, 26. April 2018
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20 Sekunden für den Klosterplan

Der St.Galler Klosterplan ist ab nächstem Jahr im Original zu sehen – für jeweils 20 Sekunden pro Besuchergruppe. Kanton, Kirche und Private bauen dafür für 2,8 Millionen Franken einen neuen Ausstellungssaal im Zeughausflügel. Es geht, im Standortmarketingjargon, um «Positionierung».

Der Klosterplan aus dem 9. Jahrhundert gilt als erstes Architekturdokument der abendländischen Geschichte. Er zeigt auf einem Pergament von 112 x 77 cm in roter Tinte den (Ideal-)Plan einer Abtei samt schwarzen Beschriftungen. Der St.Galler Abt Gozbert hatte ihn um 820 vom Abt der Reichenau, Heino, als Inspirationsquelle für den geplanten St.Galler Klosterbau bekommen, «aus Liebe zu Gott allein dir zum Studium». Aus dem «allein dir zum Studium» soll jetzt ein «der ganzen Menschheit zur Bewunderung» werden.

Bisher konnten Normalsterbliche den Plan nur als Faksimile in der Stiftsbibliothek anschauen, das Original liegt im Schutzraum. Das ändert sich ab kommendem Jahr, wie am Mittwoch an einer Medienkonferenz informiert wurde. Dieser Tage beginnt der Umbau des seit zwei Jahren leerstehenden Ausstellungssaals und des Gewölbes im Zeughausflügel.

Zwei neue Dauerausstellungen entstehen. Im Gewölbe, das bereits im November neu eröffnet wird und dessen Umbau der katholische Konfessionsteil finanziert, wird die Kulturgeschichte des Klosters nachgezeichnet mit Handschriften (auch Originalen wie den Tuotilo-Tafeln) und den bisher im Lapidarium gezeigten Kapitellen der Vorgängerkirchen.

Im Ausstellungssaal oben aber dreht sich alles um die St.Galler Kronjuwelen: den Klosterplan.

Star in der Dunkelkammer

Dieser wird gemäss Ausstellungsgestalter Matthias Schnegg spektakulär «inszeniert»: In einer Dunkelkammer in der Saalmitte erwartet das Publikum eine Informationsshow über den Plan samt Modell der damaligen Klosteranlage – dann hebt sich der Deckel, das Original wird für 20 Sekunden sichtbar, um dann wieder in der Versenkung zu verschwinden bis zur nächsten Gästegruppe.

(Visualisierungen: Arge Gillmann Schnegg)

Den Weg zum Allerheiligsten wird man durch eine Pforte finden, die als «Introductio» erstmal ein Katastrophenbild zeigt: zerstörtes Kulturerbe. Dann führt ein Rundgang zu anderen «Highlights» der Klostergeschichte; im «Theatrum» sind Projektionen und Dokumente zu sehen, die hintere Ausstellungswand besteht aus Fluchtkisten, mit denen die Mönche die Bücher jeweils in Sicherheit brachten, im «Exploratorium» kann man sich haptisch, elektronisch und interaktiv mit den Schätzen der klösterlichen Schriftkultur beschäftigen.

Die Stiftsbibliothek bekommt so neben den weiterhin im Barocksaal der Bibliothek stattfindenden Sonderausstellungen (aktuell: «Irische Buchkultur des Frühmittelalters») selber einen zweiten Präsentationsraum. Das Stiftsarchiv erhält erstmals überhaupt eine allgemein zugängliche Dauerausstellung. Das ganze Ensemble versteht sich als «Entdeckungsreise ins frühe Mittelalter».

St.Gallen soll sich «positionieren»

130’000 Menschen besuchen zur Zeit jährlich die Stiftsbibliothek, eine nochmal grössere Zahl besichtigt die Kathedrale. An schönen Tagen klicken die Fotoapparate der zumeist asiatischen Touristengruppen ununterbrochen im Revier, das seit 1983 als Unesco-Weltkulturerbe ausgezeichnet ist.

Dennoch verkaufe sich die St.Galler Klosteranlage unter ihrem Wert: Zu dieser Überzeugung sind Thomas Dietschweiler und der Stiftungsrat der Ria und Arthur Dietschweiler-Stiftung gekommen. Ihr «Wunschzettel» für eine bessere Vermarktung und Vermittlung der hiesigen Klosterschätze sei entsprechend lang gewesen, sagte Thomas Dietschweiler, der Stiftungspräsident, an der Medienkonferenz.

Was ihn zum Wünschen berechtigt: Die Stiftung beteiligt sich mit 2 Millionen Franken am künftigen Betrieb der Ausstellung. Der Kanton finanziert den Umbau des Ausstellungssaals, der katholische Konfessionsteil baut den Gewölbekeller um und hat mit Stiftsbibliothek und Stiftsarchiv die administrative und inhaltliche Leitung des Betriebs. Die staatlich-kirchlich-private Dreifaltigkeit sei in dieser Form erstmalig, lobten Regierungsrat Martin Klöti und Martin Gehrer, Präsident des katholischen Administrationsrats.

«Weltweit einzigartig»

Neben Geldern für den Betrieb finanziert Dietschweiler auch die neue Stelle für Marketing und Vermittlung mit, die zusammen mit den Leitern von Stiftsbibliothek und Stiftsarchiv künftig ein dreiköpfiges Direktorium bilden soll. Der neue Job ist wie der Umbau eine Folge des Managementplans, den die Unesco für ihre Welterbestätten, deren Schutz und Vermittlung fordert. Hauptziel, immer wieder genannt an der Medienorientierung, ist die «Positionierung» des St.Galler Stiftsbezirks und seine bessere touristische und volkswirtschaftliche Nutzung.

Dafür nehmen die Promotoren grosse Worte in den Mund wie: «Der Stiftsbezirk ist eine weltweit einzigartige Wiege der Werte der Menschheit». Das sei nicht eurozentristisch misszuverstehen, verteidigt sich Patrick Cotting, der beigezogene Berater, auf Nachfrage – aber St.Gallen müsse seine Schätze über die Ostschweiz hinaus offensiver kommunizieren. Das neue Ausstellungskonzept biete die Chance, den «Schleier der Bescheidenheit» einmal zu lüften (Klöti) und sich in eine Reihe mit Monumenten wie dem Mont St.Michel, dem Aachener Dom oder Versailles zu stellen (Thomas Dietschweiler).

Die aktuelle Kultur wird nomadisch

Und die Ausstellungen des kantonalen Amts für Kultur, die bis 2016 hier in regelmässigen Abständen Furore machten – Ausstellungen zu Niklaus Meienberg oder Walter Mittelholzer, zu Roland Gretlers Sozialarchiv oder Aby Warburgs Bildersammlung? Sie sind neu als nomadische Projekte im Wortsinn «aufgegleist», nämlich an Stationen entlang der Ringbahn S4 rund um den Kanton konzipiert. Bisher gab es eine Ausstellungi 2017 in Magdenau und eine zweite aktuell im Wartsaal des Bahnhofs Lichtensteig.

Sie erreichen ein kleineres, dafür heimisches Publikum; ob dies der neuen «Visitenkarte» des Klosterbezirks künftig auch gelingen wird, bleibt abzuwarten. Bisher sind die Stiftsbibliothek und ihr Pantoffelarsenal für viele Städterinnen und Städter bloss ein Gerücht. An der Eröffnung 2019 ist zumindest Prominenz da: Bundesrat Alain Berset habe die Teilnahme zugesagt.

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