, 5. April 2020
3 Kommentare

Der Corona-Putsch

Was sich in der zweiten Märzhälfte in der Schweiz ereignet hat, war in dieser Dramatik eigentlich gar nicht denkbar – bis das Virus kam und mit ihm die Ausserkraftsetzung der demokratischen Grundordnung. Ein Putsch hat stattgefunden – nicht als blutige Militäraktion, sondern als reiner Verwaltungsakt, über den Verfahrensweg in Gang gebracht: Epidemiengesez, Notstandserklärung, Notrecht. Ein Kommentar von Harry Rosenbaum

Der Lockdown ist im Grunde genommen eine Verwaltungsdiktatur. Wer das Prozedere beherrscht, marschiert durch die Institutionen und kujoniert den politischen Souverän.

Per Dekret werden drastische Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, rigorose soziale Kontaktsperren sowie Verbote für Veranstaltungen und Versammlungen jeglicher Art verordnet. Die Staatsgrenze wird dicht gemacht, Ausländer*innen zu Zehntausenden an der Einreise gehindert. Der Service public ist praktisch auf Null heruntergefahren. In täglich live übertragenen Medienkonferenzen wird durch mantrahafte Wiederholungen die Bedrohung von Land und Volk immer drastischer ausgemalt.

Fall- und Todeszahlen als Stimulanz

Die Schreckensmeldungen beziehen sich auf ständig ändernde Fallzahlen von Neuerkrankten und Verstorbenen. Die Quoten können nicht in Echtzeit wiedergegeben werden, sondern immer mit einer Verzögerung von mehreren Tagen. Dadurch fehlt die Authentizität der Zählung.

Ihre Methodik ist zudem sehr verwirrend, denn mit den rasant ansteigenden Corona-Tests nehmen die Fallzahlen exponentiell zu und geben so ein verzerrtes Bild ab. Die Uneinigkeit unter den Expert*innen über die Interpretation des Zahlenspiels erinnert sehr stark an eine Metzgerei, wo am Verkaufstresen jeweils gefragt wird: «Darf es etwas mehr oder etwas weniger sein.»

Es stellt sich die Sinnfrage: Was soll dieser «totale Krieg» gegen einen unsichtbaren Feind, von dem man nur eine sehr vage Ahnung hat, wie er funktioniert. Er ist kein Lebewesen, höchstens ein lebensnahes Subjekt, das man als neuartige Abart dem umtriebigen Virenstamm Corona zuordnet, der metaphorisch die Macht über Leben und Tod an sich zu reissen droht.

Nächstes, übernächstes und überübernächstes Virus

Das Ziel der einmaligen globalen Interaktion – der sich die Schweiz angeschlossen hat – ist die Ausrottung von Sars-CoV-2. Eventuell mag das gelingen. Vermutlich sind aber in der Pipeline schon weitere neuartige Versionen des nächsten, übernächsten und überübernächsten Virus… Denn in diesem Kampf gibt es keinen Sieg. Eine solche Annahme ist reiner Machbarkeitswahn. Die Menschheit wurde und wird immer wieder von mehr oder minder verheerenden Seuchen befallen. Anscheinend gehört das zur Evolution.

Vernünftiger als wissenschaftsgläubige Ausrottungs-Fantasien sind die Entwicklung von Methoden, wie die Menschen unter Optimierung der Schadensverhinderung mit der Bedrohung durch Seuchen leben und umgehen können. In Bezug auf Naturkatastrophen ist diese Einstellung ja bereits weitgehend akzeptiert.

Auf Notrecht folgt der Totalitarismus

Zurück zum Verwaltungs-Putsch, den die Pandemie ausgelöst hat. Harmlos ist dieser neoliberal inspirierte Vorgang nicht, denn schaut man näher hin, entdeckt man einige Muster, die schon mal da waren in der Menschheitsgeschichte und sich brutal ausgewirkt haben.

Der durch die eidgenössischen Räte selbstverordnete Abbruch der Frühjahrssession und der Rückzug in die Quarantäne erinnert – in einer etwas krassen Sichtweise – an das «Ermächtigungsgesetz» der Nazis von 1933. Der Akt wurde damals als «Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich» deklariert und verschaffte Hitler die alleinige gesetzgebende Gewalt.

