, 10. März 2019
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«Das ist nicht links, das ist Wissenschaft»

Mit der Ostschweizer Klimajugend unterwegs: auf der Strasse, an einer Diskussionsrunde und im Kantonsrat.

Am Rand des dritten Schulstreiks in St.Gallen kommt es zu einer kleinen verbalen Auseinandersetzung. Ein nicht mehr ganz junger Herr am Strassenrand ruft den Jugendlichen zu, sie gehörten gefälligst in die Schule und nicht an einen Protest, der «völlig hysterisch» sei. Dieser ganze Klimawandel sei «nur ein Hirngespinst».

Eine junge Frau geht zu ihm hin und erklärt, dass ihr auch die beste Ausbildung nichts nütze, wenn «der Planet bald am Arsch» sei – auch dank Ignoranten wie ihm. Der Mann läuft puterrot an und holt zu einem wirren Vortrag aus. Sein erhobener Zeigefinger zuckt vor dem Gesicht der jungen Frau herum. «Wir sind hier, wir sind laut, wenn man uns die Zukunft klaut!», skandiert derweil die vorbeilaufende Menge. Und: «What do we want? Climate justice! When do we want it? Now!»

Die junge Frau wendet sich mit einem Schulterzucken ab und hastet zu ihrer Kollegin, die etwas weiter vorne mit einem Transparent auf sie wartet. Später erzählen die beiden, dass sie in letzter Zeit öfters solche Begegnungen erleben. Meistens seien es Männer, die sie zurück auf die Schulbank verweisen wollen. «Diese alten Säcke stellen sich so gegen uns, weil sie sich nicht eingestehen wollen, dass sie mitverantwortlich sind für die Klimakrise», vermutet die Schülerin mit dem Transparent. «Ihnen ist das alles egal, sie verdrängen es, aber unsere Generation muss die Katastrophe ausbaden.»

Nicht Kindersoldaten, sondern Klimasoldaten

In St.Gallen gingen die Schülerinnnen und Schüler bis Mitte Februar bereits fünfmal auf die Strasse. Damit gehört der Osten zu den aktivsten Regionen der Schweiz. Nach dem ersten Streik in Zürich Mitte Dezember dauerte es nur wenige Tage bis zur Gründung des Kollektivs Klimastreik Ostschweiz und eine Woche darauf wurde bereits das erste Mal auch in St.Gallen gestreikt. «Greta Thunberg hat uns gezeigt, dass auch wir als Schülerinnen und Schüler etwas bewirken können», sagt die Kantischülerin Miriam Rizvi vom Kollektiv Klimastreik Ostschweiz. «Das gibt mir Kraft. Wir müssen alle die eigene Greta Thunberg, die Aktivistin in uns finden.» Am 15. März wird der erste weltweite Klimastreik stattfinden, rund 40 Länder werden sich voraussichtlich daran beteiligen.

Weltweiter Klimastreik
15. März: Im Thurgau, in Chur und in St.Gallen, um 17 Uhr bei der Vadianstatue am Marktplatz St.Gallen.

Organisiert werden die Streiks von den Jungen selbst über Whatsapp und die sozialen Medien, und nicht etwa von irgendwelchen rot-grünen Parteien und Umweltverbänden im Hintergrund, die die Schülerinnen und Schüler angeblich als «Kindersoldaten» missbrauchen, wie kürzlich ein rechtes Meinungsmedium behauptet hat. Besagter Artikel sei «ein echt guter Witz» gewesen, sagt Miriam Rizvi an der Podiumsdiskussion vor der Klimastreik-Soliparty in der Grabenhalle Mitte Februar. «Aber wir sind mit Sicherheit keine Kindersoldaten. Wenn, dann sind wir Klimasoldaten!»

Ebenfalls auf dem Podium ist Matteo Rothenberger. Der Kantischüler besucht das neu eingeführte Ergänzungsfach Nachhaltigkeit und verzichtet seit einiger Zeit auf den Konsum von Fleisch. Anfangs stand er den Streiks kritisch gegenüber, mittlerweile hat sich das etwas geändert. «Ich bin davon ausgegangen, dass die Streiks parteiengesteuert sind», erklärt er, «aber dem ist nicht so. Ich bin beeindruckt, wie eigenständig und stark sich die Streikenden für ihr Anliegen einsetzen, auch wenn ich mir etwas mehr Eigenbezug in diesem Thema wünschen würde. Es reicht nicht, wenn man einfach ein bisschen weniger Plastik verbraucht.»

