, 31. Oktober 2014
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Agassiz schwarz-weiss und bunt

Hans Fässlers Ausstellung über den Gletscherforscher und Rassisten Louis Agassiz ist nach Grindelwald, Eggishorn und Grimsel jetzt in Teufen zu sehen. Das Zeughaus sprang ein als Ausstellungsort und erweitert die Tafeln um Werke der haitianisch-finnischen Künstlerin Sasha Huber.

An der Vernissage letzten Sonntag in Teufen war man sich nicht ganz einig – was nicht gegen, sondern für die Ausstellung und ihr kontroverses Thema spricht. Einig zwar über die Verwerflichkeit rassistischen Denkens und Handelns, uneins aber darüber, wieviel Schwarzweiss oder eben Grau- und Bunttöne ein solches Thema braucht und erträgt.

«Keiner Entwicklung fähig»

Hans Fässler, der seit vielen Jahren den Gletscherforscher Louis Agassiz als Vordenker rassistischer und eugenischer Ansichten «demontiert», hält es in der von ihm zusammen mit dem Romanisten Hans Barth konzipierten Ausstellung mit den Schwarz-Weiss-Tönen. So stellen zwei der zehn Ausstellungstafeln das 19. Jahrhundert je als «Jahrhundert der Rassisten» und «Jahrhundert der Menschenrechte» in Stichworten vor – hier Hegels Diktum von 1830, die Neger seien «keiner Entwicklung und Bildung fähig», oder Rassismus der übelsten Sorte aus der Feder des Schweizer Psychiaters Auguste Forel: «die niedrigsten Rassen sind unbrauchbar». Dort Haiti, das 1804 die Sklaverei abschafft, oder Alexander von Humboldts Proklamation der «Einheit des Menschengeschlechts».

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Jean Louis Agassiz, 1870

Weitere Tafeln dokumentieren einschlägige rassistische Äusserungen Agassiz’, den Streit zwischen Anhängern des Polygenismus (wie Agassiz) und des Monogenismus, oder zeichnen die Nachwirkungen der Rassentheorie auf die Verbrechen der Nazis nach. Agassiz, so das Fazit, «hat zur Ausarbeitung und Beglaubigung von rassistischen Konzepten und Politikentwürfen beigetragen, die im 19. und 20. Jahrhundert radikalisiert als Segregation, Apartheid, Eugenik oder Genozid praktiziert wurden.» Hier Fässlers Rede zur Vernissage.

Dem widerspricht in einer fiktiven Rede der Angeschuldigte Louis Agassiz selber – der Schweizer Bundesrat etwa habe sich 1864 vor dem Parlament entschieden rassistischer geäussert als er, führt er zu seiner Verteidung unter anderem ins Feld. Die Rede, von einem Schauspieler vorgetragen und als Video in der Ausstellung zu sehen, ist eine Arbeit der finnisch-haitianisch-schweizerischen Künstlerin Sasha Huber, die sich wie Fässler seit Jahren in der Kampagne «Démonter Agassiz» engagiert.

Die Bilder zurückerobern

Kurator Ueli Vogt hat Hubers Werke, die zuvor bereits im Shed Frauenfeld zu sehen waren, als Ergänzung zu Fässlers Agassiz-Tafeln ins Zeughaus gebracht und bringt so in der Tat ein paar Grau- und Bunttöne ins Schwarz-Weiss-Bild. So nimmt Huber die Bildsprache der Fotos auf, die Agassiz von Sklavinnen und Sklaven herstellen liess und die die «Affenähnlichkeit» der Schwarzen belegen sollten – sie lässt sich ebenfalls nackt fotografieren, an mehreren  der weltweit rund 60 nach Agassiz benannten Örtlichkeiten, etwa dem Furnas de Agassiz, einem Fels im Tijuca-Wald bei Rio de Janeiro. Die Bilder hängen neben den Originalen an der Zeughauswand. Die Künstlerin verschiebe damit die gewohnte Bild-Wahrnehmung, sagte Museumsleiter Ueli Vogt an der Vernissage, und erreiche so, «dass diese Posen ihre erniedrigende und an Gefangene erinnernde Bedeutung verlieren».

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Sasha Huber: Furnas de Agassiz, Tijuca Forest, Rio de Janeiro 2010

In einer anderen Aktion installierte Huber auf dem Agassizhorn symbolisch eine Tafel mit der Namensänderung in «Rentyhorn» – dem Namen eines der von Agassiz für seine Beweisführung missbrauchten Sklaven (siehe Bild oben). Offiziell ist die Namensänderung inzwischen gescheitert, obwohl anderswo Berge, Strassen oder andere Lokalitäten immer einmal wieder umgetauft werden, wie die Ausstellung belegt.

Ungelesen konserviert

Ihrem Titel in Teufen – «Wie die Landschaft zu ihren Namen kommt» – wird die Schau allerdings nur am Rand gerecht; über Agassiz hinaus, der sich mit ein paar Forscherkollegen beim Campen auf dem Unteraargletscher den Berg seines Namens 1842 gleich selber aussuchte, wären weitere Beispiele spannend gewesen. Dafür gibt es eine Trouvaille: Agassiz frühe Forschungsarbeit «Recherches sur les Poissons fossiles», die dank Ulrich Zellweger, einem Arzt aus der Trogner Zellweger-Dynastie, 1842 in die vor kurzem erst gegründete Kantonsbibliothek Trogen gekommen war und bis heute dort – unaufgeschnitten, also ungelesen – aufbewahrt wird. Zudem kann man in Stefan Sondereggers grundlegendem Namenbuch blättern, wenn man sich in die hiesigen Orts- und Flurnamen vertiefen will.

Dem Zeughaus und seinem pfiffigen System der «Zwischenstellung» ist es zu verdanken, dass die Ausstellung überhaupt in der Ostschweiz zu sehen ist. Und damit ein Thema aufs Tapet kommt, das weit über den Fall Agassiz von Bedeutung ist. So erinnert Fässler an den neuen, unverhohlen rassistischen Nationalismus etwa in Ungarn oder an die menschenverachtenden Forderungen nach «Internierungslagern» der helvetischen SVP. «Rassistisches Gedankengut», liest man in der Einleitung zur Ausstellung, «ist keine Erscheinung des 19. oder 20. Jahrhunderts, sondern fordert immer wieder die Wachsamkeit westlicher Zivilgesellschaften heraus.»

Zeughaus Teufen, bis 9. November. Zur Finissage am 9. November gibt es ein Streitgespräch zwischen Hans Fässler und Gottlieb F. Höpli.

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