, 30. August 2016
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Todesstrafe: Gar nicht so lange her

Im Thurgau wurde 1854 das letzte Mal geköpft. 1938 fällte ein St.Galler Gericht das letzte Todesurteil, und 1977 geschah dies zum letzten Mal im Fürstentum Liechtenstein – vollzogen wurde es allerdings nicht mehr. Heute sind Strafverschärfungen wieder im Trend.

Angelus Hux, Archivar der Bürgergemeinde Frauenfeld, stellte letzten Donnerstag im historischen Gerichtssaal des Schlosses Frauenfeld den letzten Scharfrichter des Kantons Thurgau, Johannes Näher (1765-1843), vor. In seiner Amtszeit hatte er mit dem Richtschwert 19 Menschen enthauptet, das letzte Mal 1839. Als Lohn für seinen Job erhielt er ein Fixum.

Angehöriger einer Scharfrichter-Dynastie

Näher wurde in St. Gallen in eine Familie geboren, aus der während 150 Jahren Scharfrichter hervorgegangen waren. Das Amt sei damals dynastisch gewesen, sagt Hux, der in unzähligen Originaldokumenten und in alten Zeitungsartikeln die Karriere von Näher recherchiert hat.

Ein Scharfrichter sei mit dem menschlichen Körper sehr vertraut gewesen und habe ein ordentliches Mass an medizinischem Wissen gehabt. So habe Näher wie sein Vater und andere Amtskollegen nicht nur Menschen zu Tode gebracht, sondern sie auch am Leben erhalten, als Heiler und Arzt. Die Bevölkerung habe Scharfrichter und ihre Familien stets gemieden, habe sie im Krankheitsfall aber trotzdem aufgesucht und um Hilfe gebeten, meistens nachts, um dabei nicht beobachtet zu werden.

«Auch heute noch empfinden viele Leute Abscheu, wenn es um Scharfrichter geht», sagt Hux. «Ein paar Tage vor meinem Vortrag hat mich eine Frau angerufen und mir gesagt, dass sie jeweils Gänsehaut kriege und ihr ein kalter Schauer über den Rücken laufe, wenn sie durch die Laubgasse gehe. Hier stand nämlich bis 1969 das Wohnhaus von Näher.»

Ein Hieb zwischen die Halswirbel

Scharfrichter, die aufs Köpfe abschlagen spezialisiert waren, haben jeweils bei der Exekution das Richtschwert ein paar Mal durch die Luft kreisen und dann auf den Nacken des Verurteilten niedersausen lassen. Der Verurteilte verharrte in kniender Stellung oder hatte seinen Kopf auf einen Holzpflock gelegt, im Beisein eines Geistlichen und an ein letztes Gebet geklammert.

Damit die Hinrichtung möglichst schmerzlos vonstatten ging, musste der Scharfrichter mit dem Schwert genau zwischen zwei Halswirbel treffen. Das habe «hohes handwerkliches Geschick» erfordert, sagt Hux.

Museumshaeppli August

Galgenstrick, Richtschwert, Fussfessel und Halsgeige in der Ausstellung des Hisorischen Museums Thurgau (Bild: pd, Klick zum Vergrössern)

Die Todesstrafe ist für Mord, Raubmord, Brandstiftung und Landesverrat ausgefällt worden. Der Frauenfelder Richtplatz war auf dem «Galgenholz». Beim Autobahnbau seien an dieser Stelle noch Gebeine gefunden worden, sagt Hux. Die Exekutionen hätten jeweils im Beisein von viel Volk, auch von Kindern, stattgefunden. Man sei jeweils aus «christlicher Pflicht» zu den Hinrichtungen gegangen.

Mit der neuen Thurgauer Verfassung wurde die Todesstrafe 1869 abgeschafft. Zuvor sind aber noch ein Mörder und Vergewaltiger (1853) und ein Raubmörder (1854) hingerichtet worden. Der Scharfrichter kam aus dem st.gallischen Altstätten. Zwei weitere Todesurteile wurden 1856 und 1872 auf dem Begnadigungsweg durch den Grossen Rat in lebenslange Haftstrafen umgewandelt.

