, 28. August 2014
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«Some Mafioso, you know»

Das Institut am Rosenberg feierte eben sein 125-jähriges Bestehen und gibt sich geheimnisvoll. Weder jetzige noch ehemalige Schüler oder Lehrpersonen outen sich gerne. Einer tat es, hat Daniel Klingenberg entdeckt: der Schriftsteller W.G. Sebald. 

Am vergangenen Wochenende hat das Eliteinternat Institut am Rosenberg unter Ausschluss der Öffentlichkeit, aber mit Inanspruchnahme des Himmels über St.Gallen sein 125jähriges Bestehen gefeiert und befeuerwerkt. «Rosenberg wants you back» stand auf der Einladung für frühere Schülerinnen und Schüler, wie die Ehemalige Annette Kammerer in der «Zeit» schreibt. Vielleicht hätte auch W.G. Sebald eine Einladung mit dieser Aufschrift bekommen, würde er noch leben. Denn der Autor von «Austerlitz», «Die Ausgewanderten» und «Schwindel. Gefühle» war ab Herbst 1968 für ein Jahr als Lehrer für Englisch und Deutsch an der Privatschule tätig.

Die Atmosphäre ist ihm nicht gut bekommen. In einem späteren Interview äussert er sich zur Zeit in St.Gallen: «I taught at a private school there, which was run by some mafioso, you know, who got much more money from the students per month, or from one student per month, than he would pay a teacher.» So berichtet es sein Biograph Uwe Schütte.

Der damalige Leiter der Schule am Rosenberg scheint demnach ein explizites Interesse am Sammeln von Geld gehabt zu haben. Der Homepage des Instituts nach müsste es sich dabei um Karl Gademann handeln. Die heutigen Schulkosten betragen minimal 7’000 Franken monatlich. Wenn Sebald schreibt, dies sei «much more money» als eine Lehrperson erhalte, dann wäre das auch in heutigen Relationen wenig Geld.

Kritik am «Schweizer Materialismus»

Sebald reist denn auch bald weiter und geht wieder nach England, von wo er kam. Am 18. Juli 1969 meldet er sich in St.Gallen ab, etwas über ein Jahr hatte er an der Metzgergasse 14 gewohnt. In einem weiteren Gespräch aus dem Jahr 1996 äussert er sich nochmals zu der Zeit in St.Gallen: «Das war eine dieser Schweizer Privatschulen, von denen es ja eine ganze Menge gibt am Genfer See und im Alpenland. Und ich hatte auf eine Annonce geantwortet, weil ich ja irgendwie Geld verdienen musste. … Und ich habe den Lehrerberuf ganz gern gemacht, aber die Verhältnisse an der Schule waren eine einzige Katastrophe, so dass es also dort nicht weiterging. Die Schweiz hat sich auch nicht als eine für mich akzeptable Alternative erwiesen, also der Schweizer Materialismus ist mir schon sehr nahegegangen.»

Sebald kritisiert später auch die gesellschaftlichen Verhältnisse in England und verdammt das neoliberale Regime von Margaret Thatcher als «stalinistisch». Aus seinen Texten spricht regelmässig eine tiefe Abneigung gegen den Materialismus und die Konsumgesellschaft.

Einer der Schüler Sebalds im Institut war der St.Galler Martin Hamburger, der spätere Schriftsteller, Kabarettist und Sprecherzieher. Er besuchte als Externer die dortige Mittelschule und erinnerte sich: «In Deutsch hatten wir einen jungen Lehrer namens Sebald. Es hatte ihn aus irgendeinem Grund an diese Schule verschlagen, und nach einem Jahr verschwand er wieder. Ich habe seine Deutschstunden in Erinnerung behalten, als hätte ich sie alle auf Video aufgezeichnet.»

«Das Schweigen brechen»

Winfried Georg Sebald ist 1944 im Allgäu im Dorf Wertach geboren. Seine Vornamen schreibt er in späteren Jahren nicht mehr aus. Es ist ein Protest gegen die faschistische Herkunft: «Ich hasse diese urdeutschen Namen. Selbst in meinem Namen will ich den Faschismus auslöschen und verwende nur die Initialen meines Vornamens.» Als die beiden Hauptthemen in Sebalds literarischem Werk bezeichnet Schütte, das Schweigen über die nationalsozialistische Zeit zu brechen und den Schicksalen jener Menschen nachzuspüren, die ihre Heimat verlassen mussten.

Sebald, der in seinen Texten Dokumentarisches, Biographisches und Fiktives zusammenfügt, äussert sich auch in einem literarischen Text zu seiner St.Galler Zeit. Er sei hier nicht glücklich gewesen, «aus verschiedenen, teils mit der schweizerischen Lebensauffassung, teils mit meinem Lehrerdasein zusammenhängenden Gründen». Das Zitat findet sich in der Erzählung «Max Aurach» in «Die Ausgewanderten».

W.G. Sebald stirbt am 14. Dezember 2001 bei einem Autounfall. Ausführliche Informationen über Sebald gibt es hier.

 

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