, 15. Januar 2021
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Cremeschnitten für alle!

Es gibt viele Gründe, die Ehe für alle cool zu finden. In ihrer Januar-Kolumne nennt Anna Rosenwasser ihre drei liebsten. Und ja, einer hat mit dem Tod zu tun.

TW: In diesem Text geht es mehrmals ums Sterben.

Ich glaube, ich will gar nicht heiraten. Mittlerweile habe ich so oft über die Ehe für alle diskutiert, dass mir das Heiraten verleidet ist. Wie wenn man den ganzen Tag Cremeschnitten zubereitet und nach einer Weile keine Cremeschnitten mehr sehen kann. Mit dem Unterschied, dass Cremeschnitten nicht unterscheiden zwischen Homo und Hetero. Cremeschnitten sind für alle da. Die Ehe nicht.

Ich bin bekanntlich linksradikal (man sah es meiner vorletzten Kolumne an, in der ich damit schockierte, Hakenkreuze blöd zu finden). Mich sollte eine so bürgerliche Erfindung wie die Ehe wirklich nicht interessieren. Zweierbeziehungen! Vom Staat abgesegnet! Für immer! Horror. Dabei geht ganz oft vergessen, dass es noch ganz andere Gründe gibt, die Ehe für alle cool zu finden. Hier darum meine Lieblingsgründe.

Anna Rosenwasser, 1990 geboren und in Schaffhausen aufgewachsen, wohnt in Zürich. Sie arbeitet für die Lesbenorganisation Schweiz (LOS) und als freischaffende Journalistin.

Lieblingsgrund Nummer eins: Die Ehe für alle hat auch eine Wirkung auf jene, die nicht heiraten. In mehreren westlichen Staaten, unter anderem in den USA, sank die Teenager-Suizidalität um bis zu 14 Prozent, als die Ehe für alle eingeführt wurde. (Interessanterweise auch die Suizidalität von heterosexuellen Jugendlichen, nicht nur homo- und bisexuellen.) Teenager sind nicht gerade bekannt für ihre Heiratswilligkeit. Aber ihre psychische Verfassung wird positiv beeinflusst von einer Gesetzgebung, die Menschenrechte respektiert. Das hat Signalwirkung.

Mein zweiter Lieblingsgrund ist historisch (und happig): Als die Forderung nach der Ehe für alle erstmals aufkam, gings nämlich gar nicht ums Heiraten. Es ging ums Sterben. Während der AIDS-Pandemie wurde nämlich plötzlich klar: Wenn eine Person im Sterben lag, war alle Entscheidungsmacht bei der Familie. Egal, wie unterstützend oder – zu der Zeit wahrscheinlicher – queer-feindlich diese Familie war. Sie konnte den sterbenden Menschen im Spital besuchen gehen und über die Beerdigung entscheiden. War die sterbende Person trans, konnte so prompt der alte Name auf dem Grabstein landen. Die gleichgeschlechtliche Partnerin oder der gleichgeschlechtliche Partner hatten alle diese Rechte nicht. Gott bewahre, wenn Kinder im Spiel waren, die waren ebenfalls ohne Schutz. Weil es kein rechtliches Gefäss gab.

Der dritte Grund, warum ich für die Ehe für alle bin: Ich habe kein Recht, Leuten vorzuschreiben, wie sie ihre Liebe leben. Ganz egal, wie traditionell oder wild ihre Vorstellungen von Zusammensein aussehen. Du heiratest aus juristischer Notwendigkeit? Gut für dich. Du lebst in einer vierköpfigen Poly-Kommune? Legitim. Du willst ganz in Weiss heiraten und Hochzeitseinladungen mit Diddlmäusen verschicken? More power to you.

Bei der Ehe für alle geht es nicht darum, ob Herr und Frau Schweizer die Vorstellung von Lesben und Schwulen befürworten. Wer Homo-Ehen eklig findet, soll keine eingehen. Es geht darum, dass wir allen Menschen die gleichen Rechte geben. Mit dem neuen Beschluss unseres Parlaments haben Frauenpaare übrigens noch immer weniger Rechte als Heteros. Damit ist die Ehe noch immer weniger fair als Cremeschnitten. Macht die Ehe endlich gleich fair wie Cremeschnitten.

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