Panta rhei, alles fliesst. Das wussten schon die altenGriechen. Ins Jetzt übersetzt, könnte man die Lehren von Heraklit so deuten: Die Gesellschaft und damit ihre Bedürfnisse wandeln sich stetig. Und dieser Wandel betrifft auch den Tod. Wir gehen heute anders mit ihm um, haben neue Rituale und eine andere Art, der Toten zu gedenken, als noch unsere Vorfahr:innen.
«Bis ins 19. Jahrhundert waren die Friedhöfe in der Schweiz meistens kirchliche Orte», erklärt Anna-Katharina Höpflinger, Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Religionswissenschaften und akademische Oberrätin an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Verbrecher:innen, Ungetaufte – also auch totgeborene Föten – sowie Menschen, die Suizid begangen hatten, wurden deshalb ausserhalb der Friedhofsmauern bestattet, welche die kirchliche von der profanen Welt trennten. Weil der Mensch seine Knochen bei der in der Bibel erzählten Auferstehung braucht, war zudem die Feuerbestattung, also das Kremieren, verboten.
Durch die Aufklärung entstanden neue Debatten über die Art des Bestattens und damit zusammenhängende Hygienevorschriften: Im 19. Jahrhundert wurden grosse Friedhöfe, die wie Parkanlagen angelegt waren, fernab der Kirchen und oft ausserhalb der Städte gebaut, und Intellektuelle und Künstler:innen brachten die Feuerbestattungen ins Gespräch. Erst von sogenannten Feuerbestattungsvereinen ausgeführt, gewann das Kremieren im 20. Jahrhundert an Popularität, auch die Kirche setzte das Kremieren der Erdbestattung gleich. Neben Vorwürfen mangelnder Hygiene konnte durch diese Form der Bestattung auch dem Platzmangel auf den Friedhöfen entgegengewirkt werden.
Laut der in St.Gallen auch fürs Bestattungswesen zuständigen Diensststelle «Stadtgrün» entscheiden sich rund 91 Prozent der St.Galler:innen für die Kremation und lassen sich auf Friedhöfen, in Gemeinschaftsgräbern, Urnennischen, Reihen- oder Privatgräbern beisetzen. Nur noch rund neun Prozent der Menschen wählen eine Erdbestattung im Sarg.
Die Zahlen variieren innerhalb der Schweiz natürlich – genauso wie die Reglemente der Friedhöfe. So entgegnet Berto Biaggi vom Schweizerischen Verband für Bestattungsdienste, dass im Wallis und im Tessin weitaus mehr Menschen eine Erdbestattung wünschen würden als in der Deutschschweiz. Trotz des Trends zur Kremation glaubt er, dass die Zahl auch in der Deutschschweiz wieder zunehmen werde, da für die zunehmende muslimische Bevölkerung nur die Erdbestattung in Frage käme (mehr zum Thema auf Seite 18).
Warum wollen wir unsere Liebsten bestatten und ihrer gedenken?
Das Bestatten auf Friedhöfen – ob in der Urne, im Sarg oder im Leichentuch – hat für die Familie der Verstorbenen einen entscheidenden Vorteil: Alle wissen, wo der oder die Verstorbene liegt. Ein Holzkreuz, ein verzierter Granitstein oder ein pompöser Schrein aus Marmor – je nach Einkommensklasse – erinnert an die Toten. Hier wird ihrer, oft an Sonntagen, mit Blumen und Kerzen gedacht. Menschen brauchen scheinbar einen Ort zum Gedenken.
«Damit ermöglichen Angehörige, dass ihre Verstorbenen weiterhin Teil des öffentlichen Raums und Teil der Gemeinschaft bleiben», sagt Anna-Katharina Höpflinger. Ein Ort des Gedenkens biete Raum, um mit den Verstorbenen sozial in Kontakt zu treten, etwa durch einen Besuch, ein Gebet, das Ablegen von Blumen oder kleinen Erinnerungsstücken, bemerkt sie und fügt an: «Trauer und Gedenken lassen sich so materialisieren und visualisieren. Die Verstorbenen leben damit sozial weiter, in der Erinnerung, aber eben auch verbunden mit einem Ort.»
Höpflinger spricht auch von zwei Dimensionen des Sterbens in unserer Kultur. Man unterscheide zwischen einem sozialen und einem physischen Tod. Atemstillstand, das Herz hört auf zu schlagen, der Körper schaltet sich aus – oder wird ausgeschaltet: Das ist der physische Tod. Sich mit 68 Jahren einen Campervan der Marke «Moby» zu kaufen und von Trogen nach Griechenland zu holpern, sich durch die Pension langsam aus der Arbeit, vielleicht auch aus dem Freundeskreis und der Familie zu verabschieden und wirre Nachrichten in Familienchats zu posten: Das ist der soziale Tod. Und er beginnt (im Idealfall) schon weit vor dem physischen. Wer also den sozialen Tod nicht gemächlich stirbt, dessen Ableben ist schwerer zu akzeptieren.


Wer wählt welche Bestattungsform und warum?
