, 27. Januar 2012
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Bank Wegelin ist Geschichte

Seismologen melden eine Erschütterung im St.Galler Machtzentrum. Die Privatbank Wegelin unter dem geschäftsführenden Teilhaber Konrad Hummler ist am Ende. Die Bank wird an Raiffeisen verkauft – ausser dem USA-Geschäft. Gier und Selbstüberschätzung hatten zum Ende der ältesten Privatbank der Schweiz geführt. Erstes äusseres Zeichen des Paukenschlags ist bisher  die abgeschaltete Homepage der Bank, auf der […]

Seismologen melden eine Erschütterung im St.Galler Machtzentrum. Die Privatbank Wegelin unter dem geschäftsführenden Teilhaber Konrad Hummler ist am Ende. Die Bank wird an Raiffeisen verkauft – ausser dem USA-Geschäft. Gier und Selbstüberschätzung hatten zum Ende der ältesten Privatbank der Schweiz geführt. Erstes äusseres Zeichen des Paukenschlags ist bisher  die abgeschaltete Homepage der Bank, auf der nur noch die Medienmitteilung über die Übernahme zu sehen ist. Die Auswirkungen gehen aber in St.Gallen über die Aufgabe einer mittelgrossen Bank hinaus und sind auch politisch zu lesen. Hummler galt als wichtige Figur im Netzwerk  der neoliberalen Staatsabbauer. Der Fall der Bank trifft auch diese Kreise ins Mark.
Hier dazu der «Saiten»-Artikel von Kaspar Surber über Konrad Hummler von 2008. Der Text ist seit heute auch als geschäftlicher Nachruf zu lesen:
Hummlers Hofstaat

Was erzählen ein Staatsanwalt, ein Architekt, ein Dirigent, ein Lobbyist und ein Redaktor über den Privatbanker Konrad Hummler, der innert zehn Jahren zum St.Galler Feudalherrscher aufgestiegen ist? Natürlich nur das Allerbeste. Nur ist das höchst unerfreulich. von Kaspar Surber

Der Mann gegenüber heisst Dave Zollinger. Er wirkt nervös. Neben ihm sitzt eine PR-Frau. Als wir uns verabredet hatten, war von ihrer Anwesenheit keine Rede.

Vor drei Jahren ist im deutschen Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» ein bemerkenswerter Artikel erschienen. Das Thema war das Schweizer Bankgeheimnis, zwei Antipoden standen sich gegenüber: hier Konrad Hummler, Teilhaber der Privatbank Wegelin & Co., in seiner «herrschaftlichen» Bank mit «holzgetäfelter» Schalterhalle. Hummler, der Verfechter des Bankgeheimnisses. Dort Dave Zollinger, Chef der Geldwäscherei- und Rechtshilfeabteilung der Zürcher Staatsanwaltschaft, über einer «Autovermietung in einem gräulichen Bürogebäude». Zollinger, der kritische Ermittler.

In diesem Frühling 2010 sitzt Zollinger nicht mehr im gräulichen Bürogebäude, sondern in einem Sitzungszimmer nahe beim Paradeplatz. Es ist die Zürcher Niederlassung von Wegelin. Einen Monat nach Erscheinen des Artikels hatte der Staatsanwalt gekündigt und wurde in die Geschäftsleitung der Privatbank aufgenommen.

