, 20. September 2018
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«Das Klima ist viel härter geworden»

Der CaBi Antirassismus-Treff St.Gallen feiert Jubiläum, am Samstag wird gefeiert. Bea Weder, Mitgründerin des CaBi, über 25 Jahre Basisarbeit und den Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit.

Bea Weder, wie kam es zur Gründung des CaBi und wie war das gesellschaftliche Umfeld damals?

Bea Weder: Wir waren eine gemischte Gruppe, Schweizerinnen, Kurden, Türkinnen, Tamilen und andere, die die Café-Bibliothek 1993 gegründet haben. Ursprünglich wollten wir eine Initiative zur Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Ausländerinnen und Ausländer im Kanton lancieren. Dann schien uns aber wichtiger, kontinuierlich und im Alltag etwas zu tun zum Thema Migration und Rassismus. An der Linsebühlstrasse 47 wurde dann der Raum frei, in dem sich bis heute das CaBi befindet.

Auf das Ausländer-Stimm- und Wahlrecht warten wir allerdings immer noch.

Ja genau. Wir haben das Thema damals nicht weiterverfolgt, in erster Linie deshalb, weil wir dem Anliegen keine Chance gaben. Ob es heute ein Chance hätte, ist eine andere Frage. Grundsätzlich fände ich das Stimm- und Wahlrecht für ausländische Personen ein Muss. In der Stadt St.Gallen gibt es zumindest den Partizipationsartikel. Das ist in Ordnung, aber natürlich nicht dasselbe wie ein Recht, das man selbstverständlich wahrnehmen kann oder auch nicht. Aber für uns ist es im Moment kein Thema.

Warum nicht?

Man müsste unglaublich viel Energie investieren. Und bei den geringen Chancen stellt sich die Frage, was dabei an Meinungsbildung und an Denkprozessen in Gang kommen könnte, für die sich der Einsatz wirklich lohnt.

Was war und ist das Hauptanliegen des CaBi?

Das Ziel war von Beginn weg ein Treffpunkt mit freiem Zugang. Am Anfang hatten Café und Bibliothek lange Öffnungszeiten, nachmittags war immer Betrieb. Unser Anliegen war es, einen Austausch in Gang zu bringen, politisch wie persönlich. Neben dem Café und den Büchern in verschiedenen Sprachen gibt es Veranstaltungen, etwa die Reihe «Kennst du mein Land jenseits der Schlagzeilen?». Wir haben die Beratungs- und Anlaufstelle für Rassismus aufgebaut, machten Rekurse, organisierten Deutschkurse, und seit 1996 gibt es immer freitags die Küche für alle.

Die Küche für alle. (Bilder: CaBi)

Das CaBi füllte eine Lücke – ist das heute immer noch so?

Die Migranten hatten damals noch weniger eigene Vereinslokale und waren daher stärker präsent im CaBi. Insgesamt gibt es heute ein vielfältigeres Angebot, mit Solinetz und Solihaus, mit Aktivitäten des Heks und anderen. Was sich auch geändert hat: Viele der damaligen Asylsuchenden haben heute den Schweizer Pass. Zum Beispiel unsere Präsidentin Najwa Sayeda, eine Palästinenserin aus Syrien. Oder Jeyakumar Thurairajah, der als tamilischer Flüchtling nach St.Gallen gekommen war. Oder mein Mann, er kommt aus Iran, ist aber auch schon längst Schweizer.

Ist die politische Lage schwieriger geworden im Vergleich zu damals?

1981 ist das Asylgesetz in Kraft getreten. Seither gab es über zehn Revisionen, meistens waren das Verschärfungen, gegen die das Referendum ergriffen wurde, zum Beispiel gegen Zwangsmassnahmen im Ausländergesetz oder später gegen die Einführung der Nothilfe. Wir haben als lokale Organisation diese nationalen Kampagnen mitgetragen. Das Klima ist eindeutig viel härter geworden. Die Zahlen der Geflüchteten schwanken, aber aktuell gibt es einen starken Rückgang, weil die Grenzen so unglaublich abgeschottet sind.

Bea Weder (Bild: Andri Bösch)

Viele vergebliche Kämpfe: Wie geht man damit um? Ist das eine Quelle dauernder Frustration?

