, 17. Oktober 2015
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Für immer Fuck the System

Auf dem neuen Aeronauten-Album scheppern Blues, Funk und Punkrock durcheinander. Das Resultat des Stilmixes: Grosser Spassfaktor, tanzbare Songs und ein Hohelied auf alle Freaks.

Die Aeronauten mit Sänger Guz (Mitte, mit Gitarre).

Heinz ist ein Freak, ein hängengebliebener Hippie, den in Schaffhausen alle kennen. Nun hat es Heinz in knapper Badehose und mit fettem Joint in der Hand aufs Cover des neuen Aeronauten-Album namens Heinz geschafft.

Heinz ist eine Ode auf alle Aussenseiter geworden – aber auch ein auf 45 Minuten komprimierter Fick auf das System (dazu später noch mehr), der beim Zuhören richtig Spass macht. Das kommt gerade richtig für die kalten Herbsttage, die nach Schnee und drohender Melancholie riechen.

Wobei Schnee… Ist ja auch so ein uralter Aeronauten-Song, den ich nie mehr aus dem Kopf gebracht habe.

 

Aber zurück ins hier und jetzt, in dem Aeronauten-Frontmann Oliver «Guz» Mauermann von seiner Heimat Schaffhausen aus eine Botschaft versendet: «Schaffhausen calling / the freaks of the world» heisst es im Eröffnungslied Schaffhausen callingvorgetragen in der bekannt stoischen Guz-Tonart.

«Wir alle kennen einen oder mehrere Freaks wie Heinz», sagt Guz im Gespräch über das neue Album. «Heinz und andere haben in ihrer Jugend begonnen, das Paradies zu suchen. Und als sich die Welt weiterdrehte, haben sie das nicht bemerkt.» Aber in der heutigen Zeit, in der jeder «abgebrüht und desillusioniert» sei, brauchten wir die Freaks als Gegenfigur und als Erinnerung an das, was sein könnte, sagt Songwriter Guz. So heisst es denn auch im dritten Song Heinz: «Wir verstehen zwar kein Wort / doch wir wären gern wie du.»

Nervöser Blues und blöde Disco-Musik

Und während Schaffhausen calling im bekannten Aeronauten-Stil als – sagen wir mal – intelligenter Pop mit funky Beats und Bläsersätzen daherkommt, beginnt danach der wilde Stilmix: Nervöser Blues in Mittelland trifft bald auf «blöde Disco-Musik» (Zitat Guz) in der Single Jeder ist eine Insel. Hat was, die Synthies im Refrain sind aber so elend trashig, dass sie schon fast wieder gut sind.

Beim Song Ottos kleine Hardcore Band schwenken die Aeronauten dann – wenigstens thematisch – auf die Punkrock-Schiene ein: Zu einer unüberhörbar von Iggy Pops The Passenger geklauten Akkordfolge besingt Guz ironisch-liebenswert das Bandleben auf Landstrassen und den nicht ganz so grossen Bühnen. Letztlich geht es beim Musikmachen eben um eines: «Ottos kleine Hardcore-Band / fickt noch immer das System», wie es im Lied heisst. Und dann im Refrain, der trotz hartem Mitgröl-Effekt nicht peinlich wirkt: «Woooh oooh oh oh ooh FUCK!!!»

 

Halbstark: Der Clip zu Ottos kleine Hardcore Band.

 

Die weiter oben gemachte Anleihe ans legendäre Punk-Album London Calling dürfte kein Zufall sein: Die Aeronauten sind, auch nach über 20 Jahren Bandgeschichte, Punkrocker im Herzen geblieben. «Punkrock ist bei uns, dass wir uns mittlerweile musikalisch alles getrauen, worauf wir Lust haben», sagt Guz. Musikalisch tobt sich die Band – die nebst klassischer Besetzung Gitarre-Bass-Drums schon immer auch ein Saxophon und eine Trompete einbaut – auf Heinz gleich auf drei rein instrumentalen Songs aus.

Doch noch ein Sehnsuchtssong – und ein rares Cover

Und mit Drü Täg Räge haben es die Aeronauten einmal mehr geschafft, einen dieser bandtypischen Sehnsuchtssongs zu schreiben: Unvergessen ist Freundin, ganz tief ging auch Schwarzer Fluss oder Wie es sein muss. Alles gute Songs zum Autofahren in tiefschwarzen Nächten, vielleicht auf dem Weg an irgendein Konzert.

Freundin – elementare Wahrheit in drei Akkorde verpackt:

 

Jedenfalls Drü Täg Räge: Eine schöne Beschreibung einer amour fou mit einer durchgeknallten Frau, musikalisch ganz nah am Funk und doch nicht so nervig, wie es funky shit oft ist. Und da der Song im Schaffhauser Dialekt gesungen ist, kommt der wohl schrägste Background-Chor seit langem darin vor: «Es git därig / die nehmed der alles / es git anderi / die lönd der alls zrugg», heisst es da. «Därig – anderi», tönt der Chor weiter. Schweizerdeutsch ist lustig, denkt man angesichts des Wortes «därig». Und Schweizer Bands, die mit Sprache spielen und nicht in gut klingendem, aber letztlich sinnlosem Indie-Englisch daherschwurbeln, sind eine wohltuende Ausnahme.

Sprachwitz beweisen die Aeronauten auch mit dem letzten Song auf der Plattte: Ein Cover des holländischen Songs Ik heeb geen zin op te staam der Band Het.

Jedenfalls seltsam schön und verwirrend das Ganze. Da bleibt nur, die Aeronauten auf ihrer Herbst-Winter-Tour in der Schweiz, Österreich und Deutschland zu erwischen. Es wird ziemlich sicher tanzbar und nicht allzu ernst werden. Und: Der Freak-König Heinz soll sich öfter auf den Aeronauten-Gigs rumtreiben. Er hänge meistens am Töggelikasten, heisst es.

Aeronauten-Heinz-Cover

Die Aeronauten. Heinz. Rookie Records, Veröffentlichung am 23. Oktober 2015.

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