützt von der Genfer Konvention.
  • Internationale Organisationen wie das UNHCR oder die WHO sind massiv unterfinanziert. Im letzten Jahr fehlten rund 15 Milliarden.
  • Auf europäischer Ebene hat man seit 2014 eine Jugendarbeitslosigkeit von 24 Prozent. Oder in Leuten: 5,5 Millionen.
  • 2014 kamen 170’760 Menschen über Italien (Zentral-Mittelmeer Route) nach Europa und 50’830 über den Balkan (Ost-Mittelmeer). 2015 kamen 157’220 über Italien und 880’820 über die Balkanroute. Einer der Gründe: Anfang 2015 haben die Nordafrikanischen Staaten die Visumspflicht für syrische Flüchtlinge wieder eingeführt, was sich wiederum auf die Fluchtrouten ausgewirkt hat.
  • Seit 2011 hat der Bund 203 Millionen Franken zur Linderung der humanitären Folgen der Konflikte in Syrien und Irak gesprochen. Im vergangenen September wurde die «Hilfe vor Ort» im Nahen Osten und im Horn von Afrika zusätzlich um 70 Millionen Franken aufgestockt.

 

Obige Zahlen zeigen, wie komplex das Thema ist – und sie erklären vielleicht auch, warum die anschliessende Diskussion mit den Regierungsratskandidaten kaum neue Gesichtspunkte brachte. Bemerkenswert vielleicht: so viele «besorgte Bürger» wie am Dienstag sah (und hörte) man wohl noch selten im Palace.

Dr. Eduard Gnesa koordiniert die internationalen Aktivitäten des Bundes im Bereich Migration. Bis 2009 war er Direktor des Bundesamts für Migration, dann wurde er Sonderbotschafter für internationale Migrationszusammenarbeit. Seit 2014 ist er Mitglied des «Global Agenda Councils for Migration» des WEF.

 

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