, 23. September 2020
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Bald Stadt für alle?

Es geht vorwärts in der Stadt St.Gallen. Das Postulat für eine «City Card für alle» wurde für erheblich erklärt und auch dem neu erarbeiteten Partizipationsreglement hat das Parlament am Dienstagabend zugestimmt. 

Bilder: Saitengrafik

Etwa sieben Stunden dauerte die Sitzung des St.Galler Stadtparlaments gestern Abend in der Olma-Halle 2.1, rund 20 Traktanden wurden beackert, darunter auch die neuerliche Machbarkeitsstudie für eine Überdeckung des Bahnhofs St.Fiden oder die Mitsprache des Parlaments in Sachen verlängerte Ladenöffnungszeiten.

Es ging an der Open-End-Sitzung aber nicht nur städtebaulichen Grössenwahn und bereitwillige Zugeständnisse an die «Tourismusstadt», sondern auch um die Menschen, die hier leben. Insgesamt drei Geschäfte befassten sich mit Sans-Papiers bzw. mit Jugendlichen, verbeiständeten Menschen und Migrantinnen und Migranten.

Vorstoss für alle ab 13

Traktandum 5 behandelte die «Neuordnung der Partizipation von Bevölkerungsgruppen in der Stadt St.Gallen» sowie den «Erlass eines neuen Partizipationsreglements». Das alte Reglement aus 2006 war nicht mehr zeitgemäss, insbesondere die politische Teilhabe von Personen ohne Stimmrecht war schlecht geregelt und auch schlecht genutzt. Deshalb liess die Stadt einen Grundlagenbericht und ein neues Reglement erarbeiten, partizipativ selbstverständlich, das Anfang Mai vorgestellt wurde.

Gestern hat das Parlament dem neuen Partizipationsreglement zugestimmt (40 Ja, 17 Nein, 2 Enthaltungen). Mit einer wesentlichen Änderung, eingebracht von der Kommission für Soziales und Sicherheit (KSSI): Neu sollen alle, die in der Stadt wohnen und älter als 13 sind, berechtigt sein, einen Bevölkerungsvorstoss einzureichen. Dieser muss von mindestens 15 Personen eigenhändig unterzeichnet sein und die üblichen Vorgaben wie Antrag und Begründung beinhalten.

Dieser Entscheid ist mehr als erfreulich, denn er betrifft nicht nur Jugendliche und verbeiständete Personen, sondern auch andere Menschen, die bis jetzt kein oder kaum politisches Mitspracherecht genossen. Migrantinnen und Migranten sowie Menschen ohne Bleiberecht. Ein wichtiger Schritt Richtung Stimm- und Wahlrecht für alle.

City Card: zumindest ein Anfang

Später am Abend ging es um das Postulat «St.Gallen für alle – Einführung einer städtischen Identitätskarte (City Card) für alle Stadtbewohner*innen» von Christian Huber (Junge Grüne) und Jenny Heeb (SP). Sie hatten den Stadtrat Ende April gebeten, in Anlehnung an die Resultate von Zürich die rechtlichen Abklärungen zu treffen und Bericht darüber zu erstatten, wie und in welcher Form die Einführung eines städtischen Identitätsausweises («St.Galler City Card») realisiert werden könnte.

In seiner Antwort vom 23. Juni 2020 beantragte der Stadtrat, das Postulat für erheblich zu erklären. Dies obwohl grundsätzlich fraglich sei, «ob eine solche Vorgehensweise mit übergeordnetem Recht vereinbar ist». Trotzdem ist er der Ansicht, dass aktiv der Austausch mit Verantwortlichen in anderen Städten gesucht werden soll, gerade mit der Stadt Zürich, welche Rechtsgutachten in Auftrag gegeben hat, um daraus die nötigen Schlüsse für St.Gallen ziehen zu können». Die KSSI kam mehrheitlich zum selben Schluss.

So hat sich Saiten die City Card im Januarheft 2020 vorgestellt.

Das Parlament stimmte dem Antrag überraschend deutlich zu (35 Ja, 20 Nein, 4 Enthaltungen, wobei eine Ja-Stimme nicht gezählt wurde, weil das Gerät nicht funktionierte). Davor wurde rege diskutiert.

Die CVP/EVP-Fraktion sprach sich gegen eine Erheblichkeitserklärung aus, die FDP mehrheitlich ebenfalls. Die SVP sowieso. Sie verlangte, dass die Daten der Sans-Papier an den Bund weitergegeben werden sollen, falls das Postulat überwiesen werde. Übergeordnetes Recht solle geachtet und umgesetzt werden. Das Postulat diene nur dazu, Wege zu finden, um Bundesrecht zu umgehen.

Das Ja zum Postulat ist ein Anfang. Es heisst zwar nicht, dass St.Gallen demnächst die City Card einführt, aber zumindest ist man bereit, die Rahmenbedingungen für eine Einführung zu prüfen. Das Rechtsgutachten aus Zürich wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Erwartet wird es Ende Oktober.

Einkaufsgutscheine für Sans-Papiers

Ebenfalls erfreut zur Kenntnis genommen wurde gestern die Antwort des Stadtrates auf die Interpellation «Unterstützung für Sans-Papiers» der SP-JUSO-PFG Fraktion. Sie wollten vom Stadtrat wissen, wie er die Situation von Sans-Papiers in der Stadt St.Gallen beurteilt, welche konkreten Unterstützungsangebote bereitgestellt werden, ob der Zugang für eine ausreichende Gesundheitsversorgung gewährleistet ist und ob er grundsätzlich und in der aktuellen Krise bereit ist, finanzielle Unterstützung bereitzustellen.

Der Stadtrat anerkannte in seiner Antwort die prekäre Lage von Sans-Papiers und verwies auf seine «indirekte Unterstützung» via zivilgesellschaftliche Netzwerke und Hilfsangebote. Man setze sich dafür ein, dass «Sans-Papiers, die seit mehreren Jahren in St.Gallen leben, unter transparenten Bedingungen regularisiert und in den geregelten Arbeitsmarkt integriert werden», ausserdem soll der Bedarf für Massnahmen evaluiert werden.

Was die finanzielle Hilfe in der Coronakrise angeht, will der Stadtrat «die mit der Abgabe von nothilfebetrauten Stellen SRK und Caritas bei begründetem Bedarf mit Einkaufsgutscheinen unterstützen». Dieser Beitrag könne «als einmalige Entnahme» aus dem städtischen Integrationskredit entnommen werden.

Die Bereitschaft des Stadtrates ist also da – jetzt müssen die erwähnten Stellen nur noch von dieser wissen. Laut Jenny Heeb (SP) ist das bisher nicht der Fall. Sie habe bei der Caritas, der SRK und auch bei der «IG Sans-Papiers» nachgefragt. Stadträtin Sonja Lüthi versprach nach diesem Votum, sich bei den Betreffenden zu melden.

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