, 5. April 2017
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Chronologie einer Radikalisierung


Erich Schmids neuer Film über den Fotografen der «Zürcher Unruhen», Miklós Klaus Rózsa.

Ein Leben im Bann der Zeitgeschichte: Klaus Rózsa. (Bild: Praesens)

Sonntag 19. März 2017, Zürich Kreis 1:
 Mit zwei Kameras unterwegs am Limmatufer hin zum touristischen Bürkliplatz, wo uns
 auf Höhe Frauenbadi fünf Polizeigrenadiere und eine -grenadesse entgegenspringen. «Wo wollens hin?» – «Das gibt ne Wegweisung Kategorie 1, wirksam bis morgen 5 Uhr». Den Plan, mit getrockneten Bratwurststücken nach blauen Schwänen zu werfen, dürfen wir also nicht vor der bezaubernden Alphornbollywoodkulisse ausführen, weil: Die SVP-Bonzen inszenieren im Kongresshaus 100 Jahre Bauernpartei, wobei einige Zeitgenossinnen mit Sinn für gepflegten Humor tags zuvor darin mit etwas Buttersäure für das perfekte Ambiente sorgen wollten, denn: «Rechte Hetze stinkt» und «Es schadet nicht, gewisse Sachen doppelt zu unterstreichen».

Die Folge: Ausnahmezustand im leblosesten Quartier der Stadt, Antiterroraufgebot, Luftunterstützung inklusive, gegenüber wenigen Demonstrierenden. Ein «Vice»-Journalist wurde gar in Handschellen abgeführt. Der Verdacht, dass die Polizei mit einigem Enthusiasmus die fragwürdige Nabelschau ihrer Lieblingspartei schützen wollte, liegt nahe. Die unverhoffte Wegweisung, ein demokratischer und medienpolitischer Skandal, war aus einem einzigen Grund amüsant: Ich schrieb grad an folgender Filmbesprechung.

Er sei ein sehr herzlicher und ausserordentlich freundlicher Mensch, sagen alle, die Miklós Klaus Rózsa privat kennen. Meine wenigen, kurzen Begegnungen mit dem Fotografen bestätigen diese Einschätzung. Gleichermassen ist er bekannt in seiner aktivistischen Position als kompromissloser und lautstarker Kritiker von Polizeigewalt, Antisemitismus und Ungerechtigkeit überhaupt. Und das ist die andere Seite, die an ihm sofort auffällt, denn Rózsa strahlt eine unglaubliche Wachheit aus, eine Eigenschaft, die manche fürchtend und andere bewundernd als Radikalität beschreiben.

Staatenlos – Klaus Rózsa, Fotograf: ab 7. April (Premiere in Anwesenheit von Regisseur
 Erich Schmid und Klaus Rózsa) im Kinok St.Gallen.
erichschmid.ch, photoscene.ch

Geht nun der Regisseur Erich Schmid,
 der schon in mehreren Dok-Filmen einen kritischen Blick auf die schweizerische Geschichte geworfen hat, in seinem neuen Film Staatenlos – Klaus Rózsa, Fotograf der Chronologie dieser Radikalisierung nach, merkt man schnell, dass dies zwar die Geschichte eines einzelnen Fotografen ist, wie es keine zweite gibt, aber zugleich ein Kapitel jüngere Zeitgeschichte darstellt. Erzählt Rózsa vom Bunker, dem ersten autonomen Jugendzentrum um 1968, worin man sich kleiden durfte, wie man wollte, Joints rauchen und sich duzen,
wird schnell klar: Es können alle ziemlich froh sein, dass es diese Revolten gegeben hat. Heute berufen sich auch Liberale
 auf solche Werte.

Rózsa führt einen im Film selbst
 an die Orte seiner Kindheit. Er erzählt Anekdoten von Gebetsstrafen, die als Folter 
zu bezeichnen sind im Internat Burg Kastl im bayrischen Amberg und vom Zähne­ putzen in den öffentlichen Bädern im Zürcher Volkshaus, da man zu Hause keine Dusche hatte. Er zeigt die Einschusslöcher von Auseinandersetzungen 1956 zwischen Aufständischen und der sowjetischen Armee im Haus seiner frühesten Kindheit in Budapest, erinnert sich an seinen Vater, den KZ-­Überlebenden Egon Rózsa, der seinen Kindern kaum von den schrecklichen Erlebnissen in Auschwitz und Dachau erzählte.

Morddrohungen von Staatshand

Der Plot aber ist die leidige Geschichte der Zürcher Polizei, die in den Fotografen und Journalisten Rózsa eine Art Staatsfeind hineinfabulierte. Unzählige Male wurde er während der Unruhen in den 70ern und 80ern unter konstruierten Vorwürfen oder nur willkürlich inhaftiert, schikaniert, beleidigt, verprügelt und bedroht. Sein Anwalt Franz Schumacher, der ihn dutzende Male vertrat und unter anderem einen Freispruch vor Bundesgericht erwirkte, erinnert sich: «Klaus war der unerschrockenste (der drangsalierten Medienleute bei den Demonstrationen). Er hat unermüdlich die Übergriffe der Polizei dokumentiert. Deshalb hat man versucht, ihn auszuschalten». Unzählige Morddrohungen gingen bei ihm telefonisch ein, die meisten kamen von der Stapozentrale, wie Untersuchungen bewiesen.

Wer meint, das historisieren zu müssen, als hätten diese Übergriffe nur mit den «grossen» Unruhen früherer Zeiten
zu tun, hat sich geschnitten. Es ist keine zehn Jahre her, dass Rózsa vor der Hardturm­-Brache verprügelt wurde, weil er einmal mehr polizeiliche Übergriffe fotografierte. Auch Susann Wach-­Rózsa, seine Frau, 
die diese Szenen wiederum dokumentierte, wurde zu Boden geworfen. Ein junger Besetzer schnappte ihr rechtzeitig die Kamera weg und rettete damit die Aufnahmen.

Der heikle Punkt der Demokratie

Miklós Klaus Rózsas Geschichte ist die eines Kampfes für Pressefreiheit am heikelsten Punkt der hiesigen Demokratie.
 Das Fazit liegt nahe: Zu viel Polizei führt nicht zu Sicherheit, sondern zu Bullenanarchie. Um dies zu verhindern, braucht eine Demokratie kritische Medien, deren Reporter auch dann ihrem Job nachgehen können müssen, wenn dies aus politischen Gründen grad jemandem nicht gefällt. Eine blinde Polizeigläubigkeit hingegen macht den Weg frei für Sondergerichtszonen, für Ausnahmezustände, die auch einer liberalen direkten Demokratie gefährlich werden können.

«Auf den Strassen marschierte der Hass, und am Horizont erglühte die Vergangenheit…
Ein alter Film, ein seltsamer Film und das Bild kam ihm so bekannt vor.» – Péter Gerendás

 

Dieser Beitrag erschien im Aprilheft von Saiten.

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