Mit Volkspetitionen zurück zur Todesstrafe

In der Bundesverfassung von 1874 wurde die Todesstrafe in der Schweiz abgeschafft und nur noch militärisch in Kriegszeiten zugelassen, heisst es im Historischen Lexikon der Schweiz. Volkspetitionen in verschiedenen Kantonen, darunter auch in St.Gallen und Appenzell Innerrhoden, verlangten aber die Wiedereinführung.

Die eidgenössische Volksabstimmung vom 18. Mai 1879 hob die Abschaffung daraufhin auf und ermächtigte die Kantone, die Todesstrafe wieder einzuführen. In einigen Kantonen geschah das denn auch, unter anderem auch in St.Gallen.

1938 wurde der Dreifach-Mörder Paul Irniger vom St.Galler Kantonsgericht für zwei Tötungsdelikte in Rapperswil zum Tode durch die Guillotine verurteilt. Das Kantonsparlament wandelte die Strafe 1939 auf dem Begnadigungsweg in lebenslange Haft um. Das dritte Tötungsdelikt hatte Irniger in Baar, im Kanton Zug, verübt. Dafür wurde er ebenfalls zum Tode verurteilt und 1939 mit der Guillotine hingerichtet. Die Tötungsmaschine musste beim Nachbarkanton Luzern ausgeliehen werden. Dieser hatte den Apparat, den letzten seiner Art in der Schweiz, zuvor vom Kanton Schaffhausen gekauft.

Die letzte Hinrichtung in der Schweiz nach dem zivilen Strafgesetzbuch wurde am 18. Oktober 1940 in Sarnen (OW) am 32-jährigen Dreifachmörder Hans Vollenweider mit der Guillotine vollstreckt. Zwar hatten die Schweizer Stimmberechtigten bereits 1938 mit 54 Prozent Ja-Stimmen für die Abschaffung der Todesstrafe gestimmt, das Gesetz trat jedoch erst auf den 1. Januar 1942 in Kraft. Die militärische Todesstrafe im Kriegsfall ist 1992 aufgehoben worden.

Todesurteil nach Familientragödie

Das Fürstliche Kriminalgericht in Vaduz verurteilte am 26. November 1977 einen 42-jährigen Familienvater zum Tode durch Erhängen. Er hatte 1976 seine Frau und zwei seiner Kinder erschossen, ein drittes Kind überlebte die Familientragödie schwerverletzt. Das Urteil wurde von den beiden oberen Instanzen bestätigt.

Das «Volksblatt» brachte die Geschichte damals zwar auf der Titelseite, aber nur in einer unkommentierten Randnotiz: «Kriminalgericht verhängte Todesurteil». Das «Vaterland» rückte die Meldung auf Seite 3 ins Blatt, ebenfalls ohne Kommentar. Die Familientragödie, die sich ein Jahr vor dem Prozess ereignet hatte, war zuvor in beiden Blättern gross verhandelt worden; als «das schlimmste Verbrechen im Land seit dem Zweiten Weltkrieg».

Mit dem Vollzug der Todesstrafe rechnete niemand, aber aufgrund des damals noch geltenden Strafgesetzbuches von 1850 musste sie zwingend ausgesprochen werden. Landesfürst Franz Josef II. wandelte das Urteil ein Jahr nach dem Spruch auf dem Begnadigungsweg in eine 15-jährige schwere Kerkerstrafe um. Abgeschafft wurde die Todesstafe in Liechtenstein erst 1987, als man den Beitritt zum Europarat ins Auge gefasst hatte und deshalb der Europäischen Menschenrechtskonvention zustimmen musste, welche die Todesstrafe kategorisch ablehnt.

Das letzte Opfer der Todesstrafe in Liechtenstein war eine 41-jährige Landstreicherin aus Altenstadt bei Feldkirch. Sie brach im Ländle auf Diebestouren mehrmals in Bauernhöfe ein. Die Frau wurde 1784 auf Güdigen, zwischen Eschen und Mauren, mit dem Beil durch einen Bregenzer Scharfrichter enthauptet. In Chroniken aus dieser Zeit heisst es, der Urteilsvollstreckung hätten Tausende von Menschen beigewohnt.

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