Ich würde nicht sagen, dass ich persönlich leide darunter. Ich finde es wichtig, weiter zu arbeiten und dranzubleiben. Rassismus ist vielerorts als Thema in den Köpfen angekommen. St.Gallen ist zum Beispiel der Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus beigetreten. Es gibt die Beratungsstelle gegen Rassismus und Diskriminierung des Heks im Auftrag des Kantons. Das heisst: Da ist einiges passiert und in Bewegung gekommen. Es tut gut, das festzustellen.

Andrerseits häufen sich rassistische Vorfälle.

Die Schwelle, rassistische Aussagen zu machen, ist eindeutig gesunken. Wir haben immer wieder Leute in der Beratung, die Rassismus und Diskriminierungen ausgesetzt waren, auch junge Secondos erleben solche Dinge. Unsere Beobachtungen stimmen mit denen des Schweizerischen Netzwerks der Beratungsstellen überein: Die meisten Diskriminierungen, Benachteiligungen oder herabwürdigenden Behandlungen passieren am Arbeitsplatz und im Bildungsbereich. Insbesondere Rassismus gegen Schwarze und Muslimfeindlichkeit haben zugenommen in den letzten Jahren.

Gegen Krieg – die Daueraufgabe.

Rassismus, auch versteckter Rassismus nimmt zu, gleichzeitig hofft man ja auf eine durchlässige Gesellschaft, in der sich niemand abgrenzen muss. Hast Du eine Lösung?

Schwierig. Meine Utopie wäre natürlich auch eine offene Gesellschaft, in der jede Person auswählen könnte, wo und wie sie leben will. Die Realität ist etwas bescheidener: dass wir die zugewanderten Menschen einbeziehen, dass man sich gemeinsam an einen Tisch setzt, Freundschaften schliesst. In dem Sinn bieten Basisprojekte wie das CaBi gute Bedingungen, zusammenzukommen in einfachen, auch mal chaotischen Strukturen.

Soli-Fest 25 Jahre CaBi

Mit Serenat Ezgican (World Music), Etrit Hasler (Slam), Nile Group ( Afro-Euro-Folkpop), Bear Pit (Punkrock) und DJ Naurasta Selecta

Samstag 22. September 20 Uhr Grabenhalle St.Gallen

cabi-sg.ch

Das klappt offenbar auch nach 25 Jahren noch, und erst noch als Kollektiv?

Ja, und es gibt immer wieder neue Initiativen. Dazu gehört etwa die Syrien-Kurdistan-Gruppe. Sie betreibt eine Solidaritätsküche und sammelt Geld. Damit hat sie Suppenküchen in Aleppo in Syrien finanziert und im türkisch-kurdischen Gebiet Medienschaffende unterstützt. Sie organisiert zudem Delegationsreisen in die Krisengebiete. Das ist spannend am CaBi: reagieren zu können auf aktuelle Entwicklungen. Zu sagen: Das ist jetzt nötig, das machen wir! So wie 2014/15 mit der Forderung, hunderttausend Syrerinnen und Syrer in der Schweiz aufzunehmen.

Diese Forderung ist aber auch verpufft.

Es sind nicht hunderttausend da. Aber es geht bei einer solchen Basisarbeit auch darum, Themen sichtbar zu machen, sich auseinanderzusetzen und zu informieren. Was mir darüber hinaus gefällt, ist das CaBi als Raum. Er dient immer wieder auch neuen Gruppen als Treffpunkt. So den jungen Berthas* – sie schätzen es, einen Raum zu haben, wo man willkommen ist und Dinge ausprobieren kann.

Ort des Austauschs und der Freundschaft: der Tisch im CaBi.

War die Gründerzeit des CaBi eine offenere Zeit?

Es ist anders heute, ich stehe selber auch an einem anderen Ort… Ja, vielleicht war es eine lebendigere Zeit, aber die neuen Gruppen bringen viel Lebendigkeit hinein. Und eine neue Generation engagiert sich. Das ist cool – und alles andere als selbstverständlich. Immer wieder neue Ideen haben, sich einbringen, Themen miteinander aufgreifen und bearbeiten… das ist das CaBi.

Keine grosse politische Forderung zum 25-Jahr-Jubiläum im Sinn von: Für eine Welt ohne Grenzen und Zäune?

Das kann man immer sagen, das ist wichtig. Aber mein Engagement sehe ich stärker im Lokalen und Regionalen. Und ja: Vielleicht bräuchte es doch wieder einmal einen Anlauf für das Ausländer-Stimm- und Wahlrecht.

 

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