Beim ersten Streik ist Rothenberger dabei gewesen, seither nicht mehr, obwohl er die Aktionen aufmerksam verfolgt – wegen den unentschuldigten Absenzen. Angst davor habe er nicht, aber Respekt. «Wenn ich später ein Praktikum machen will und der künftige Arbeitgeber sieht, dass ich so viele unentschuldigte Absenzen habe, macht das nicht gerade den besten Eindruck und könnte mich im schlechtesten Fall die Anstellung kosten.»

Unterstützung aus dem Stadtparlament

Einige Stunden vor der Podiumsdiskussion findet der vierte Schulstreik statt, an diesem Freitag ist der Treffpunkt um 13 Uhr beim Vadian-Denkmal in der St.Galler Marktgasse. Viele sind schon früher da. Die Sonne scheint, die Stimmung ist gut, Küsschen hier, Handshake da, es werden Klimastreik-Kleber verteilt und Sandwichs gefuttert. Auch der Leiterwagen für die Demo steht schon bereit. Bis jetzt war die Tonqualität der Ansprachen meist etwas dürftig, diesmal steht eine schmale weisse Box im Leiterwagen. Ausgeliehen vom Papa eines Schülers – und sie erfüllt ihren Zweck bestens.

Schon von Anfang an haben sich einzelne von der SP und den Grünen unter die Streikenden gemischt. Parteiflaggen sieht man immer noch keine, aber zum ersten Mal seit Beginn der Streiks in St.Gallen darf auch ein Stadtparlamentarier eine Rede halten – mit Lokalbezug: «Es ist mir ein Rätsel, wie bürgerliche Politikerinnen und Politiker und die Betonköpfe in der Verwaltung heute noch neue Autobahnen planen können», ruft Peter Olibet von der SP im Hinblick auf den geplanten Autobahnanschluss am Güterbahnhofareal ins Mikrofon. «Dagegen müssen wir kämpfen, lautstark und mit Engagement.» Weiter sichert er den Streikenden seine volle Unterstützung zu und verweist auf den Vorstoss, der bald eingereicht werde, um die Forderungen der Klimajugend ins städtische Parlament zu tragen.

Es ist erfrischend, dass sich die Parteien so angenehm zurückhalten bei den Klimademos und erstmal die Jungen machen lassen. Aus strategischer Sicht – 2019 ist Wahljahr – dürfte es aber sicher einige in den Fingern jucken, schliesslich läuft an den Demofreitagen ein riesiges Wählerpotenzial durch die Strassen. Geht es nach Miriam Rizvi, darf sich die Politik nun durchaus langsam einmischen, aber nicht zum Selbstzweck. Auf die Frage, was es braucht, damit die Bewegung nicht versandet oder resigniert, sagt sie: «Kleine Schritte, einen Dialog mit der Politik und Vorstösse oder besser noch Gesetze auf städtischer und kantonaler Ebene. Kleine Erfolge motivieren die Bewegung.»

Welche Parteien sich am stärksten für die Klimajugend einsetzen, dürfte klar sein, auch wenn sich FDP-Chefin Petra Gössi neuerdings grün gibt. Die Frage der politischen Prägung dieser jungen Bewegung bleibt trotzdem virulent. Auch am Podium in der Grabenhalle kommen die Gäste und das Publikum mehrmals darauf zurück. Ist der Klimastreik links? Ist er grün? Müssten sich nicht gerade die Bürgerlichen auch solidarisieren? Kann oder muss man den Klimaschutz mit anderen Kämpfen verbinden, beispielsweise mit jenen gegen den Kapitalismus, gegen Rassismus oder für die Rechte der Frauen und anderweitig Diskriminierten?

Auf die letzte Frage hat der Klimaforscher Hans Peter Schmid an der Podiumsdiskussion eine klare Antwort: «Es gibt viel zu viele Menschen auf dieser Welt, die sich momentan dem Klimaschutz gar nicht widmen können, weil sie ganz andere Probleme haben», sagt er. Ein weltweiter Klimaschutz habe nur dann eine Chance, wenn auch Probleme wie Armut, Unterdrückung und mangelnde Perspektiven durch schlechte Bildung bekämpft werden. «Das hat nichts mit links und rechts zu tun.» Und WOZ-Redakteurin Bettina Dyttrich doppelt nach: «Ich muss den Leuten in letzter Zeit immer wieder sagen: Das ist nicht links, das ist Wissenschaft.»

Future is watching you

Man kann es fast ein bisschen verstehen angesichts der schieren Grösse der Katastrophe. Dass es immer noch Leute gibt, die sich insgeheim sagen: «Zu meinen Lebzeiten wird das Klima ja noch halbwegs erträglich bleiben, sollen sich doch andere um das Problem kümmern.» Dieser Reflex kommt vielleicht auch aus einer gewissen Ohnmacht heraus, denn die Klimakrise lässt sich nicht auf der individuellen Ebene lösen, es braucht den kollektiven Effort. Ob es auch dem eingangs erwähnten älteren Herrn im Anzug so ergeht, der sich die Schülerinnen zurück in die Schulbank wünscht?

