, 3. März 2015
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Wie Albaner selbstlos Juden retteten

Albanien hat während des Holocausts über 2000 Juden versteckt – eine Tatsache, die von der Geschichtsschreibung komplett vernachlässigt wurde. An der PHSG gastiert eine Ausstellung, die das ändern will.

Wenn Johanna Neumann von den Mohammedanern spricht, tut sie das mit leiser Achtung in der Stimme. Und sowohl der respektvolle Ausdruck als auch die Selbstverständlichkeit, mit der ihn die Jüdin benutzt, stehen in traurigem Widerspruch zum aktuellen, von Hass und Gewalt geprägten Verhältnis zwischen Juden und Moslems. Jahrzehnte später reist die 84-Jährige für die Wanderausstellung «Besa – ein Ehrenkodex» um die Welt. Die Ausstellung macht in St.Gallen an der Pädagogischen Hochschule (PHSG) ab heute Dienstag bis am 13. März Halt.

Flucht vor dem Naziterror

Acht Jahre alt war Johannah Neumann, als ihre deutschjüdische Familie vor dem Naziterror nach Albanien floh und bei verschiedenen Familien Zuflucht fand. Als die Italiener 1943 ins Balkanland einmarschierten, nahm die Familie Tilku die verfolgten Juden auf. Den Sohn ihrer Retter hat Johannah Neumann 2002 aufgespürt. Er wurde von der Holocaust-Gedenkbehörde Yad Vashem als «Gerechter unter den Völkern» geehrt – als einer von rund 70 weiteren Albanern.

Sie stehen für ein Land, das sich während des Holocausts dort auszeichnete, wo die anderen europäischen Nationen versagten. Eine Tatsache, die die «Besa»-Ausstellung ins Gedächtnis rufen will.

Gezeigt werden zwölf Porträt-Bilder von Albanern, die damals Juden aufgenommen haben, angefertigt vom amerikanischen Fotografen Norman Gershman. Dieser sagte nach seiner Reise, er habe oft den Eindruck gehabt, die Porträtierten verstünden gar nicht, weshalb er gekommen sei. Das deckt sich mit Johanna Neumanns Erinnerungen. Für die Albaner sei die Rettungsaktion eine Selbstverständlichkeit gewesen, sagt sie. «Jeder in unserer Umgebung wusste, dass wir Juden waren und keiner hätte uns an die Besatzer verraten.»

«Wenn es nötig wird, bringen wir euch in die Berge»

Die Albaner haben während des zweiten Weltkriegs nach einem uralten Ehrenkodex gehandelt. «Besa» lässt sich nicht adäquat ins Deutsch übersetzen. Wer es versucht, landet bei Wörtern wie Schwur oder Konstruktionen wie gastfreundschaftliches Bündis oder Ehre des Hauses. «Besa» verpflichtet in Albanien nach dem uralten Gewohnheitsrecht des Kanuns, seine Gäste zu schützen.

Johanna Neumann sagt: «Ein Fremder in ihrem Land war wie ein Fremder in ihrem Haus». Ihre eigene Familie habe von den albanischen Freunden ein Versprechen gehabt: «Sollte es nötig werden, bringen wir euch in die Berge».

Doch die Rettung der Juden in Albanien beruhte nicht nur auf dem Ehrgefühl des Einzelnen. Das Volk weigerte sich mit kollektivem Mut, Juden an an die Nazis auszuliefern. Und der Staat half aktiv bei dem Verstecken, indem Visen und falsche Pässe für die Juden beschafft wurden. König Zogu wandte sich gar an alle europäischen Konsulate, um auf die Aufnahmebereitschaft Albaniens aufmerksam zu machen. Sie wisse nicht mehr genau, wie ihre Eltern von den Visen erfahren hätten, sagt Neumann. Doch wünschte sie sich, «dass mehr Juden davon gewusst hätten».

Albanien ist das einzige europäische Land, in dem nach dem Holocaust mehr Juden lebten als davor. «Keinen einzigen haben sie deportiert», sagt Neumann.

«Besa»-Film im Kinok

Die Besa-Ausstellung war mittlerweile in 12 Schweizer Städten zu sehen. Organisiert wird die Tour von einer Projektgruppe um Esther Hörnlimann, die auch albanische und muslimische Organisationen mit ins Boot holte. Die PHSG war schnell überzeugt, die Ausstellung zeigen zu wollen: Im Frühling wird das Bildungsinstitut die neue Fachstelle «Demokratiebildung und Menschenrechte» eröffnet – eine Fachrichtung, die das Erinnern an den Holocaust und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Mittelpunkt stellt. «Die Anfrage von Frau Hörnlimann hat da natürlich gut hinein gepasst», sagt PHSG-Rektor Erwin Beck.

In die Ausstellung involviert ist auch das Kinok: Heute Dienstag wird dort einmalig der Film «Besa- the Promise» der Amerikanerin Rachel Goslins gezeigt. Johanna Neumann wird auch an diesem Anlass über ihre Geschichte reden.

Der Trailer zum Film:

Die Ausstellung in der PHSG an der Notkerstrasse 27 ist Montag bis Freitag jeweils von 8 – 20 Uhr geöffnet, am Samstag und Sonntag jeweils 10 bis 14 Uhr. Mehr Details und das Rahmenprogramm auf der Besa-Website.

 

Bild: Sascha Erni

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