Es gibt aber auch einen entscheidenden Nachteil beim Bestatten auf Friedhöfen, denn die Kreuze und Grabsteine – und erst recht die Mausoleen – zu unterhalten, ist sehr teuer und aufwändig. Nicht immer wollen oder können Angehörige diesen Aufwand betreiben. Auch das sei ein Grund, warum sich viele Menschen für eine Kremation entscheiden, sagt Berto Biaggi, der selbst ein Bestattungsunternehmen führt. «Es besteht auch die Möglichkeit, eine Bestattungsanordnung zu erstellen, die klar regelt, was nach dem Ableben zu geschehen hat. Meistens geht es dabei darum, die Angehörigen zu entlasten, manchmal ist aber auch einfach keine Familie da.»
Laut dem Bestattungsamt der Stadt St.Gallen variieren die Kosten für den Unterhalt der Gräber je nach Gemeinde, ein Grossteil wird direkt von den Gemeinden selber finanziert. Gemäss städtischem Friedhofsreglement werden die Kosten für Bestattungen von der Stadt St.Gallen übernommen, sofern die Verstorbenen in der Stadt lebten.
Auch ein Gemeinschaftsgrab könne eine gute Lösung sein, um die Grabpflegekosten tief zu halten und «Nachbarschaftsstreitigkeiten» auf dem Friedhof zu vermeiden, erklärt Biaggi. Ein solches existiert auch auf dem St.Galler Friedhof Ost seit einigen Jahren. Hier können Urnen unter Bäumen, zwischen Gräsern und Blumen, mehr oder weniger freiwählbar bestattet werden. Rund 30 Prozent entscheiden sich für eine Bestattung im Gemeinschaftsgrab, bestätigt «Stadtgrün».
Allerdings gibt es auch viele Menschen, die ihre Asche auf dem Lieblingsberg oder in den Gezeiten der Meere verstreut haben möchten. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass immer mehr Menschen konfessionslos sind und auch der Anteil an Personen, die der römisch-katholischen oder der evangelisch-reformierten Landeskirche angehören, abgenommen hat. Und wer seine Knochen nicht zwingend für die Auferstehung braucht, legt vermutlich auch weniger Wert auf eine herkömmliche Erdbestattung.

Wie steht es um die Zukunft des Bestattens?
Berto Biaggi schreibt in einem Artikel für das Deutsche Magazin «Leidfaden» unter anderem über neue Bestattungsformen. Die wohl «futuristischste und spektakulärste aller Bestattungsformen» sei die Weltraumbestattung. Für läppische 10'000 US-Dollar pro Gramm Asche – man rechne: Pro Person entstehen bei einer Kremation rund 3000 Gramm – kann sich unsereins mit einer Minirakete wortwörtlich ins Jenseits schiessen lassen.
Gleichzeitig wird seit einigen Jahren vermehrt zu Ökologie im Zusammenhang mit dem Bestatten geforscht und diskutiert. Eine der Ideen, die daraus resultiert, ist die «Reerdigung». Dazu werden die Verstorbenen « auf ein Bett aus Stroh und Grünschnitt in einen sargähnlichen Kokon gebettet» schreibt Biaggi, damit werden die Toten innert etwa 40 Tagen wieder zu Erde und damit Teil des Ökosystems. Allerdings ist dies in der Schweiz noch nicht zugelassen, genauso wie die Promession, bei der der menschliche Körper mittels Stickstoffbad auf −196 Grad gefriergetrocknet und dann zu einem Granulat verarbeitet wird.
Aber nicht nur die Bestattungsformen werden weiterentwickelt, auch das Gedenken verändere sich, sagt Religionswissenschaftlerin Höpflinger. «Heutzutage wird viel virtuell gedacht. Auf Plattformen im Internet wird etwa über kurze Filme und Fotos den Verstorbenen ein Raum zum Gedenken geschaffen.» Ein solches online «Kondolenz-Buch» führt Biaggi schon seit über 20 Jahren – «das erste virtuelle Trauerportal», heisst es auf seiner Homepage.
Auch die Rituale, mit denen wir unsere Angehörigen verabschieden, passen sich also unseren Bedürfnissen an, und diese gehen bekanntlich mit der Zeit – panta rhei. Ob wir unsere Liebsten kremieren, vom Wind davonwirbeln lassen, in einen Sarg legen, in ein Tuch einwickeln oder ins All schiessen: «Im Kern ist das Bestatten nach wie vor etwas Religiöses», sagt Höpflinger. «Religion beschäftigt sich mit dem Bereich des Unkontrollierbaren, der Tod ist das Unkontrollierbarste, und mit dem Bestatten ermöglichen wir einen Umgang mit diesem für uns unverfügbaren Teil des Lebens».
Daraus liesse sich folgender Schluss ziehen: Wenn die Friedhöfe und Bestattungsarten bisher immer den Bedürfnissen der Gesellschaft angepasst wurden, werden in einer modernen, pluralistischen Schweiz zukünftig auch andere Religionsformen auf hiesigen Friedhöfen, Wiesen und Seen Platz finden.