Herr Zollinger, wie ist es zu diesem Stellenwechsel gekommen?
«Ich hatte mich 2007 um das Amt des Bundesanwaltes beworben und war bis in die letzte Runde gekommen. Es war mir klar, dass der Entscheid ein politischer und nicht nur ein fachlicher sein würde. Ich bin bei der SVP, Christoph Blocher war damals Justizminister. Ich musste annehmen, dass er sich nach dem Entscheid nicht den Vorwurf der Vetternwirtschaft gefallen lassen konnte. Also brauchte ich einen Plan B.»
Wie sah er aus?
«Mit meinem Hintergrund, als spezialisierter Staatsanwalt auf Finanzmarktdelikte, blieb als Alternative nur ein Finanzinstitut. Konrad Hummler war mir schon früher aufgefallen. Seine Ansichten fand ich cool, untypisch. Also habe ich ihm geschrieben: <Ich kandidiere für das Amt des Bundesanwaltes. Bei ihrer Bank möchte ich auch gerne arbeiten.> Es folgten zwei längere Gespräche mit ihm und seinem Partner Otto Bruderer. Mit dem <Spiegel>-Artikel hat sich das überschnitten.»
Sie waren sieben Jahre lang Chef der Zürcher Geldwäscherei- und Rechtshilfeabteilung.
Welches war Ihr interessantester Fall?
«Im Alltag ging es meist um Rechtshilfeverfahren mit Deutschland: Zur Hälfte waren Bankunterlagen das Thema. Es gab auch spezielle Sachen: 2003 konnten wir hundert Millionen Potentatengelder Peru zurückschaffen. Wir hatten auch eine Reihe grösserer Korruptionsverfahren zu bewältigen.»
Zollinger beugt sich nach vorne und lacht: «Aber Wegelin habe ich ja nicht im Rahmen eines Verfahrens kennengelernt. Damit hatte das alles nichts zu tun.»
Es geht doch darum: Sie stellen Ihr ganzes Know-How in der Strafverfolgung von Steuerdelikten einer Privatbank zur Verfügung.
«Sicher. Aber was ist daran zu kritisieren?»
Wie setzen Sie ihr Wissen ein? Ihre jetzige Tätigkeit ist mit «Neue Märkte» umschrieben.
«Es geht um neue Märkte für Wegelin, ausserhalb des deutschsprachigen Raums. Welche genau, das kommunizieren wir nicht nach aussen. Bei den meisten Banken arbeiten Fachleute wie ich im Rechtsdienst, doch das ist reaktiv. Meine Aufgabe ist es, Risiken im Voraus vermeiden zu helfen. Vorne an der Front.»
Sie sagen, vorne an der Front. Sie sind Mitglied der Geschäftsleitung. Wie lukrativ war das Angebot von Wegelin?
«Im Vergleich dazu, was man beim Staat verdient, ist fast alles lukrativ. Wobei Wegelin noch eine bescheidene Bank ist. Es ist ein Teil des Geschäftsmodells, die Mitarbeiter nicht primär über den Lohn zu motivieren. Ich würde sagen: Ich verdiene anständig, aber nicht unanständig.»

Dave Zollinger schreibt auch Artikel für die «Weltwoche», in denen er eine Abgeltungssteuer fordert. Diese Steuer ist der Vorschlag seines Chefs, um das Bankgeheimnis zu retten. Zollinger sagt: «Ich war schon immer für den Grundsatz: Geld statt Daten.»
Und dann sagt er noch: «Welche Lösung man auch immer findet, um zu Weissgeld zu kommen: Es kann immer nur darum gehen, die Richtung anzugeben. Das Verhalten der Menschen lässt sich nicht mit Gesetzen alleine ändern. Das Gesetz gilt nur für die Dummen, Armen und Ehrlichen. Wer reich oder intelligent genug ist, wird immer einen Weg durch die Maschen finden.»

«Querdenker»

