, 20. April 2015
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Verwebungen im 4 ½

In der Ausstellung Per un pelo – Um ein Haar verwebt die Künstlerin Alessandra Beltrame Reflexionen über den Kapitalmarkt, die Lesbarkeit von Informationen, Tina Modotti sowie den St.Galler Projektraum 4 ½. Nina Keel war dort.

Der erste Blick fällt auf die Wand links vom Eingang des Projektsraums 4 ½, wo es funkelt und glänzt. 21 zusammengenähte Tüten aus goldener Notfallfolie schweben an der Wand. Rechts davon hängt ein Stück Baumwollstoff, bestickt und mit Schreibmaschine beschrieben. Dieser gibt Hinweise zu den Objekten, die sich in den Tüten befinden. Was wo steckt, darüber lässt sich allerdings nur spekulieren. Investment lautet der Titel des Werks, er deutet ebenso sehr abstrakte Momente im Handel mit Aktien an wie die mitunter schwer durchschaubaren Mechanismen der Wertzuschreibung auf dem Kunstmarkt.

Beltrames Antwort auf solche nicht-anschaulichen Begebenheiten unserer Gegenwart ist die physische Präsenz. Konsequenterweise ist sie selbst während der Dauer der Ausstellung die ganze Zeit anwesend. In ihrem Schaffen sind Prozesse des physischen Machens, die Einarbeitung von Themen in Materialien zentral. Die goldfarbene Notfallfolie, Fäden und unterschiedlichste Stoffe von Tüll bis Goldleder sind Materialien, welche die im Raum an der Lämmlisbrunnenstrasse präsentierten Arbeiten durchziehen.

 

Per un pelo5_2015Modotti, behaart

So auch Per un pelo, das der Ausstellung zu ihrem Titel verhalf. Es ist als kritischer Kommentar auf das zensierte Plakat der letztjährigen Ausstellung über die Fotografin Tina Modotti im Völkerkundemuseum St. Gallen zu verstehen. Beltrame verwendet die Aktfotografie von Edward Weston als Ausgangspunkt für eine Arbeit auf Tüll, wobei ihre Modotti die Augen geöffnet hat.

An behaarten Körperstellen webte Beltrame alte Perücken- und Krepphaare in den Tüll ein. Die Silhouette stickte sie mit einem roten Seidenfaden nach und nimmt damit Bezug auf Modottis Biografie, die als Mädchen in einer Seidenfabrik in Udine arbeiten musste. Ursprünglich war das Werk für eine andere Ausstellung vorgesehen, die dann aber – um ein Haar – nicht stattfand. In der oft negativ konnotierten Redewendung fand Beltrame einen gemeinsamen Nenner für ihre im 4 ½ ausgestellten Arbeiten und drehte sie damit für sich ins Positive.

 

Lob des Zwischenmenschlichen

Um Fragen der Lesbarkeit geht es in Intern@tional coffee, bei dem man als kaffeetrinkende Besucherin Teil des Werks wird: Die Künstlerin liest den dabei anfallenden Kaffeesatz, indem sie zeichnerisch darauf reagiert. Im Kaffeesatz sieht sie Ähnlichkeiten zu den Algorithmus-gesteuerten Suchmaschinen im Netz: Beide würden Informationen liefern, die für das Individuum zutreffen können – oder auch knapp nicht. Intern@tional coffee ist aber auch ein Statement für die Wichtigkeit des direkten, nicht-virtuellen Austauschs zwischen den Menschen.

Die Ausstellung im 4 ½ macht deutlich, wie genau Alessandra Beltrame, die lange Zeit beruflich im Theaterbereich tätig war, das Zeitgeschehen beobachtet und künstlerisch kommentiert. Die Bezüge der einzelnen Arbeiten zum übergeordneten Titel Um ein Haar wirken aber mitunter ihrerseits etwas an den Haaren herbeigezogen. Es hätte der Ausstellung gut getan, eine Kuratorin oder einen Kurator beizuziehen, um die Werke aus einer distanzierteren Perspektive zu betrachten und auf einzelne Arbeiten zu verzichten, um eine dichtere Schau mit prägnanter Aussage zu erreichen.

 

Per un pelo – Um ein Haar: bis Sonntag, 26. April,  Projektraum 4 ½, Lämmlisbrunnenstrasse St.Gallen.
Weitere Infos: viereinhalb.ch

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