, 28. Juli 2016
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Wir Nomaden

Passend zur Posse um die Fahrenden in Waldkirch (mal dürfen sie bleiben, dann wieder nicht und am Schluss dann irgendwie doch), hier der Sommerstadtpunkt von Dani Fels.

Dani Fels (Bild: Ladina Bischof)

«Wenn ihnen geeignete Standplätze zur Verfügung stehen, oder sie bestehende Campingplätze benützen könnten, sind sie besser zu kontrollieren und es sollte keine Probleme geben», schrieb ein bürgerlicher Gossauer Parlamentarier in seiner einfachen Anfrage zum Durchgangsplatz für Fahrende Gossau-Ost im August 2012.

Was in der Absicht wohl gedacht war, dem vom Bundesgericht in einem Urteil vom März 2003 anerkannten Recht von Fahrenden auf angemessene Halteplätze auch in Gossau Nachachtung zu verschaffen, kommt letztlich nur als unterschwelliger Antiziganismus daher. Fahrende müssen also kontrolliert werden, meint der liberale Lokalpolitiker, weil sie sonst… ja, was eigentlich tun?

Was hier unfreiwillig sichtbar wird, sind Ressentiments derer, die die Definitionsmacht in Anspruch nehmen, zu bestimmen, wer zu einer Minderheit und wer zu einer Mehrheit gehört. Es ist auch ein Einblick in eine Geschichte der Verfolgung (es sei hier an das unsägliche Projekt «Kinder der Landstrasse» erinnert, welches die Pro Juventute von 1926 bis 1973 betrieb), des Nicht-Verstehens und des absichtlichen Miss-Verstehens nomadischer Lebenswelten.

Es ist das strukturelle Prinzip von Mehrheiten gegenüber Minderheiten, Vertreibung und Verfolgung durch den Zwang zur Sesshaftigkeit und zur bedingungslosen Assimilation abzulösen. Und es ist ein zutiefst kolonialistisches Prinzip.

Indem man gegenüber einer anerkannten nationalen Minderheit, den Jenischen, aber auch den Roma insgesamt, fordert, sie müssten unter verschärfte soziale Kontrolle gestellt werden, unterstellt man ihnen nicht weniger, als dass ihre Kultur primitiver ist als die der Mehrheitsgesellschaft. Dass sich auf diesem Hintergrund die Stimmberechtigten von Gossau am 5. Juni gegen den Durchgangsplatz ausgesprochen haben, ist nicht überraschend, aber in hohem Mass beelendend.

Es gäbe heute ausreichend Informationskanäle von und über Jenische, Roma und Traveller, die helfen können, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen. Doch das Nicht-Wissen, welches nach Thal auch in Gossau zur Ablehnung eines Durchgangsplatzes geführt hat, hat viel mit Nicht-Wissen-Wollen zu tun.

Etwas wissen heisst, sich für etwas zu interessieren.

 

Dani Fels, 1961, ist Dozent an der FHS St.Gallen und Fotograf. Er schreibt monatlich die Stadtkolumne in Saiten. Seine Mutter war eine Romni.

Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende: stiftung-fahrende.ch/geschichte-gegenwart/de/home
Rroma Foundation: rroma.org/de
Die Waldkirch-Geschichte: hier

 

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