Das ist die Geschichte über Konrad Hummlers Rolle in St.Gallen und darüber hinaus. Ich habe sie journalistisch recherchiert. Aber ich schreibe sie auch als einer von 74’000 Einwohnern dieser Stadt. Wir haben hier ein massives demokratisches Problem.
In seinem Umfeld und von den meisten Medien wird er gerne als «Querdenker» bezeichnet: Konrad Hummler, 57, aufgewachsen als Sohn des freisinnigen Stadtpräsidenten Alfred Hummler. Studium der Rechtswissenschaft in Zürich, daneben Chefredaktor der «Schweizerischen Hochschulzeitung». Begeisterter Militarist, bis zum Oberst im Generalstab. Aufstrebendes Kadermitglied bei der damaligen Bankgesellschaft, bis ins Vorzimmer von Robert Holzach (als persönlicher Assistent allerdings vor allem mit dem Umbau der bankeigenen Liegenschaften am Zürcher Rennweg beschäftigt). Seit 1991 ist Hummler Teilhaber der Bank Wegelin.
Was hat es auf sich mit dem «Querdenker»? Als 1974 die Studentenzeitschrift «Prisma» die Frauenbefreiungsbewegung FBB eine Sondernummer gestalten liess, mit einer nackten Frau auf dem Cover und aus heutiger Sicht moderaten Texten, reagierte Hummler in seiner Hochschulzeitung heftig: «Das FBB-<Prisma> ist einfach unanständig oder zutreffender saumässig.»
Als 1989/90 der Fichenstaat, der mehr als 900’000 Bürgerinnen und Bürger überwachte, aufgeflogen war, veröffentlichte der «Trumpf Buur» (eine Werbeaktion der Kalten Krieger) die Broschüre «Staatsschutz im freiheitlichen Staat». Die Autoren waren Konrad Hummler als Präsident von «Trumpf Buur» sowie Peter Weigelt, sein Geschäftsführer und späterer FDP-Nationalrat. In der Broschüre wird die weitere Notwendigkeit des Staatschutzes begründet, als Feindbilder werden neuerlich Linke beschworen.

Als im Sommer 2009 mit der Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA die Unterscheidung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung bereits gefallen war, proklamierte Konrad Hummler die Idee seiner Abgeltungssteuer und gab den Ausstieg aus dem Amerika-Geschäft bekannt. Als Jugendlicher stand Hummler übrigens bei Vietnam-Demonstrantionen mit dem Megafon am Strassenrand und rief Pro-Amerika-Parolen.
Man kann das alles quer gedacht nennen. Oder auch einfach zeitlich verpeilt. Hummler kommt regelmässig zu spät, aber das mit lautem Geschrei. Je weiter weg von St.Gallen, desto erbarmungsloser wird die Kritik. «Alle sind ahnungslos, ausser Konrad Hummler», spottete kürzlich Daniel Binswanger, der politische Kolumnist des «Tages-Anzeiger»-Magazin.
Die Geschichte von Konrad Hummler ist nicht die Geschichte eines «Querdenkers». Es ist eine Geschichte von Käuflichkeit: von Liegenschaften, von Kultur, von Politik, von Ideologie und von Menschen.

Feudalismus

Wegelin & Co. bezeichnet sich mit Gründungsjahr 1741 gerne als älteste Bank der Schweiz. Im historischen Lexikon der Schweiz lässt sich nachlesen, dass es schon früher Banken gab, beispielsweise den Basler Stadtwechsel. Korrekt wäre es allenfalls, von der ältesten noch existierenden Bank zu sprechen. Im Gegensatz zu den noblen Genfer Privatbanken blieb sie zudem lange Zeit nur das Nebengeschäft von Textilhändlern: Erst Ende des 19. Jahrhundert konzentrierte man sich auf die Vermögensverwaltung.

