, 29. Juni 2016
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Blusenjazz am Blues’n’Jazz

Jeweils im Frühsommer findet in der Rapperswiler Altstadt das Blues’n’Jazz Festival statt. Auch heuer stimmte die Qualität der Konzerte, war die Schönheit der Kulisse unübertroffen. Trotzdem lässt sich in der Suppe nach Haaren fischen.

(Foto: blues'n'jazz/Marc Gilgen)

Drei Bühnen zwischen See und pittoresker Altstadtarchitektur, 25 Konzerte in vier Tagen, Namen wie Joss Stone, Patent Ochsner oder Philipp Fankhauser – das lockte trotz stürmischem Platzregen am Freitag und Sintflutniederschlägen am Samstag 17’600 Besucher ans Blues’n’Jazz. Ein paar tausend weniger als von den Veranstaltern erhofft. Aber doch erstaunlich, wie viel Volk sich am Samstag vor der grossen Bühne am Fischmarktplatz tummelte, als der Hauptact des Abends – Patent Ochsner – aufspielte. Erstaunlich deshalb, weil das Festival nicht primär eines für die Jungen Wilden ist.

Ein bisschen viel für die Einheimischen

Das Blues’n’Jazz wurde im Jahr 1999 ins Leben gerufen und erfreute sich bald grosser Beliebtheit in der Region. So grosser Beliebtheit, dass es den Einheimischen bald ein bisschen viel wurde, denn die Altstadtbewohner sind bekannt dafür, dass sie gern ihre Ruhe haben. Besonders die Grossanlässe, welche die Altstadt in Beschlag nehmen und vor logistische Herausforderungen stellen, sind der einen oder dem anderen weniger willkommen. Einerseits das Gewimmel, andererseits die Tatsache, dass Gäste, die man nur zum Grillfest in den Garten laden möchte, je nach Wohnlage Eintritt bezahlen müssen: je 60 Franken für den Freitag- und Samstagabend.

Weil aber weniger missmutige Einwohner weniger Misstöne verursachen, die in die Musik einfliessen, hat man das Areal verkleinert und die Hauptbühne auf dem Hauptplatz abgeschafft. Die Altstadt ist deshalb ruhiger, und die Veranstalter müssen erst noch weniger Gratiseintritte unter der Bevölkerung verteilen, denn die kriegt nur, wer im Gelände wohnt. Jetzt konzentriert sich alles an der Seepromenade. Kein schlechter Ort, um sich zu konzentrieren.

Irreführender Name

Nun gut, der Festivaltitel ist irreführend: Blues ja, Jazz weniger. Dass der Jazz ebenfalls im Namen steht, rührt von der ursprünglichen Idee, nebst Blues auch New-Orleans-Jazz im Programm zu haben. Böse Zungen würden vielleicht sagen, das sei stehengebliebener Jazz für Jazzbanausen, der Schlager des Jazz. Aber böse Zungen sollen hier nicht zu Wort kommen.

Überhaupt ist es ja keine Mogelpackung. «Es stimmt, dass der Jazz am Blues’n’Jazz keine grosse Rolle spielt. Aber das Programm ist jedem bekannt, der sich ein Ticket kauft», sagt Marc Lindegger, Pressesprecher, Einheimischer und langjähriger Mitorganisator. «Aber das ist ein Brandname, den wir nicht mehr ändern können.»

Nicole Bernegger, die Siegerin von The Voice of Switzerland 2013 eröffnete das Festival bei strahlendem Sonnenschein am Donnerstag. Die britische Soulsängerin Joss Stone setzte einen wunderbaren Höhepunkt. Und auch in den kommenden, verregneten Tagen gab es tolle, vielseitige Konzerte zu besuchen. Am Samstag und am Sonntag spielte beispielsweise die schwedische Band Baskery.

 

Bemerkenswert und Grund für das Hervorheben dieser drei Acts ist die Diskussion um den Frauenanteil unter den Auftretenden bei Schweizer Festivals. Dieser ist für gewöhnlich sehr tief. Positiv also, dass die Eventagentur Carré, die vor sechs Jahren die Organisation aus einheimischer Hand übernommen hat, auf Frauenpower setzt. Am Blues’n’Jazz also auch Blusenjazz.