Naomi Klein erklärt sich die allgemeine Tatenlosigkeit in ihrem sehr lesenswerten Buch Die Entscheidung – Kapitalismus vs. Klima unter anderem mit einer herrschenden «Kultur der Verleugnung, des gleichzeitigen Wissens und Nichtwissens»: «Die Illusion der Nähe gepaart mit der Realität der Distanz ist der Trick, den der fossil befeuerte Markt bis zur Perfektion beherrscht. So wissen wir, wer unsere Güter herstellt, wer hinter uns sauber macht, wohin unser Müll verschwindet – seien es nun Abwasser, Elektromüll oder unsere CO2-Emissionen –, und wissen es gleichzeitig auch nicht.»

Die Jungen lassen jedenfalls nicht locker. «Wir hören nicht mit dem Streiken auf, bis die Politik auf unsere Forderungen eingeht», sagt Miriam Rizvi am Podium am Freitag. Um dem Nachdruck zu verleihen, stattet die Klimajugend dem Kantonsparlament am Montag darauf einen Besuch ab. An dessen Februarsession sind zwei Standesbegehren traktandiert: ein Verbot von Inlandlinienflügen und eine Kerosinsteuer. Unter dem Motto «Future is watching you» wollen die Klimastreikenden der arrivierten Politik auf die Finger schauen.

Als die über 50 Jugendlichen auf die Tribüne kommen, wird es merklich ruhiger im Saal als sonst an der Session, etwa ein Dutzend Polizisten und Sicherheitsleute postieren sich zwischen ihnen und den Politikern, manche nicken den Jungen freundlich zu, auf der anderen Ratsseite tuscheln ein paar miteinander und verdrehen die Augen. Die Diskussion um das Verbot der Inlandlinienflüge verläuft wie erwartet. SP und Grüne werden beklatscht, die Bürgerlichen ernten Buh-Rufe von den Schülerinnen und Schülern.

Als Ivan Louis von der SVP das Wort hat, stehen sie auf und entrollen ein Transparent mit der Aufschrift «Reisst euch zusammen, die Erde steht in Flammen». Dazu skandieren sie den wohl bekanntesten aller Schlachtrufe der Klimajugend: «Wem sini Zuekunft? Üsi Zuekunft!»

Ein Hoch auf die kleinen Erfolge

Am Ende wird das Standesbegehren für ein Verbot der Inlandlinienflüge klar abgelehnt. Die Jungen räumen das Feld. Allerdings ein bisschen zu früh, denn das zweite Standesbegehren für die «Besteuerung der Flugtickets in der Höhe der CO2-Abgabe auf Flugbenzin/Kerosin» wird kurz darauf mit 54 zu 51 Stimmen bei 2 Enthaltungen knapp angenommen. Die St.Galler Regierung muss also beim Bund eine Standesinitiative für eine Kerosinsteuer einreichen. Dazu wäre es wohl kaum gekommen ohne den lautstarken Protest der Jugendlichen auf der Strasse und an diesem Februarmontag auf der Zuschauertribüne.

Wie Miriam Rizvi sagt: Eine Bewegung braucht auch die kleinen Erfolge, um nachhaltig zu sein. Die Kerosin-Standesinitiative ist einer davon. Und offenbar braucht es auch die Wut der Gegner, wenn man der Klimajugend glauben darf: Die Argumente gewisser SVP-Exponenten seien teilweise so haarsträubend und irrational, dass sie einem fast schon leid tun, sagen zwei Aktivistinnen nach dem Besuch im Kantonsrat. «Die kümmern sich ja eh nur um sich selbst. Die Aktion heute hat uns in unserem Kampf nur noch mehr bestätigt.» Man darf getrost behaupten, dass diese Generation auch einigermassen nachhaltig politisiert worden ist.

Wie es mit der Bewegung in St.Gallen weitergeht, ist schwer vorherzusehen. Sicher wird am internationalen Klimastreik am 15. März nochmal das grosse Geschütz aufgefahren. An Ideen für weitere Streiks und Aktionen mangelt es auch nicht, wie einige Gespräche nach der Podiumsdiskussion in der Grabenhalle zeigen. Von der Besetzung des Flughafens Altenrhein über das Lahmlegen von Reisebüros bis zum Velocorso auf den Verkehrshauptachsen ist so ziemlich alles dabei.

Dieser Beitrag erschien im Märzheft von Saiten.

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