Im Grunde hat Wegelin eine kurze Geschichte, die vom Aufstieg der Finanzwirtschaft zur Leitindustrie erzählt: Als Konrad Hummler 1991 bei der Bank eingestiegen ist, zählte sie dreissig Mitarbeitende und verwaltete ein Anlagevermögen von einer Milliarde Franken. 2003 waren es bereits 230 MitarbeiterInnen und sieben Milliarden. Heute sind es rund 700 Mitarbeiter und 26 Milliarden. In der Finanzkrise wird man vom Geldabfluss bei den Grossbanken profitiert haben.
Weitere Zahlen gibt Wegelin nicht bekannt, eine Privatbank ist nicht zu einem Geschäftsbericht verpflichtet. Die PR-Frau lässt mitteilen, man «kommuniziere entsprechend zurückhaltend über die Aufteilung des verwalteten Vermögens in Bezug auf Kundenkategorien und Anlageklassen.» Man bittet «diesbezüglich um Verständnis».
Um den Erfolg von Wegelin zu verstehen, empfiehlt sich ein kurz vor dem Ausbruch der Krise erschienen Buch: «Reichtum ohne Leistung – Die Feudalisierung der Schweiz» des pensionierten Zürcher Kantonsstatistikers Hans Kissling. Darin rechnet er vor, dass im Jahr 2003 im Kanton Zürich hundert Vermögende gleich viel besessen haben wie drei Viertel der übrigen Steuerzahler. Der Konzentrationsfaktor des Vermögens beim reichsten Prozent stieg von 1991 bis 2003 um 71 Prozent, beim Mittelstand nur um 21 Prozent. Der Anteil der Vermögenslosen nahm im Zeitraum deutlich zu.
Kissling schreibt: «Zu den Reichsten gehören in zunehmenden Masse Personen, die sehr grosse Vermögen geerbt haben. Die Vererbung grosser Reichtümer ist ein Mechanismus, der eine zentrale Komponente des Feudalismus bildete. Der Reichtum in der Schweiz erhält so mehr und mehr eine feudale Komponente. Auch die Ungleichheit, die sich in der Verteilung der Einkommen spiegelt, ähnelt immer mehr den Verhältnissen im ehemaligen Feudalismus.» Kisslings Forderung: eine Erbschaftssteuer.

Steuerhinterzogene Gelder tauchen in solchen Berechnungen nicht auf. Und der internationale Steuerwettbewerb beschleunigt die Feudalisierung erst noch. Konrad Hummler hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass bei ihm Schwarzgeld liegt: Die grosse Mehrheit von ausländischen Anlegern umgehe die Steuerpflicht.
Börsenboom und die Verwaltung von feudalen, hinterzogenen Vermögen: Das scheint der Erfolg von Wegelin zu sein. Die Teilhaber der Bank wurden selbst zu Superreichen. Gemäss der Wirtschaftszeitschrift «Bilanz» beträgt ihr Vermögen 300-400 Millionen Franken. Wegelin, das ist eine der Umverteilungsmaschinen von unten nach oben – und sie nimmt in St.Gallen immer mehr Raum ein.

Sein Architekt – und die Liegenschaften

«Als es erste kleine Sachen zu tun gab, fragte mich Konrad Hummler an. Heute gehe ich bei Wegelin ein und aus, wie wenn ich selbst ein Banker wäre», sagt Riccardo Klaiber, Architekt. «Ich kenne ihn aus der gemeinsamen Pfadi- und Schulzeit. Konrad Hummler hat ein fundiertes Architekturverständis. Es geht uns stets darum, historische Bausubstanz mit dem Image einer modernen Betriebskultur zu verbinden.» Rund um das Hauptgebäude der Bank Wegelin am Bohl ist in nur einem Jahrzehnt Hummler-Town entstanden. Schwertgasse 1, 3 und 5, Torstrasse 7: Wo früher in der nördlichen Altstadt auf Dutzenden von Etagen gewohnt wurde, finden sich heute Büros.
Man kann auch sagen: Wo es früher ein Gassen- und Kulturleben gab. Die Schwertgasse 3 war das «Haus zur letzten Latern»: Ein Bohème-Lokal mit Lithographien von H.R. Giger, die Anfang der Neunziger von der Gewerbepolizei als anstössig empfunden und entfernt wurden. 2005 wurde das ganze Lokal entfernt, man findet heute nicht einmal mehr den Eingang. Ebenfalls Büros. Und wo ist eigentlich Emri hin, der letzte Kellner?
An der Torstrasse 25 befand sich die Discothek Barracuda. Der Rapper Odium hat hier zusammen mit DJ TheDawn jeweils zu Plattentaufen geladen: schräge Konzerte inmitten von Korallenriffen aus Papiermaché. Ebenfalls Büros. Im Keller befanden sich Proberäume. «Dort muss jetzt ein Tresor sein, ich habe gesehen, wie sie die Bunkertüre runtertrugen», erzählt ein Verkäufer im Z-Records.

