, 26. Juli 2020
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Cattle Keepers: Wächter der südsudanesischen Währung

Aus unserem Sommerheft: Die Flaschenpost aus Südsudan, dem jüngsten Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft. von Judika Peters

Bilder: Judika Peters

Wir sitzen unter einem Baum in der Dorfmitte, im Norden des Lakes State, mitten im Südsudan. In der beginnenden Trockenzeit ist es schon vormittags heiss. In den nächsten Monaten wird es nicht mehr regnen. Wir sprechen mit dem Chief des Dorfes. Neben ihm, aufgereiht nach Rang und Position, die Sub-Chiefs, Clanälteren, Behördenvertreter. Vor ein paar Tagen gab es bewaffnete Zusammenstösse zwischen zwei benachbarten Clans. Über Hundert wurden verletzt und Dutzende getötet, eine Vielzahl von Kühen geraubt.

Wir sind im Dorf, um die über 25 Schwerverwundeten zu evakuieren. Das staatliche Krankenhaus ist zwei Tagesmärsche entfernt, doch auch dort können schwere Schussverletzungen nicht versorgt werden. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bringt diese Verwundeten daher per Flugzeug in die Hauptstadt Juba. Ein Strassentransport wäre zu unsicher.

Der Chief will eine weitere Gewalteskalation verhindern. Doch die Zeiten, in denen die Ältesten das letzte Wort haben, sind vorbei. Der Chief hofft, dass die Behörden Soldaten herschicken. Aber der Weg bis zur nächsten stationierten kleinen Einheit ist weit und Diesel für den Truppentransport selten vorhanden.

Ein brüchiger Frieden

In Europa kennt man den Südsudan vor allem als jüngstes Land der Welt, oft assoziiert mit Gewalt und Krieg. Schon mit der Unabhängigkeit des Sudans von Grossbritannien 1957 kommt es zu Spannungen zwischen dem arabisch-islamischen Norden und dem afrikanisch-christlichen Süden, der Autonomie fordert. Als in den 70er-Jahren im südlichen Sudan Öl entdeckt wird, wird aufgerüstet. Im Hintergrund mischen die Grossmächte des Kalten Kriegs mit. Die Unabhängigkeitsbewegung, ein Bund verschiedener Ethnien, erstarkt insbesondere während der blutigsten Konflikte in den 80er- und 90er-Jahren.

2005 wird auf internationalen Druck hin ein Friedensvertrag ausgehandelt. Nach einem Unabhängigkeitsreferendum wird der Südsudan 2011 jüngstes Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft. Doch die südsudanesischen Eliten sind so zerstritten, dass die junge Nation 2013 erneut in Gewalt versinkt. Der Konflikt verläuft entlang ethnischer Linien. Dahinter stecken aber die Machtansprüche der Eliten und ein bitterer Kampf um die knappen Ressourcen, der durch die länger werdenden Dürreperioden noch akzentuiert wird: Es geht um Öl, Land, Wasser und nicht zuletzt um Kühe, die zugleich Lebensgrundlage und Symbol politischer Macht sind. 380’000 Menschen sind dem Bürgerkrieg seit 2013 zum Opfer gefallen, 2 Millionen fliehen ins Ausland, 1,5 Millionen werden zu Vertriebenen im eigenen Land. 2018 gelingt es, ein Friedensabkommen auszuhandeln.

Es ist ein brüchiger Frieden. Zwar schweigen die Waffen zwischen der südsudanesischen Regierung und den Oppositionsgruppen, doch die die Konflikte unter den Stämmen dauern an. Erst letzten Monat kamen bei einem Zusammenstoss über 300 Leute ums Leben. Die Ressourcenknappheit ist im Südsudan lebensbedrohlich und entsprechend ein zentraler Konflikttreiber. Über 6 Millionen Menschen, die Hälfte der Bevölkerung, sind mangelernährt. In einem Umfeld quasi inexistenter staatlicher Strukturen, sind die ethnisch basierten Institutionen – die Stämme und deren Clans – die zentralen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Pfeiler.

Kühe als Währung

Kühe sind im Südsudan Lebensgrundlage, Statussymbol und Zahlungsmittel. Wird geheiratet, gekauft, gebaut, gestorben: Immer wechseln Kühe die Hand. Kinder werden nach deren Fellfarben benannt, Lieder besingen die Form der Hörner. Entschädigungen sind in Kühen zu entrichten. Ein Mann ohne Kühe ist kein Mann, weil er nicht heiraten und die Familienlinie fortführen kann. Anzahl und Schönheit der Kühe verleihen dem Besitzer Einfluss und Ansehen. In einem Land mit chronischer Inflation sind Kühe die härteste Währung.

Auf der Fahrt zum Cattle Camp eines lokalen Stammes bleiben unsere Land Cruiser mehrmals im roten Lehm stecken. Befestigte Hauptstrassen gibt es im Südsudan nur eine Handvoll, nur an wenigen Stellen sind sie asphaltiert. Neben der Strasse schimmert das Wasser zwischen den Grasbüscheln. Während der Regenzeit dehnen sich die Wasserläufe über das flache Buschland aus, bis die Dörfer zu kleinen Inseln werden. Darum lebt ein Grossteil der Südsudanesen halbnomadisch. In der Regenzeit wird auf erhöhten Gebieten Hirse und Gemüse angebaut; in der Trockenzeit wandern die Leute mit ihren Herden dem schwindenden Wasser nach. Zog früher das ganze Dorf mit, sind es heute vor allem die jungen Männer, die die Kühe begleiten und in den Cattle Camps wohnen.

