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Aus dem Tiefschlaf erwacht
Die Winterthurer Band Plankton veröffentlicht nach einer mehrjährigen Pause ihr neues Album Boule. Ihr gelingt damit musikalisch wie inhaltlich eine überzeugende Rückkehr.
Es ist eine der schönsten Überraschungen der Schweizer Musikszene in diesem Jahr: Plankton veröffentlichen heute ihr neues Album Boule. Mehr als 25 Jahre nach ihrer Gründung beginnt für die Winterthurer Indie-Pop-Band damit so etwas wie die zweite Karriere. Und die neue Platte zeigt einmal mehr, was für ein Glück es ist, dass die fünf Musiker nicht tschutten können.
15 Jahre ist es her, seit Plankton ihr drittes uns bisher letztes Studioalbum Rätselkönig veröffentlicht haben, ein wunderbares Kleinod des Mundartpop. 2010 folgte das Remix-Album Elektronisch, doch danach wurden die Lebenszeichen der Band immer rarer. Bis 2015 spielten Plankton noch vereinzelte Konzerte, ehe sie komplett von der Bildfläche verschwanden. Keine neue Musik, keine Konzerte, auch keine Proben, nichts. Die einstige Schülerband war erwachsen geworden, die Musiker hatten inzwischen Jobs und Familien, einige zogen in andere Städte. «Wir trafen uns alle zwei Jahre, um bei einem Znacht die Tantiemen zu verputzen», sagt Reto Karli.
Während Plankton auf Eis lagen, arbeiteten der Sänger und Bassist Vincent Hofmann weiterhin gemeinsam an Musikprojekten. Karli veröffentlichte 2016 sein gleichnamiges Solodebüt, bei dem ihn Hofmann beim Texten unterstützte. 2017 erschien das erste Album des Spoken-Word-Projekts Antipro, eines interdisziplinären Künstler:innenkollektivs, bei dem die beiden Musiker mitwirkten. Diese fortwährende Zusammenarbeit der beiden Musiker hielt gewissermassen auch Plankton am Leben, als die Gruppe nicht viel mehr als eine Erinnerung war.
Eine Reflexion über das Musikerdasein
2020 erhielt Karli vom Theater am Gleis in Winterthur eine Carte blanche für einen Auftritt am Molton-Festival im folgenden Jahr, das wegen Corona allerdings nicht stattfinden konnte. «Vincent und ich hatten gerade ein paar Songs geschrieben, die ich mir gut für Plankton hätte vorstellen können. Also fragten wir die anderen, ob sie Lust hätten, die Band wiederzubeleben», erzählt der Sänger. Mit dem neuen Keyboarder Dominic Bretscher begann das Quintett, wieder gemeinsam zu musizieren. «Wir mussten uns als Band neu entdecken und viel proben, bis wir wieder eingespielt waren», sagt Hofmann.
Anfang 2022 gaben Plankton am Molton-Festival schliesslich ihr Livecomeback. Das Konzert sollte eine Art Standortbestimmung sein: «Wir wollten schauen, wie es sich anfühlt, wieder gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Und ob wir überhaupt Bock haben, nicht nur ein paar neue Songs live zu spielen, sondern weiterzumachen und ein ganzes Album aufzunehmen», sagt Karli. Für die beiden «kreativen Leiter» der Band – der Bassist schreibt die Texte, der Sänger komponiert die Musik – stand schon nach den ersten Songs fest, dass es ein Album geben sollte und nicht bloss eine EP. «Wenn wir etwas aussagen wollen über uns und unsere Gegenwart als Band, geht das auf Albumlänge am besten.»
Eine Reflexion über das Leben
Das gelingt Plankton durchs Band: Boule ist eine schöne Reflexion über das Leben. Es geht ums Älterwerden, um Selbstfindung und -erfüllung, um die Suche nach seiner Rolle in der Gesellschaft, um den Sinn des eigenen Tuns, gerade als Musiker über 40. Der Schlüsselsong der Platte ist Werum immer Musig mache, eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Schaffen, das mehr ist als ein reines Hobby. Da heisst es:
«Werum immer Musig mache
wänn doch alles ander zellt
wänn du dänn gliich nume gschpürsch
wie sehr dir alles andri fählt.
Werum i de Chäller abe
wämmir doch au dusse chönd
schtell der vor was möglich wär
wämmir etz all usegönd.»
«Es geht um die Identität, die einem so eine Band geben kann», sagt Hofmann. «Wir könnten auch rausgehen zum Bräteln und würden den Abend in schöner Erinnerung behalten. Aber es ist die Musik, die uns damals als Kollegen an der Kanti zusammengeführt hat, und sie hat uns jetzt wieder vereint. Wir haben musikalisch noch nie so gut harmoniert. Darum lohnt es sich, immer noch regelmässig in den Luftschutzkeller zu gehen.»
Wunderbar ist auch, wie sich Plankton in diesem Song selbst referenzieren:
«So vill Frage und du tuesch
als obs nur ei Antwort gäb
nume will du nid chasch tschutte
bisch du no lang kei Band.»
Es ist eine Anspielung auf ihren Mini-Hit von 2005 Die wo nid chönd tschutte, in dem sie behaupteten: «die mached e Band».
Viel Liebe zum Detail
Mit Boule ist «Winterthurs ältester Boygroup», wie sie sich selbst nennen, jedenfalls ein sehr schönes, rundes und stimmungsvolles Album gelungen. Eines, das man mit jedem Hördurchgang noch ein bisschen mehr ins Herz schliesst. Und auf dem sie ihre Musik dezent erneuern. Bevor Plankton ins Studio gingen, um die ersten paar Songs aufzunehmen, gaben sie sie zur Auffrischung dem Berner Schlagzeuger Rico Baumann. Er verpasste den Songs einen sanften elektronischen Anstrich und verfeinerte die Arrangements. Es ist diese Liebe zum Detail, die im ganzen Album zu hören ist und die Musik von Plankton so liebenswürdig macht.
Die Wiederbelebung von Plankton soll nicht einfach ein kurzzeitiges Auftauen sein. Doch Schlagzeuger Dominik Deuber, seit 2007 in der Band und seit 2020 Direktor des Musikkollegiums Winterthur, übernimmt im August die Leitung des Bereichs Orchester, Chor und Konzerte des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und zieht mit seiner Familie nach Hamburg. «Er will künftig nach Winterthur pendeln, um weiterhin mit uns zu spielen», sagt Vincent Hofmann. Plankton werden jedoch über kurz oder lang wohl nicht darum herum kommen, einen Zweitschlagzeuger zu suchen. Doch wer einen jahrelangen Tiefschlaf überstanden hat, den schläfert so etwas bestimmt nicht ein.