Aus der Kirche St.Katharinen und dem Nebenhaus mit Hof sollen eine Oase der Stille und Konferenz- und Ausbildungsräume werden. Als die Stadt die Theatervilla an der Museumsstrasse 1 umbauen wollte, bot Konrad Hummler drei Millionen Franken für das Baurecht von dreissig Jahren. Ein «grosszügiges Angebot», hiess es in der Parlamentsvorlage, und dass er die Gesamtrenovation dazu bezahle. In die repräsentative Villa wollen sich Hummler und seine Teilhaber im Alter zurückziehen, um ihre vermögenden Kunden zu betreuen.
Für eine lebendige Stadt

Der kritische Punkt ist der: Um der Immobilienspekulation Einhalt zu gebieten, wurde Mitte der Achtziger ein Nutzungsplan für die Altstadt erlassen. Dieser schreibt den Anteil der Wohngeschosse für jede Liegenschaft vor. Die Schwerpunkte liegen in der nördlichen und südlichen Altstadt. Dabei wurden zwei Kompromisse getroffen: Zum einen kann Wohnraum in andere Gebäude transferiert werden. «Die Bank Wegelin hat den Wohnanteil stets ordnungsgemäss transferiert», heisst es auf dem Amt für Baubewilligungen. Wohin? Diese Information untersteht dem Amtsgeheimnis.
Der zweite Kompromiss lautete, dass bestehende Betriebe den Nicht-Wohnanteil auch erhöhen können, sofern sie den Wohnraum nicht mehr verschieben können. Dabei hat man vielleicht an eine Metzgerei oder ein Elektrogeschäft gedacht. Aber kaum an eine Bank. Beim Umbau der Katharinenkirche, erzählt ein Anwohner, berufe sich Wegelin erstmals auf den Passus. Der Fall liegt vor dem Verwaltungsgericht.

Die Ausdehnung von Wegelin beschränkt sich nicht mehr nur auf die nördliche Altstadt. Im neuen Rösslitor-Gebäude hat sie sich ebenfalls in drei Stockwerke eingemietet. «Wir haben ein Interesse an der Bank, dazu stehen wir», sagt Bausekretär Fredi Kömme. «Sie bietet gut qualifizierte Arbeitsplätze an.» Aber, und dieser Satz lässt aufhorchen: «Wir brauchen eine Entlastung in der Altstadt. Es wäre zu begrüssen, wenn der Hauptsitz hier und die Büros in Geschäftshäusern ausserhalb liegen würden.»

«Es ist sehr ruhig in unserem Quartier», sagt ein Anwohner. «Und das meine ich nicht positiv. Es ist das Gegenteil von Stadt.» Der einzige Beitrag zum öffentlichen Leben von Wegelin ist ein Café mit dem zynischen Namen «Nonolet» (Geld stinkt nicht).

Gerade als ich diesen Text schreibe, meldet sich der pensionierte Kantonsstatistiker Kissling im «Tages-Anzeiger» zu Wort: «Die Verödung der City ist kein Naturgesetz», schreibt er. Die Banken und Galerien sollen sich nicht überall in Zürich breitmachen. Entsprechend den Plänen für Wohnungen könne man doch auch solche mit Nutzungen entwerfen, «die für eine lebendige Stadt von Bedeutung sind.» Mit Restaurants und Läden für den täglichen Bedarf beispielsweise.
Unter der Schwertgasse führt übrigens ein Tunnel durch, der das Bank-Hauptgebäude mit weiteren Büroräumlichkeiten verbindet. Das Privathaus von Hummler wiederum steht in Teufen, einer der steuergünstigsten Gemeinde der Schweiz. Und die Druckerei für seinen Anlagekommentar, der sieben Mal jährlich in einer Auflage von 70’000 Exemplaren erscheint, in Gossau. Dazu gehört auch eine eigene Spedition. Die Kundennamen sollen geheim bleiben.

