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Blinkend der Zeit voraus
Am St.Galler Hauptbahnhof zeigt seit gestern eine binäre Uhr, was die Stunde geschlagen hat. Norbert Möslangs Kunst am Bau ist aber nicht das einzige auffällig Un-St.Gallische an dem Ort.
Verkehrsdrehscheibe, Treffpunkt, Visitenkarte der Stadt, Verbindungsachse, Orientierungspunkt: Der Bahnhofplatz muss vieles sein und viele (täglich rund 80’000 Passantinnen und Passanten) zufriedenstellen. Stadträtin Maria Pappa erinnerte in ihrer Einweihungsrede am Donnerstagabend vor rund 120 zu Kunst und Wurst geladenen Gästen daran: «Kein Ort in der Stadt erfüllt so viele Funktionen.» Seit gestern versucht er sich noch in einer weiteren Eigenschaft: als Ort der Reflexion.
In den ursprünglichen Visualisierungen des Projekts «Akari», das 2009 den Gestaltungswettbewerb gewonnen hatte, war der helle Kubus über der neugestalteten Haupttreppe noch mit textilblumigen Mustern verziert. Für einmal hat sich die Textilstadt zum Glück dann aber das immergleiche Sujet verkniffen und einen Kunst-am-Bau-Wettbewerb mit acht eingeladenen Kunstschaffenden durchgeführt. Das Ergebnis ist seit Donnerstagabend zu besichtigen, es macht St.Gallen ein bisschen zur Digitalstadt, die sie ja auch gerne wäre.
«Patterns» nennt der Klang- und Elektronikpionier Norbert Möslang sein Werk – als «Husarenstück» in Sachen Einfachheit und Radikalität lobte es Stadtbaumeister Hansueli Rechsteiner bei der Einweihung. Das Muster besteht aus fünf Kreisen, sechs Kreuzen und sechs Vierecken, die wechselnd aufleuchten und so die Zeit anzeigen. Um sie lesen zu können, braucht es Übung, räumte auch der Stadtbaumeister ein – wer knapp ist auf den Zug, sollte sich das Entziffern auf ein nächstes Mal aufsparen.
Hier auf der Fotografie von Georg Gatsas ist es 20:55:43 Uhr. Die erste Kolonne rechts aussen steht für 1, die zweite für 2, die dritte für 4, die vierte für 8, die fünfte für 16 und die sechste für 32. Die Kreise zeigen die Stunden an, addiert also 4+16=20. Die Kreuze sind die Minuten: 1+2+4+16+32=55, und die Quadrate die Sekunden: 1+2+8+32=43.
Hinter der neuen Uhr, im weissen Kubus, tut sich eine hohe Leere auf. Das ist fast noch erstaunlicher für das sonst pragmatische St.Gallen als die binäre Uhr. Der Kubus ist ein riesiger Raum ohne andere Zweckbestimmung als die, «hier» zu sagen: Hier kommen wir an, hier gehen wir weg. Noch stört die falsch plazierte Anzeigetafel mit den Busverbindungen auf der Hinterseite der Fassade, noch ist die Baustelle nicht ganz fertig, aber die weisse kalte Leere hat es in sich. Abstossend? Anziehend? St.Gallen wird es herausfinden, spätestens an der offiziellen Eröffnung im August.
So trainingsbedürftig das Ablesen der Uhrzeit ist, so ästhetisch wirkt vom Bahnhofplatz her das ständig sich bewegende Muster in Blau auf der transparent weissen Fassade. Und so einschneidend ist die Botschaft, falls man den «Patterns» eine solche zuschreiben will: Unsere Vorstellung der Zeit als kreisrundes Geschehen, auf dem der Zeiger vorrückt, ist bloss Konvention und Gewöhnung, ebenso wie die Darstellung in den Zahlen des Dezimalsystems. Binär codiert wie bei Möslang, wird die Zeit zur blinkenden Addition von Stunden, Minuten und Sekunden und zum augenzwinkernden Entweder-Oder von Licht und Nicht-Licht.