In einem der Camps wollen wir die anstehende Impfkampagne besprechen. Das IKRK impft die Herden konfliktbetroffener Gemeinden gegen die landläufigsten Krankheiten, um die Lebensgrundlage der Bevölkerung zu sichern. Gleichzeitig wollen wir über humanitäre Prinzipien in Konfliktsituationen reden.

Die jungen Männer warten im Schatten eines grossen Niembaums auf uns. Die Kühe grasen, das Camp ist um diese Tageszeit fast leer. Die Gewehre – alte Kalaschnikows mit Holzgriff und ein paar neuere chinesische Modelle – sind während des Gesprächs an einen Baum gelehnt. Kinder sammeln Dung zum Trocknen und ebnen von Hand die zertrampelte Erde, um die Bildung von Tümpeln zu vermeiden. Stehendes Wasser schadet den Hufen der Tiere. Dungfeuer sollen Insekten fernhalten. Abends werden hier bis zu 1000 Kühe in das Gehege aus Buschwerk getrieben. Einige Cattle Keepers tragen indigoblaue Hirten-Hemden, andere ausgebleichte Fussballshirts europäischer Klubs.

Es braucht etwas Überwindung, über die Clan-Konflikte zu sprechen. Es gibt kaum staatliche Ordnungskräfte, die das geltende Waffenverbot durchsetzen und die Sicherheit der Bevölkerung abseits der Zentren sicherstellen könnten. So bewachen die Cattle Keepers ihre Herden und Dörfer mit den eigenen Waffen. In den Jahrzehnten voller Konflikte haben die alten Kodexe zwischen den Stämmen ihre Bedeutung verloren. Warlords rüsteten die Cattle Keepers mit modernen Waffen auf. Die milizähnlichen Gruppierungen wurden seit den Friedensbemühungen jedoch nur teilweise entwaffnet. Sie sollen weiterhin den Interessen der Eliten dienen, die eher dem Reichtum des eigenen Clans als dem Wohlergehen der Gesamtheit gelten. Wer es schafft, von den vermehrt fliessenden Öl-Geldern zu profitieren, vergrössert seine Herden und lässt sie von Bewaffneten beschützen.

Vom neuen Öl-Geld haben die jungen Männer im Cattle Camp nicht viel. Das Gros der Herde gehört ein paar Wenigen. Kommt Vieh abhanden, müssen es die jungen Cattle Keepers ersetzen. Was nicht selten heisst, dass sie verfeindeten Stämmen ein paar Tiere abjagen. Zudem müssen sie ihren eigenen Kuhbestand erweitern, wenn sie Chancen auf dem Heiratsmarkt haben wollen.

Die Männer beklagen sich über die Brautpreise, die in den vergangenen Jahren enorm angestiegen seien. War man früher mit rund 30 Kühen im Geschäft, sind es heute oft 80 bis 150. Das können sich aber nur Wenige leisten. Für eine Kuh bezahlt man rund 500 Dollar oder eine Kalaschnikow. Die Vermögensschere klafft immer weiter auseinander.

Dringend nötiger Generationenwechsel

Wir sitzen in einem kleinen Restaurant in Rumbek, Hauptort im Lakes State. Bier und gegrillte Ziege werden serviert. Wenn die Hitze gegen Abend nachlässt, sind entlang der Hauptstrasse viele Leute unterwegs. In den Schlaglöchern faulenzen Ziegen und Hunde, ein paar Jungs spielen Fussball in der Abendsonne.

Ich spreche mit einem südsudanesischen Kollegen einer NGO. Wie viele seines Alters ist er als Kind zu Fuss aus dem Land geflohen, um in einem der Flüchtlingscamps in Äthiopien, Kenya oder Uganda zu landen. Er bekam die Möglichkeit, in Australien zur Schule zu gehen. Vor ein paar Jahren kehrte er zurück, um den Wiederaufbau seiner Heimat zu unterstützen.

Trotz der Jahre im Ausland ist er in der südsudanesischen Kultur verwurzelt, hat aber wie viele seiner Generation zugleich auch eine neue Perspektive entwickelt. Er hält die Unabhängigkeit hoch, kritisiert aber, dass seit 40 Jahren ein kleiner Zirkel die Macht unter sich aufteilt. Er glaubt, dass nur ein Generationenwechsel wirklich Veränderungen bringen kann.

Der Südsudan war bis vor Kurzem weder Kultur- noch Willensnation. Ein neues, gemeinsames Selbstverständnis muss sich erst entwickeln. Mein Kollege glaubt nicht, dass dies unter der Führung der ehemaligen Warlords möglich ist. Er träumt von einem Land, in dem alle von den Ressourcen profitieren können, mit einer Führung, die das Gemeinwohl an erste Stelle stellt und einer Regierung, die der Bevölkerung etwas bieten kann, statt sie dem täglichen Überlebenskampf, dem Hunger und der Gewalt zu überlassen. Er hofft, dass der Waffenstillstand auf nationaler Ebene mehr Stabilität und damit wirtschaftliche Möglichkeiten bringt, so dass der nachlassende Ressourcendruck Schritt für Schritt auch auf kommunaler Ebene Konfliktlösungen bringen kann.

Judika Peters, 1985, aus St.Gallen arbeitet seit 2017 beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Bis Februar 2020 leitete sie das IKRK-Büro in Rumbek, Südsudan.

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