Sein Dirigent – und die Bachstiftung

«Bach war unter ständigem Druck der Stadtväter und viel eingeschränkter als ich», sagt Ruedi Lutz. Seine Stimme hat einen angenehmen Singsang. «Ich bin ein glücklicher Bach-Dirigent, und das habe ich Konrad Hummler zu verdanken.» 2001 wurde Lutz angefragt, ob er alle 200 Kantaten von Johann Sebastian Bach aufführen möchte. Für den Gottesdienst geschrieben, loten die Bachkantaten die existenziellen Fragen musikalisch aus. «Ich wusste, dass dies eine Riesenaufgabe würde. Ich brauchte einige Jahre, bis ich zusagte», erinnert sich Lutz.

Seit 2006 wird nun monatlich eine Kantate in der evangelischen Kirche in Trogen aufgeführt. Drei Agentinnen sind für die Zusammenstellung der Sängerinnen und Musiker zuständig. Die Kantaten werden jeweils zweimal aufgeführt, dazwischen gibt es eine sogenannte Reflexion einer bekannten Persönlichkeit. Bis alle Kantaten aufgeführt sind, wird es noch gut zwanzig Jahre dauern. Die Beschäftigung mit diesen «bekannten Unbekannten» sei mittlerweile zu seiner Haupttätigkeit geworden, sagt Lutz. Gerne möchte er die Vermittlung an Junge ausbauen. Hummler hat für das Unterfangen eine eigene Bachstiftung geäufnet. Es dürfte fünfzehn bis zwanzig Millionen Franken kosten. Das Jahresprogramm legen Hummler und Lutz jeweils an einem Truthahnessen nach Weihnachten fest. Den Truthahn bereitet der Banker zu.
Kritische Klassikfreunde sagen: Weil es in St.Gallen kein Konservatorium gäbe, habe hier eine grosse Lücke in der historischen Aufführungspraxis bestanden. Diese sei nun durch die Bachstiftung besetzt, was zu begrüssen sei. Aber Kulturstiftungen, erst recht solch gut ausgestattete, seien doppelt heikel: Zum einen, weil sie eine Möglichkeit bieten, keine Steuern zu zahlen. Steuern, die letztlich auch einer öffentlichen Kulturpolitik zugute kommen würden. Zum andern, weil bei Stiftungen keine Transparenz herrscht, wer unterstützt wird und wer nicht. Das führe zu einer feudalen Kulturförderung. Erkennbar unterstützt die Bach-Stiftung nur ihr eigenes Projekt.

Von ausserhalb der Klassik könnte man noch die Frage aufwerfen, was eine Kunst mit dem Hang zur Vollständigkeit und Vollendung eigentlich bedeutet. Die Aufführungen der Bach-Stiftung gibt es demgemäss alle auch auf DVD, einzeln oder im Jahresschuber.

