Architektinnen und Architekten geht es gleich wie vielen anderen hierzulande: Auch für sie hört die Schweiz oft bei Winterthur auf. Die Region liege für diese Leute «zwischen Winterthur und irgendwo, allerdings zu unrecht», sagte der St.Galler Kantonsbaumeister Werner Binotto in der St.Galler Architekturwerkstatt.
Binotto blendete in seinem Referat, der ersten öffentlichen Veranstaltung des neuen Studiengangs der Fachhochschule, in die Baugeschichte zurück und stellte fest, dass die unterschiedlichen Landschaften die Bauten stark beeinflussten. Oft sei eine Überlebensstrategie nötig gewesen, gepaart mit Neugierde und Erfindungsgeist.
Urbane Strukturen im Kleinen
Die Klage über zu wenig Urbanismus in der Ostschweiz sei eigentlich falsch, denn genaues Hinschauen zeige vielerorts durchaus städtische Strukturen, nicht nur in St.Gallen. Man müsse sich aber auf das Provinzielle einlassen. Das sei sowieso nötig, denn in der Schweiz würden eben nicht – wie es generell prognostiziert wird – in Zukunft 80 Prozent der Bevölkerung in den Zentren leben. Doch es gebe urbane Strukturen im Kleinen, stellte Werner Binotto fest und verwies auf Beispiele wie Trogen oder die beiden Thurgauer Städte Frauenfeld und Bischofszell. Auch Hohenems, auf der Vorarlberger Seite des Rheins, hat einen städtischen Kern, und Altstätten hat mit den Neubauten im Zentrum in den letzten Jahren deutlich an Urbanität gewonnen.
Wenn ausserdem die Durchschnittlichkeit der Bauten in der Region kritisiert werde, so liege das auch daran, dass gemeinhin wenig Kritik ertragen werde und gewisse Dinge nicht benannt würden, wandte sich der Kantonsbaumeister an die 32 Studierenden des eben gestarteten Lehrgangs der Architekturwerkstatt. Er forderte sie auf, Haltung zu zeigen. Und er plädierte für einen kreativen Umgang mit Vorschriften. «Auf unkonventionellen Wegen ist oft mehr möglich, als es anfänglich scheint.»
Aufruf zum politischen Engagement
Zur Sprache kam auch die Zersiedelung. Die Architekten hätte durchaus das Wissen, wie man Agglomerationen verdichten könnte. Doch die Politik lege sich meist quer. Es sei leider spürbar, dass sich kaum mehr Architekten in der Politik engagierten. Im Kantonsparlament von St.Gallen sitze kein einziger mehr, «der sich gegen die falsch gestellten Fragen» wehren könnte. Binotto rief die Berufskolleginnen und -kollegen zu politischem Engagement auf. Es brauche engagierte Baufachleute in den Schulräten ebenso wie in der Gemeinde oder am Stammtisch. Gerade am Stammtisch sei manch eine Intervention besonders wirkungsvoll, weil sie Breitenwirkung habe.
Die Architekten müssten aber geeint auftreten und sich zu einer Haltung durchringen, gerade weil das Publikum die Architekten oft nicht verstehe und zu Sündenböcken stemple, wenn ein Neubau nicht gefällt. Und so ging ein weiterer Appell an die Studierenden: Der Dialog unter einander und mit den Dozierenden ist dazu ein Anfang.
- a
- b
-
Mehr zum Thema
- Porträt der gebauten Stadt
Ein Handbuch und eine iApp zur St.Galler Architektur laden zum Stadtspaziergang – Ein Beitrag von Marko Sauer.
- Von Brünn nach St.Gallen
Haus Tugendhat: Der Dokumentarfilm über die Architekturikone von Mies van der Rohe hat auch einen St.Galler Bezug. Am 18. Februar zeigt das Kinok den Film mit einer Einführung von Architekt Thomas Hungerbühler und einem Gespräch mit Ruth Guggenheim-Tugendhat. Von René Hornung
- Was am Bahnhof Nord entstehen könnte
Am Tisch hinter den Gleisen wurden Ideen fürs kränkelnde Gebiet Bahnhof Nord gesammelt: Angedacht sind etwa eine Markthalle, genossenschaftliche Wohnprojekte und viel Raum für Kultur.
- Saiten im Januar: Knackpunkt Agglo
Ein Heft über Gross-St.Gallen. Mit Drohnenbildern, Plastik-Traktoren und Steuervergleich. Ausserdem: Tiefenbohrungen im Roman. Liechtis Vermächtnis. Und ein Darm.
- Provinz der Reichen
Der deutsch-französische Sender «arte» hat St.Gallen besucht. Das Porträt in der Reihe «Metropolis» stellte Roman Signer, Jonas Knecht, Martin Leuthold und Velvet Two Stripes ins Zentrum. Saiten hat geschaut und sah zwei verschiedene Filme...
- 50er-Jahre-Schönheit: Goldzackhalle zu verkaufen
Die «Goldzackhalle» in Gossau ist ein Baudenkmal der 1950er-Jahre. Ihre architektonische Bedeutung ist unbestritten. Der Bau ist zwar im Bundesinventar aufgeführt, aber es gibt für ihn keine Schutzverfügung. Jetzt steht die Halle zum Verkauf.