Was allerdings auch Möslangs Werk nicht vermitteln kann, ist die Vergänglichkeit, das unerbittliche Davonrennen der Zeit. Auch in den St.Galler «Patterns» beginnt das Muster nach 24 Stunden ungerührt von vorne. Dass im menschlichen Leben unvermeidlich irgendwann der letzte Zug abgefahren ist: Das müssen wir weiterhin selber merken.
Bei einer binären Uhr von Kunst zu reden entlarvt einen seltsamen Kunstbegriff: Es ist einfach ein technisch/mathematisches Prinzip. Und neu und ungewöhnlich – wie das allenthalben kolportiert wird – ist das Ganze auch nicht: Das Konzept der binären Uhr wurde ende der 90er Jahre entwickelt und binäre Uhren kaufen kann man seit rund 10 Jahren. Den St.GallerInnen das Ganze als grosse Innovation zu verkaufen wirkt ziemlich ignorant, zumindest gegenüber den Informierten unter uns. Das ist keine Stellungnahme gegen die Uhr. Man kann sowas machen. Geschmackssache und sonst nichts.
Weder Kunst noch „“Uhr, einfach eine Idee, ein Gag. Wenig hilfreich, nicht gerade schön, kein „Wurf“. Kunst am Bau? Oder Blingbling am Hohlkörper. Immerhin weiss man wo der Eingang ist, immerhin!
es gibt nichts Hässlicheres als dieser Bahnhofplatzt die Uhr ist so was von idiotisch . Will man Heute umsteigen muss man den halben Bahnhofplatz durchschreiten bei regen und Schnee und die Halte Dächer nützen gar nicht man könnte fast erfrieren . Aber was wird Heute alles als Kunst verkauf das fängt bei den Bauten an Flachdach und Schiesschartenfenster UND SCHÖNE alte Gebäude fallen dem Bagger zu Grunde.
Aber es ist Modern und keiner sagt was es geht nur noch um schnell Geld zu machen und eine Stufe höher zu steigen in der Hierarchie Kommentar überflüssig
Auf meinem letzten Besuch in Asien habe ich die „Count: Down Clock“ von Maarten Baas in der Hotel Lobby entdeckt und war fasziniert. In meinen Augen eine sehr gelungene Inszenierung für die Neueröffnung des Morpheus Hotels in Macau (Zaha Hadid). Zurück in St. Gallen wunderte ich mich über die Tic-Tac-Toe Installation am HBF. Als ich dann noch im SG Tagblatt den Vergleich mit dem Eifelturm gelesen hatte, konnte ich mich vor Lachen nicht mehr halten.
Realsatire made in „little Paris“ …
😉
Maarten Bass – schiphol clock
http://maartenbaas.com/real-time/schiphol-clock/
Maarten Bass – Real Time
http://maartenbaas.com/real-time/
Count: Down Clock
https://youtu.be/Yn8iXdJqAsE
Morpheus Hotel
https://youtu.be/Pl8EKzb0LzA
Ich bin sauer über die Totalasphaltierung des Bahnhofpärklis. Da war doch ein durchlässiger Belag versprochen, hallo, Bauchefin? Es gäbe durchaus offene Beläge, auf denen auch ein Hochzeitstiletto gehen kann. Sogar die stylisch-eisenumrandeten „Blumenbeete“ sind massiv unterkoffert. Wer hats bezahlt? Da wird nichts anderes mehr in die Höhe wachsen, als Schützengarten-Sonnenschirme.
Die Uhr ist Geschmackssache, sicher keine Kunst, die besonders erwähnenswert wäre. Zudem ist sie ausschliesslich für Nachtschwärmer. Jetzt 28.4.2018 um 14:30 sieht man nicht einmal, dass sie ja eigentlich da wäre.