Sein Lobbyist – und der Mindestlohn

«Konrad Hummler ist für mich ein extrem wichtiger Gesprächspartner», sagt Kurt Weigelt, Direktor der Industrie- und Handelskammer IHK. «Wir haben die gleiche Meinung und wir marschieren parallel.» 2004 war Hummler als erster Nicht-Textiler zum Präsidenten der IHK gewählt worden. Als neuer Direktor wurde Weigelt eingesetzt. Vom Vorstand, wie er betont, und nicht von Hummler allein.
Aber der hat ja gewusst, das er sich auf die Weigelts als Geschäftsführer verlassen kann: Kurt ist der Bruder von Trumpf-Buur-Peter. In seiner Dissertation hat sich Kurt Weigelt mit der Finanzierung von politischen Parteien beschäftigt. Er war als Papeterist (und als Parkgaragenpromotor) tätig gewesen. Nun will er bei der IHK die Möglichkeit nutzen, «das politische System im Sinn der Wirtschaft zu beeinflussen». Und er machte sich bereits dahinter, zum Beispiel als Arbeitgeber-Vertreter in der tripartiten Kommission.
Um nachher alles zu verstehen, sind zwei Begriffe zu klären: Eine tripartite Kommission ist zuständig für die Überwachung gegen Lohndumping. Sie setzt sich aus je drei Vertretern von Kanton, Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmern zusammen. Der Referenzlohn wiederum ist ein Vergleichswert, was nach Ort und Branche für eine bestimmte Arbeit bezahlt wird. Ende letzten Jahres wurde nun bekannt, dass die tripartite Kommission beschlossen hat, dass Lohndumping erst zwanzig Prozent unterhalb des Referenzlohnes beginne. So gibt es selbstverständlich kaum mehr Lohndumping. Wie eine schweizweite Umfrage zeigt, steht der Kanton St.Gallen mit dieser Auslegung allein da.

Auf das Thema angesprochen, reagiert Weigelt etwas ungehalten: Eine Gewerkschaftslüge zulasten des Wirtschaftsstandortes St.Gallen sei das! Mehr dürfe er als Kommissionsmitglied aber nicht sagen, bevor der Regierungsrat eine Anfrage zum Thema beantwortet habe. Peter Hartmann, Gewerkschafter und SP-Kantonsrat, hat sie eingereicht. Der sagt: «Die Handelskammer fuhr schon immer einen harten Kurs, unter der neuen Führung hat er sich noch verschärft.»
Den ideologischen Hintergrund zum Konflikt kann man im letzten «IHK-Standpunkt» nachlesen. Dieser wird vom Vorstand und dem Präsidenten abgesegnet. «Arbeit statt Mindestlöhne» ist der Titel. Demnach werden zwangsläufig Arbeitsplätze vernichtet, wenn Löhne im unteren Bereich erhöht werden. Demnach sind die Jungen auch nicht wegen der Krise arbeitslos, sondern weil sie zu hohe Löhne fordern. Demnach, könnte man ergänzen, muss man Lohndumping auch nicht kontrollieren.

Sein Redaktor – und die Ideologie

«Ich habe beim <St.Galler Tagblatt> als Redaktor im Hintergrund-Ressort gearbeitet, sozusagen als Hausphilosoph. Dort habe ich Interviews mit verschiedenen Persönlichkeiten geführt, Günter Netzer, Jan Assmann oder Reinhold Messner. Irgendwann sind mir die Anlagekommentare von Konrad Hummler aufgefallen, ich fand sie frisch, frech und gescheit. So habe ich auch ihn für ein Interview angefragt. Ich hatte den Eindruck, er habe schon auf mich und den Anruf gewartet», sagt René Scheu. Man habe sich öfters auf ein Glas Wein getroffen, und 2006 habe ihn Hummler, Präsident des Vorstands der «Schweizer Monatshefte», gefragt, ob er nicht Mitherausgeber der Zeitschrift werden möchte. «Zuerst sagte ich nein, dann aber hat es mich gereizt, hinauszugehen und mich auf dem freien Markt als Publizist zu behaupten.»
«Die Monatshefte», sagt Scheu, «sollen eine Debattenzeitschrift sein. Das können wir, weil wir eine klare Haltung vertreten, die sich aus der Tradition des Liberalismus nährt. Die Kategorien links und rechts sind für mich ohnehin überholt. Wir sind wirtschafts- und gesellschaftsliberal. Pro Kiffen, pro Markt. Unsere Gegner sind die Sozialisten und die Konservativen, die immer stärker zusammenspannen.»