Nichts zu hören

Die Carré Event AG mit Sitz im zürcherischen Zollikon am Zürichsee, also in der Nähe, ist eine grosse Agentur. Sie organisiert Anlässe wie die Art on Ice, den Mercedes Benz CSI oder den Elite Model Look. Das muss nicht heissen, dass sie mit wenig Herzblut agiert und auf Gewinnoptimierung setzt. Und dass beispielsweise mit Patent Ochsner eine Band gebucht wurde, die auch die Jungen nach Rapperswil locken sollte, wie Lindegger sagt, ist durchaus legitim.

Aber wenn man bedenkt, dass auch an den Jazztagen in Lichtensteig dieses Jahr der Anteil an zeitgenössischem Jazz sehr tief ist und sogar 77 Bombay Street spielen, und wenn man gleichzeitig bedenkt, dass die Schweiz über eine wahnsinnig lebendige, interessante und innovative junge Jazzszene verfügt, dann kann der Jazzliebhaber schon ein bisschen wehmütig werden, wenn er erkennt, dass an verschiedenen sogenannten Jazzfestivals nichts davon zu hören ist.

Streunende Hunde

Am Freitagabend spielte Hund in Rapperswil. Eine Bluesband aus den Rapperswiler Jazzern Chrigel Bosshard und Viktor Elsener, dem Gitarristen Sacha Leuenberger, der seit Jahrzehnten in Rappi musiziert, der Bassistin Laura Frei und dem Sänger und Harmonika-Spieler Päuli, einem Regionen-Original aus dem Nachbardorf, einem alten Blues-Haudegen, dem im Leben wenig erspart geblieben ist, dem man den Blues abnimmt.

hund-rappi

Guerilla-Aktion: Hund mit Lokalhelden sorgt für ein spezielles Erlebnis. Aber nur für jene, die die Buschtrommeln gehört haben.

Die Band spielte in der Altstadt. Weil der Regen kurz vor Konzertbeginn einsetzte, wurden kurzerhand Pavillon-Zelte für Band und Equipment sowie für das Publikum organisiert. Und dann folgte ein Konzert, das für viele Anwesende das Highlight dieses Blues’n’Jazz-Wochenendes war. Es fand in der Herrengasse statt, ausserhalb des Festivalareals, quasi als Guerilla-Aktion.

Natürlich wolle man auch einheimische Bands buchen, meint Lindegger. Sie könnten sich wie alle anderen auf der Website bewerben. Ausserdem hätten auch schon einheimische Bands gespielt. Er nennt Musiker aus Schindellegi, am Hügel auf der anderen Seeseite gelegen, im Kanton Schwyz. Oder aus Wald, im Zürcher Oberland – nur zehn Autominuten, klar, aber einheimisch?

Wieso nicht?

Rapperswil verfügt über eine sehr aktive Musikszene. Diverse Rapperswiler Musiker spielen in der ganzen Schweiz und im Ausland. Es wäre nicht so schwierig, den Kontakt herzustellen. Man müsste sie nicht als Quotenrapperswiler buchen. Man könnte sie – wie Hund – als Highlights buchen. Denn die Einheimischen mögen nicht nur ihre Ruhe und keine allzu mühsamen logistischen Herausforderungen, sie mögen auch zwischendurch eine einheimische Band hören.

Das Blues’n’Jazz ist ein wunderschönes Festival mit super Konzerten. Die Marktfahrer, die heuer wie die Organisatoren unter dem Wetter litten, bieten ein vielseitiges kulinarisches Angebot. Die Stimmung am Wochenende ist ausgelassen; ein rauschendes Fest an der lauschigen Seepromenade, die eine der schönsten im Land ist. Dennoch: Der eine oder andere Jazz-Act und die eine oder andere einheimische Band – wäre das nicht einen Versuch wert?

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