, 22. März 2016
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Das Toggenburg klingt – trotzdem

Im Toggenburg wandert seit zwei Jahren ein Preis für kulturelles Schaffen – der Kulturwanderpreis. Er ging am Samstag an den Chorleiter Philipp Kamm. Thema im Hintergrund war auch das Nein zum Klanghaus. Michael Hug war dabei.

Das Leben geht weiter. Es wandert sogar, währenddem das Klanghaus zurzeit grad stillsteht. Versenkt sei es worden, doch daran mögen die Toggenburgerinnen und Toggenburger nicht so recht glauben. Schockstarre herrscht noch immer.

Aber das Leben geht weiter. Am Samstag wurde in Ebnat-Kappel – im «Ackerhus», auch so einer Kulturinstitution, die aus regionaler Initiative entstanden ist – der erst vor zwei Jahren geschaffene Kulturwanderpreis von Kultur Toggenburg verliehen. Preisstifter ist der Verein Kultur Toggenburg, der für die Verteilung der öffentlichen Kulturgelder im Toggenburg zuständig ist. Dem Verein geht es materiell gut, er wird mit drei Franken pro Einwohnenden des Kreises Toggenburg alimentiert, und er kann es sich leisten, einen Preis zu vergeben, der nebst Wanderstock und Körbchen für Wanderwegzehrung mit 5000 Franken dotiert ist.

Klüngelei fast ausgeschlossen

Die Regeln des Kulturwanderpreises besagen, dass der oder die nächste PreisträgerIn vom aktuellen bestimmt wird. Er oder sie darf aber nicht einen Kandidaten des eigenen Kultur-Berufsstandes wählen. Damit ist gewährleistet, dass der Preis unvorhersehbare Wanderwege einschlägt, und ausserdem ist Klüngelei fast ausgeschlossen. Tanzpädagogin Evelyn Rigotti war die erste Preisträgerin, sie bestimmte 2015 den Bildenden Künstler Peter Thum, der wiederum schlug jetzt den Musiker Philipp Kamm vor. Es ist bezeichnend, dass alle drei Ausgezeichneten bis anhin noch nicht mit bemerkenswerten Preisen überhäuft wurden. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass – mit Ausnahme von Rigotti – die geehrten Kunstschaffenden ausserhalb des Toggenburgs nicht gross in Erscheinung traten.

Das Haus meiner Eltern

Philipp Kamm gibt dies auch zu: «Ich habe es in meinem ganzen Leben noch nicht aus dem Toggenburg geschafft. Stets habe ich von meinem Wohnzimmer aus das Haus meiner Eltern gesehen.» Immerhin hat Kamm in Zürich studiert, ziemlich genau doppelt so lange als man dies normalerweise tut. Kamm gilt – mit 37 – noch immer als Student (Germanistik), mit dem verblassenden Ziel, dereinst als Deutschlehrer wirken zu wollen, vor Augen.

Wobei er, der sein Klavier-Handwerk beim grossen Wolfgang Sieber erlernt hat, nun nicht mehr ausschliesst, sich vielleicht doch einer höheren Ausbildung in Musik zu widmen. Denn zeitlebens hat der Mann nur Musik gemacht, als Pianist, als Organist, der er in der Kirchgemeinde Ebnat-Kappel ist, als Bandleader, Komponist, Arrangeur und Chorleiter. Er ist ein Anhänger des projektbezogenen Schaffens, nicht des ewigwährenden Werks, und dabei ist sein ganzes Schaffen ein einziges Werk.

Mehr singen und zusammenhocken

Seine aktuellen Projekte sind der ad-hoc-Chor Ebnat-Kappel und der «Wyberchor», die es beide mit Experimenten von Welt- über Kirchen- bis zu Populärmusik im mittleren Toggenburg zu einiger Bekanntheit gebracht haben, sowie diverse Kompositionen für ebendiese Chöre oder für seine Schwester Barbara Kamm, die Geigerin ist und Mitglied der «Brandhölzler Striichmusig».

«Ich empfinde wahre Freude beim Singen», sagt Philipp Kamm, «ich meine, wenn die Menschen mehr zusammenhocken und singen würden, liefe einiges anders ab auf dieser Welt.» Er tritt sogleich den Beweis an und bringt das Publikum im Saal des «Ackerhus» zum Singen. Ohne Federlesens, da muss man mit, da möchte man mit, denn passen wäre fast ein bisschen peinlich.

Kein Exot oder Eigenbrötler

Als Toggenburger, der sich nicht dem Hackbrett oder einem der hier beliebten Streichinstrumente zugewandt hat und der über genetische Beziehungen über kurz oder lang mit fast  jedem Instrumentalisten oder jeder Sängerin im Toggenburge verwandt ist, ist Kamm in seinem Tal indes kein Exot oder gar ein Eigenbrötler. Er fügt sich nahtlos ein in die Landschaft der Klangmacherinnen und Klangmacher hinter dem Säntis und gestaltet mit seinem unablässigen Enthusiasmus die musikalische Welt dieses Tals mit. Eine Welt, eine Wahrnehmung, ein Bewusstsein, die ganz unten, nicht nur am Talboden, sondern tief im Herzen der hier lebenden Menschen beginnt und deren Empfindungen Philipp Kamm zu berühren versteht. Vielleicht dereinst dann doch noch auch im Klanghaus.

Bild: Michael Hug

Mehr zum Klanghaus heute abend im Palace St.Gallen: die Debatte.

 

 

 

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