In den nächsten fünf Jahren will Scheu die Zeitschrift auf ein solideres Fundament stellen: Zurück zur monatlichen Auflage, eine Verdreifachung der Auflage von heute 3000 Exemplaren. Er betont noch: «Konrad Hummler zahlt keinen Rappen an die Monatshefte.»

Was die Monatshefte wollen, ist in einer eigentlichen Schlüsselnummer von 2005 nachzulesen: «Jenseits von Liberalismus light». Marina Masoni schreibt über liberale Reformen. Die ehemalige Finanzchefin des Kantons Tessin arbeitet heute ebenfalls in der Wegelin-Geschäftsleitung, ein vergleichbarer Fall wie Zollinger. Wer auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, wird von Masoni als «Nutzniesser» mit «Partikularinteressen» abgestempelt. Eine weitere Autorin ist Adriana Ospel, sie schreibt unter dem Titel «Den Staat entschlacken» über den Service public: Der Staat soll nur noch aus der Ministerialverwaltung und den Trägern hoheitlicher Gewalt bestehen. Der Rest wird privatisiert. Die St.Galler Justizchefin Karin Keller-Sutter fordert im Stakkato mehr Sicherheit: «Wir Freisinnigen haben immer für die Grundrechte gekämpft, aber was sich gewisse Kreise unter Berufung auf diese Grundrechte herausnehmen, ist schlicht kriminell». So schliesst sich der Bogen zum Staatsschutz-Büchlein.

Dass diese Stadt nicht käuflich ist

Konrad Hummler und die Medien: Bei der «NZZ» sitzt er im Verwaltungsrat. Financier Titto Tetamanti war bis 2006 eingetragen in die Wegelin Fondsleitung AG und ist ein persönlicher Bekannter: Er hat die «Weltwoche» gekapert und jetzt die «Basler Zeitung». Am liebsten aber schreibt Hummler selbst, meist Kommentare und Vorworte, und am liebsten spricht Hummler selbst, meist in Interviews. Seine Sprache ist dabei voll von militärischen Metaphern: von Kompanienapoleons, von Feldherrenhügeln, von Operationsplänen. Stets soll eine Ordnung hergestellt werden. Aber welche? «Jeder Franken, der am Staat vorbeigeht, ist ein gut eingesetzter Franken», hat Konrad Hummler einmal gesagt.
Die Taktik der Vätergeneration im Kalten Krieg war der Ausschluss der Kritiker: Bis der Fichenstaat implodierte. Die Taktik der Söhne ist der Einschluss: Wer talentiert ist oder gefügig oder beides, wird kontaktiert. Die Aussagen von Zollinger, Klaiber, Lutz, Weigelt und Scheu zeigen: Die Vorzüge des selbstbestimmten Arbeitens, etwa Selbstentfaltung oder Teilhabe, sind mit Hummler durchaus zu haben. Und eine gewisse Freudigkeit kann man ihm bestimmt nicht absprechen. Doch ist, was sich hier historisierend, aufgeschlossen und unideologisch gibt, zutiefst reaktionär und rechts: Man strebt nach Geld und Glück und Vollkommenheit. Freiheit und Brüderlichkeit! Gleichheit und Gerechtigkeit hingegen negiert man. Über die Dummen, die Armen und die Ehrlichen wird gespottet.

Im Grunde ist es rücksichtslos: Wohnungen und Bars und öffentliches Leben weg, Mindestlöhne und Lohnkontrollen weg, und das Wissen letztlich der Bürger um Geldwäscherei gleich auch noch weg. Stattdessen weiterhin Steuerhinterziehung und viel verbrämte Ideologie und Bachkantaten für alle.

Hummler, der Superreiche, der eine Lohndumping-Politik mitverantwortet: Anstelle der Demokratie soll es einen Hofstaat geben. Es ist auch eine fast reine Männergeschichte.
Ich habe für diesen Artikel nicht mit Konrad Hummler gesprochen. Es könnte das erste Mittel gegen den Feudalismus sein: nicht mitzumachen.

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