- Abbrechen und zubauen oder schützen und bewahren
Die Abstimmungsresultate sind klar: Die Bevölkerung will die wilde Bauerei in den Griff bekommen, und sie hängt an identitätsstiftenden Ortsbildern. Doch die jüngsten Entwicklungen aus St.Gallen und Appenzell Ausserrhoden zeigen: Die Baulobby lässt sich kaum bremsen.
- Architektur schauen
Am kommenden Wochenende zeigen Mitglieder des SIA, des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins, in der ganzen Schweiz der Öffentlichkeit, was sie in den letzten Jahren an Vorzeigebauten realisiert haben.
- Architektur, gesellschaftlich relevant
Vorbildliche Architektur ist ab Dienstag im Kulturkonsulat in St.Gallen zu sehen: Projekte vom Flusslauf bis zur Wohnüberbauung, die der SIA ausgezeichnet hat.
- Bauen für Menschen und Autos
Aus der Zeit, als das Rathaus noch braun, die Taxis rot und die Busse grün waren, gibt es weit mehr gute Bauten als das Theater oder die Universität. Das zeigt die Ausstellung der städtischen Denkmalpflege im Rathaus zur Architektur der Nachkriegszeit.
- Das Kulturplatz-Aus
Was die Fachjury überzeugte, gefällt dem St.Galler Stadtrat nun doch nicht – auch nach der einjährigen Überarbeitung nicht. Es wird im Museumsquartier keinen Kulturplatz geben. Die Finanzen spielten dabei eine Rolle, aber nicht nur.
- Die Besten: Bücher, Bauten und Pärke
Am 6. Dezember vergibt «Hochparterre», die in Zürich erscheinende Zeitschrift für Architektur und Design, die jährlichen Auszeichnungen für die «Besten» aus den Bereichen Architektur, Landschaftsgestaltung und Design. Sechs Nominationen stammen aus der Ostschweiz.
- Die neue Liebe zu den Fünfzigerjahren
Zwei auf den ersten Blick unspektakuläre Industriebauten aus den 1950er-Jahren in der Stadt St.Gallen stehen vor Veränderungen: Das einstige Expresspostgebäude an der Leonhardstrasse und die frühere City-Garage im Lerchenfeld. Bei beiden lohnt sich genaues Hinschauen.
- Die sieben Knackpunkte zur Agglo-Zukunft
Die Rezepte für die Zukunft der Agglomerationen sind widersprüchlich. Eine Auslegeordnung und Fragen an den St.Galler Kantonsplaner Ueli Strauss.
- Ein Turm und eine Plaza Mayor
Vier Architekturbüros haben für das Areal Bahnhof Nord in St.Gallen in den letzten Monaten Testplanungen erarbeitet. Seit heute kennt man das Ergebnis, und es herrscht rundum Zufriedenheit.
- Kann St.Gallen urban werden?
Was passiert mit den freien Flächen auf der St.Galler Bahnhof-Nordseite oder mit dem Güterbahnhofareal? Eine Diskussion in der Lokremise brachte keine konkreten Antworten.
- Lernen von den Grubenmännern
Das Grubenmann-Museum im Zeughaus Teufen erforscht sich selber: Es stellt ein Projekt der ETH Lausanne zur Baukunst der Baumeister-Dynastie vor und ergänzt es mit künstlerischen Interventionen.
- Stadtentwicklung: 2014 war ein Nullerjahr
Was entschied die St.Galler Stadtregierung letztes Jahr zur Stadtentwicklung und in Bau- und Planungsfragen? Wenig, was uns weiter bringt: 2014 war so gut wie ein Nullerjahr.
- Swica-Neubau: Gut eingepasst?
Strahlend weiss und von monotonen schwarzen Fensterbändern durchzogen – so präsentiert sich der Neubau der Krankenkasse Swica an der Teufenerstrasse 5 in St.Gallen. Ein Beispiel mehr von missratener Stadterneuerung.
- Tabula rasa im Wasserwerk
Im Sommer 2010 hatte die Stadt St.Gallen die Filterhalle ihres Wasserwerks Riet in Goldach abbrechen lassen – damit verschwand eine Architekturikone, noch bevor die Denkmalpflege sich zu Wort meldete. Jetzt soll auch der Rest der Anlage geschleift werden – doch diesmal steht die Denkmalpflege auf der Matte.
- Unter den «Schemel» gefallen
Der Heimatschutz SG/AI zeichnet die offene Planung rund um den St.Galler Bahnhof Nord mit seinem «Goldenen Schemel» aus. Den Preis erhält die Stadtverwaltung, vergessen geht dabei die Basis rund um den «Tisch hinter den Gleisen». Dafür gebührt dem Heimatschutz ein rostiger Kübel.
- Verdichten – und zusammen leben
Verdichten – aber wie? Heute abend wird in St.Gallen über neues Bauen diskutiert, das Ökologie mit sozialer Nachhaltigkeit verbindet. Und in Teufen geht die Debatte um den Ortsbildschutz weiter.