Auch wenn dieses Beispiel weit hergeholt ist, muss trotzdem der Mahnfinger erhoben werden. In einer Bedrohungslage hat der Bundesrat das Notrecht eingeführt, um einerseits die Pandemie effizient bekämpfen zu können und andererseits die wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit als Krisenbekämpfungsinstrument zu gewährleisten.

Gefährlich an diesem Instrument ist, dass es weitgehend unkontrolliert eingesetzt werden kann und leicht eine totalitäre Form annimmt, denn die bereits stark eingeschränkten bürgerlichen Freiheiten können noch drastischer beschnitten werden. Ein Referendum dagegen ist nicht möglich. So kommt die Demokratie zum Erliegen.

Der autoritäre Staat bezieht Position. Erstmals können jetzt auf gesetzlicher Grundlage Handy-Ortungen zur Überwachung der Bevölkerung eingesetzt werden, angeblich um die Einhaltung des Versammlungsverbotes zu kontrollieren. Die von Swisscom bereitgestellten Daten seien anonymisiert, heisst es. Was in einer ersten Anwendung seinen Zweck erfüllt, wird in der Regel auch beibehalten, das ist das Unheimliche.

Die Macht der Regierung kontrollieren und einschränken kann nur das Parlament. Es tritt am 4. Mai 2020 zur Sondersession zusammen und will sich ausschliesslich den bundesrätlichen Notverordnungen widmen. Die Vergangenheit hat gezeigt, der Bundesrat lässt sich aber nicht ohne weiteres einmal eingeführte autoritäre Regierungsformen wieder wegnehmen.

Innenminister Alain Berset hat in diesen von Corona beherrschten Zeiten auf die Frage nach dem Ende des bundesrätlichen Notrechts und der Rückkehr zur Normalität die sibyllinische Antwort gegeben: «Wir befinden uns auf einem Marathonlauf.» Wohin dieser Dauerlauf führen kann, hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt. Sieben lange Jahre nach dessen Ende musste die Landesregierung durch eine Volksinitiative gezwungen werden, das in der Bedrohungszeit angeeignete Vollmachtenregieme wieder abzugeben.

Sogar der staatstreuen NZZ am Sonntag ist es ob den Vollmachten, mit denen sich der Bundesrat in Zeiten von Corona ausgestattet hat, «gschmuch». Am 22. März 2020 schrieb das Blatt: «Denn Notrecht ist bequem und verführerisch. Was soll dieser umständliche Föderalismus, der Bund hat das doch alles viel besser im Griff? Was will das Parlament, wo doch der Bundesrat gerade so gut regiert? Wieso sollen unsere Polizisten Menschenansammlungen aufspüren, wo wir doch mühelos auf Handydaten zurückgreifen könnten? Solche Verlockungen liegen nahe, und sie beunruhigen.»

In der Sondersession liegt es nun bei den eidgenössischen Räten den «Verwaltungs-Putsch» des Bundesrates zu beenden.

3 Kommentare zu Der Corona-Putsch

  • […] in Gang gebracht: Epidemiengesez, Notstandserklärung, Notrecht. Ein Kommentar von Harry Rosenbaumhttps://www.saiten.ch/der-corona-putsch/ Risikogruppen: „Gesundheit ist eine zutiefst ungleich verteilte Ressource“ Arme […]

  • Muster Hans sagt:

    Gut.

  • Lieber Autor Harry
    «Denn gang doch uf Moskau!», hast du ja gewiss schon zur Genüge gehört in deinen jungen Jahren …
    Und jetzt kannst du den vermeintlichen Reiseaufrufern ja nicht einmal einen Halblanggefallen machen mit Konstanz, Bregenz, Chemnitz und Budapest.
    Es gilt stark zu sein in der lebensrettenden Diktatur der ausserordentlich besonderen Lage – und früher oder später nicht zu kneifen.
    Das alles sagt, ja singt auch mein Alter Ego stefanalfred; und zwar auf optimal berührende Art in seinem TANGO CORONA, wie du weisst:

    https://youtu.be/rwTOFvQN0oo

    Abgesehen davon: Frohe Ostern.
    Liebe Grüsse
    Stephan Daehler

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit über 25 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!