, 28. August 2020
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Auf dem Trittbrett die Ruckhalde hoch

Vor einem Jahr präsentierte die «IG Ruckhalde» ein Konzept für gemeinnützigen Wohnungsbau am Hang, über den früher die Appenzellerbahnen fuhren. Nun kommt die Baulobby hinterher und verlangt, dass hier kommerzielle Investoren bauen dürfen – und präsentiert sich nicht nur mit dem fast gleichen Titel, sondern auch mit abgekupferten Konzeptideen.

Die Ruckhalde soll als gemeinschaftliches Wohnquartier genossenschaftlich überbaut werden. (Bilder: pd)

Das Gerangel um die grösste baureife Parzelle in Zentrumsnähe ist nicht neu. Stadtplaner Florian Kessler liess schon vor längerem durchblicken, dass sich mehrere Investoren für das Areal interessieren. Darunter auch grosse Generalunternehmen im Verbund mit Banken.

Damit hier nicht eine der immer gleichen, konventionellen Renditeüberbauung entsteht hat sich im Sommer 2019 die «IG Ruckhalde» zusammengefunden und mit einem bis weit in die Details ausgearbeiteten Konzept gemeldet. Vorgeschlagen wird eine Projektentwicklung, an der sich die Zivilgesellschaft beteiligen kann. Es gehe um «gelebte Nachbarschaften» die bestehende Quartierstrukturen der Umgebung mit berücksichtig.

Die «IG Ruckhalde» will, dass Quartiervereine und der Familiengartenverein früh mit ins Boot genommen werden.

Angedacht ist ein gemeinnütziger, respektive genossenschaftlicher Wohnungsbau. Denn günstige Genossenschaftswohnungen gibt es in St.Gallen bisher vergleichsweise wenige. Genossenschaften verrechnen eine Kostenmiete, denn sie müssen keinem kommerziellen Investor eine Rendite abliefern.

Aus der Stadt Zürich mit ihrem hohen Anteil an Genossenschaftswohnungen weiss man, dass solche Wohnungen bis zu 25 Prozent günstigere Mieten aufweisen. Zudem schlägt die «IG Ruckhalde» eine autofreie Siedlung vor, auch davon gibt es in St.Gallen bisher nur Einzelbeispiele.

«Renditeversagen»

Und nun tritt – unter dem fast gleichen Titel – aus der Ecke der Wirtschaftsförderung und des Hauseigentümerverbandes die «IG Zukunft Ruckhalde» an und behauptet, ohne kommerziellen Investor lasse sich an dieser steilen Hanglage kein Projekt realisieren. Bei einem gemeinnützigen Wohnungsbau komme es hier zu einem «Renditeversagen». Es brauche weder eine Projektentwicklung unter Beteiligung der Zivilgesellschaft noch eine autofreie Siedlung.

Auch die Freihaltung des gesamten ehemaligen Trassees der Appenzellerbahnen geht dieser Gruppe zu weit. Sie verlangt die Ausschreibung des Areals über einen Gesamtleistungswettbewerb und schlägt bereits eine Aufteilung in Baufelder vor. Das Resultat solle dann ein Mix aus herkömmlichen Miet- und hochpreisigen Eigentumswohnungen sowie gemeinnützigem Wohnen sein.

Die Investoren kleiden sich in ein grün-soziales Mäntelchen und schmücken ihr Konzept auch mit den Schlagworten aller modernen Investments. Sie sprechen von Freiräumen, begrünten Fassaden und Terrassen, von urban gardening, einer Kita und Coworking-Räumen. Es sollen «nachhaltige Baumaterialien» eingesetzt werden und «energetische Leuchtturmkonzepte» umgesetzt werden.

Sie reden von «kombinierter Mobilität» und übernehmen die von der ursprünglichen «IG Ruckhalde» lancierte Idee einer zusätzlichen Haltestelle der Appenzellerbahnen im Riethüslitunnel. Die kommerziell ausgerichtete «IG Zukunft Ruckhalde» nimmt dann für sich in Anspruch, den weiteren Prozess der Überbauung zu begleiten. Bis hin zu «einem verbindlichen Verfahren, damit ein Gesamtleistungswettbewerb für das Gesamtareal eingeleitet werden kann».

Rührendes Argument

Bei all den betonten Gemeinsamkeiten mit der ursprünglichen «IG Ruckhalde» bleibt ein schaler Nachgeschmack. Haben die Investoren und der Hauseigentümerverband erst jetzt realisiert, dass sie hier den Zug verpassen? Möchten sie nun noch aufs Trittbrett aufspringen?

Die ursprüngliche «IG Ruckhalde» findet es in einer ersten Stellungnahme zwar richtig, dass sich verschiedene Stimmen zur Zukunft dieses Areals melden. Kein Verständnis aber hat man hier und beim Ostschweizer Regionalverband der Wohnbaugenossenschaften aber für das prognostizierte «Renditeversagen».

«Wirklich rührend», kommentiert der Geschäftsführer des Verbandes, Köbi Konrad. Der Verband und die ursprüngliche «IG Ruckhalde» unterstreichen beide die wichtige Rolle der Stadt. Sie vergibt das Baurecht und sie wird Vorgaben machen.

«Der politische Wind hat gedreht», erinnert die «IG Ruckhalde» die Investoren und den Hauseigentümerverband. Der genossenschaftliche Wohnungsbau spiele heute eine wichtigere Rolle. Und dass ein solches Projekt gelingen könne, zeigten verschiedene Beispiele in der ganzen Schweiz. Auch in St.Gallen lasse sich eine grosse gemeinnützige Siedlung mit gegen 400 Wohnungen erfolgreich realisieren.

Klar ist für die Initianten auch, dass autofreie Siedlungen keine Utopie mehr sind und es ohne Tiefgaragen geht, denn die verursachen nur hohe Kosten. Kurz: Es dürfe nicht sein, dass auf dem Ruckhaldenhang ein weiteres ödes Neubauquartier entstehe.

4 Kommentare zu Auf dem Trittbrett die Ruckhalde hoch

  • Peter Honegger sagt:

    Was ALLEN dient, schaffen nur GENOSSENSCHAFTEN.
    Darum, mischt euch ein Leute.

  • Bärlocher Désirée sagt:

    Wie spricht mir Peter Honegger aus dem Herzen!!! Ich wünsche mir, dass auch die Stadt das so sieht, dass eine solche Genossenschaftsüberbauung, wie sie die IG Ruckhalde plant, von grosser Wichtigkeit sind und für wenigstens 1x die Investoren „ausgeschaltet“ werden.

  • Robert Hutter sagt:

    Es wäre doch eine grosse Chance, bei dieser Gelegenheit als Genossenschaft, die Fäden nicht in die Hände von „renditesüchtigen“ Investoren zu legen. Die Wohnqualität und das Nebeneinader von Alt und Jung und Familien und Rentnern soll im Vordergrund stehen.

  • Philipp Stuedli sagt:

    Fände schön es klappt wie ursprünglich erwähnt.
    Für Rentner, Kinder und Autofrei vielleicht nicht unbedingt der passenste Ort, da waren in Vergangenheit die Renditeorientierten wacher, so traurig es anzuschauen ist.

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