das Moos mit bloszen Füszen

Die Dichterin Friederike Mayröcker ist 96jährig in Wien gestorben. «Gedichte wie ein Baum in einem Haus», schreibt der St.Galler Musiker Charles Uzor in seinem Nachruf auf Mayröcker.
Von  Gastbeitrag
Friederike Mayröcker. (Bild: Suhrkamp Verlag)

schon kühlt die Erde ab, weisze Wolkenperük-
ke oh Wolkenliebling was mich dauert dein
Verschwinden, der Wald dieser

Liebling tief verschleiert verschlossen entschlafen, meine
Hand mein Mund, suchen nach dir ……. die Erinnerung lieb-
liche, das Moos mit bloszen Füszen, das Moos, ich habe die-
ses Buch verzückterweise.

Wo find ich Reh bist du Reh? irgend ein Ge-
dicht ist auf dem Boden gelegen : immer diese
Worte die mir entschwinden, so, Zünglein es
bangt mir um dich, als wäre das entschwun-
dene Wort : die entschwundenen Worte wie-
der aufgetaucht : es war aber nur ein Hauch
oder Wunde,

(aus: Friederike Mayröcker: da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete, Suhrkamp 2020)

Nun ist die grosse österreichische Dichterin gestorben.

Friederike Mayröcker verhüllt ihre Gedichte mit Bildern, die leuchten. Ihre Texte sind ein Proem (engl. Vorwort) zum eigentlichen Gedicht, gleichzeitig Poesie und Prosa, schwere, barocke Tore, gegen die man mit ganzem Körper anstemmt. Man möchte diese Verse berühren oder nachsprechen wie ein Kind, stumm mit bewegten Lippen. Proeme eines Gedichts, das erst kommt, imaginär, geisterhaft bleibt.

Wie ein Baum in einem Haus

Mayröcker baut Gedichte wie ein Baum in einem Haus, dessen Form dem Gestrüpp ihrer Werkstatt gleicht, wo wuchernde Satzzeichen ihre Wortkaskaden hemmen. Nach und nach werden die Zeichen Thema, Matritze für das hypothetische Erleben: Klammer, Punkt, Doppelpunkt, Bindestrich und immer wieder die geliebten Lettern sz.

Fast liest man eine mit Haut und Haar romantische Naturlyrik und schon streut Mayröcker einem Sand in die Augen. Sie tanzt wie erstarrt im Satyrspiel zur puren Form, mit Puder, Strumpf und Perücke – eine Perückendichtung, in der überschäumendes Lachen, Spleen und göttlicher Unsinn in die Tristesse einer Welt ultimativer Assoziation (die zugleich als grosse Prüfung und grösstem Witz erfahren wird) umschlägt.

Das erste Buch Larifari schreibt Mayröcker 1956. Ab den 6oern folgt Jahr für Jahr ein Gedichtband nach dem anderen, Hörspiele – Lyrik, die sich zunehmend autobiographisch, fiktiv, apokryphisch, manieristisch, blasphemisch und in einer fast schüchternen Erotik an den Rändern der Verständlichkeit bewegt und die Weggefährten Fried, Artmann, Celan und Beckett hinter sich lässt. Diese Lyrik gleicht einer Abhandlung der Histoire naturelle und verströmt Melancholie und Vergänglichkeit.

Im Staubmantel

Mit Ernst Jandl, dem Lebensmenschen, Partner, Mann und Geliebten ist sie 50 Jahre verbunden. Nach seinem Tod wirkt sie wie verloren und ihre Gedichte werden immer trauriger. Alles steht für ihn, ihre zarten Bilder, die vielen Blumen, die wie Protagonisten auftreten, ihr Schalk, hyperventilierend. In der Enge der eineinhalb Zimmer ihrer Wiener Wohnung scheint die Natur gebannt, die Blume gepresst zwischen den Buchseiten, der Schmetterling aufgespiesst – oder wie Mayröcker raunt: im Staubmantel = stabat mater.

weh mir : mein Augé
3. November 2019.

Dies ist der letzte Eintrag ihres letzten Buchs da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete.

Vielleicht ist Mayröcker so schön zu lesen, weil man sich, in der diskreten Distanz der Betroffenheit, so persönlich angesprochen fühlen kann, ohne ihrer Lyrik zu nahe zu treten.

Friederike Mayröcker wurde am 20. Dezember 1924 in Wien geboren und starb am 4. Juni 2021 ebenda.