, 15. Februar 2018
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Der Kampf um die Nachrichten

Der Arbeitskampf bei der SDA ist eine Momentaufnahme der Misere in der Schweizer Medienwelt, die von Verdrängungskämpfen und Renditeoptimierungen ausgelöst worden ist. Wie kam es zur Krise, wie sehr braucht die Ostschweizer Politik die Depeschenagentur – und wie könnte die Nachrichten-Zukunft aussehen?

Bilder: Syndicom

Der Streik des SDA-Personals wird für weitere zwei Tage ausgesetzt. Dies beschloss die Vollversammlung der Belegschaft am Mittwochabend. Am Vortag fand eine erste Verhandlungsrunde mit dem Verwaltungsrat der SDA statt. Zwei weitere sind für Donnerstag und Freitag angesetzt. Zum Inhalt der Verhandlungen wird vorerst keine Stellungnahme abgegeben. Erst nach Abschluss wird sich die Verhandlungsdelegation zu den Resultaten äussern können, heisst es in einem Communiqué der Gewerkschaft Syndicom.

So kam es zum Streik

Zu den Kampfmassnahmen entschloss sich die Belegschaft, nachdem am 8. Januar von der Geschäftsleitung der SDA die Streichung von 36 der insgesamt 150 Redaktions-Vollzeitstellen angekündigt worden war. Davon würden über 80 Personen betroffen. Der Personalabbau ist unter anderem bei der Wirtschafts-, Ausland- und bei der Kulturredaktion geplant.

Die Belegschaft hatte auf die geplante Massenentlassung am 23. Januar in Bern mit einem dreistündigen Warnstreik reagiert. Weil die Geschäftsleitung nicht zu Verhandlungen mit der Redaktionskommission bereit war, wurde daraus ein viertägiger Streik, an dem sich alle Regionalbüros der Agentur beteiligt haben. Am 2. Februar ist er zugunsten von Verhandlungen mit dem Verwaltungsrat der SDA ausgesetzt worden. Gefordert werden von den Beschäftigten insbesondere die Sistierung der Kündigungen.

Medienleute streiken in der Schweiz äusserst selten. Das letzte Mal passierte dies vor 40 Jahren, als der Chefredaktor des Boulevardblattes «Tat», Roger Schawinski, entlassen worden war. Die Verlegerin, die Migros, machte kurzen Prozess und stellte die Zeitung ein. Bei der SDA wird das nicht geschehen. Aber wie der Arbeitskampf schliesslich ausgeht, bleibt noch völlig offen. Unterstützt wird er vom Personalverband Impressum und von der Gewerkschaft Syndicom.

Wichtigste Forderung: Sistierung der Kündigungen

Im Interview mit der «Medienwoche» hat Impressum-Geschäftsführer Urs Thalmann über die bisherigen Erfahrungen und Ziele der Kampfmassnahmen gesprochen. Mit Streik habe das SDA-Personal reagiert, nachdem die Geschäftsleitung ziemlich kaltblütig die Vorgaben des Verwaltungsrats umgesetzt und gesagt habe, ihr bliebe kein Verhandlungsspielraum. «Nach drei Tagen Streik traf die Redaktion dann endlich eine Delegation des Verwaltungsrats und hat mit ihr die Verhandlungen vereinbart», erklärt Thalmann. «Aber da man ja nicht weiss, was dabei herauskommt, wurde der Streik nicht abgebrochen. Dem Unternehmen ging es einfach darum, die Kündigungen möglichst bis Ende Januar auszusprechen.»

Die wichtigste Forderung sei die Sistierung der Kündigungen, bis seriöse Verhandlungen über alternative Massnahmen stattgefunden hätten, führt Thalmann weiter aus. Da stelle sich die Personalkommission auf den Standpunkt, dass das bisher noch nicht stattgefunden habe. Eine zehntägige Konsultationsfrist reiche dafür nicht aus. Der Einblick in die Dokumente sei ungenügend gewesen. Die Führung habe keine Möglichkeit gegeben, sich mit den Fragen ernsthaft auseinanderzusetzen. Es gehe also um die Forderung, dass das Mitwirkungsrecht der Redaktion richtig umgesetzt werde. Mitwirkung und Konsultation gehe weiter als Anhörung. Die Voraussetzung sei die ernsthafte Bereitschaft, umsetzbare Vorschläge des Personals auch tatsächlich substantiell zu berücksichtigen.

Der Impressum-Geschäftsführer bemängelt am derzeitigen Sozialplan der SDA-Leitung die Behandlung der älteren Mitarbeitenden, speziell der über 60-Jährigen. Davon sei eine ganze Reihe betroffen. Ihre Behandlung sei unwürdig. Der Sozialplan könne in dieser Hinsicht massiv aufgebessert werden, etwa mit mehr Geld für Übergangsrenten bei Frühpensionierung, damit die Betroffenen nicht einen existenzbedrohenden Einkommensrückgang hinnehmen müssten.

«Grundsätzlich glaube ich schon, dass eine moderne Agentur multimedial funktionieren muss», sagt Thalmann. «So wie es jetzt geplant ist mit der Fusion mit Keystone. Es ist ja absurd, dass heute alle Redaktionen konvergent arbeiten, aber Bild und Text bei verschiedenen Agenturen einkaufen müssen. Eine andere Frage, die sich stellt, ist halt tatsächlich, ob es nicht ungesund ist, wenn es nur eine Agentur gibt in der Schweiz, seit die AP – unter Beihilfe der SDA – verschwunden ist. Die Konkurrenz war ein Ansporn für die SDA. Das fehlt heute.»

So ist die SDA aufgestellt – und das sind ihre Probleme

Das 123-jährige Traditionsunternehmen ist im Besitz der Schweizer Verleger und hat 180 Mitarbeitende (davon 30 bei der Sportinformation). Die SDA ist mit insgesamt 15 Büros in allen Landesteilen aktiv. Die Agentur liefert rund 230’000 Meldungen im Jahr und das rund um die Uhr während 365 Tagen.

Mit Abstand die grösste Aktionärin bei der SDA ist der Zürcher Medienkonzern Tamedia. Deren Anteil ist seit der Übernahme der Westschweizer Edipresse-Zeitungen auf 29,4 Prozent angewachsen. Die NZZ-Gruppe hält eine Beteiligung von 11,4 Prozent, die SRG 10 Prozent und der Westschweizer Verlegerverband Médias Suisses 9,8 Prozent. Eine Anzahl weiterer Medienhäuser hält kleinere Beteiligungen.

Die Agentur rechnet im laufenden Jahr mit einem Fehlbetrag von 3,1 Millionen Franken. Bereits 2017 hat sie einen Verlust von einer Million Franken eingefahren. Sie hält allerdings noch immer eine Reserve von rund 18 Millionen Franken.

Zu den Ertragsproblemen gesellen sich auch personelle in der Führungsetage. Die grösste und einzige Nachrichtenagentur des Landes hat seit Spätherbst des vergangenen Jahres keinen Chefredaktor mehr. Nach zwölf Dienstjahren ist Bernard Maissen «entsorgt» worden. Die Gründe wurden bis jetzt nicht kommuniziert. Interimistisch trat an Maissens Stelle der frühere Chef der Bildagentur Keystone, Jann Jenatsch, ein gelernter Architekt. Und als alleiniger Geschäftsführer des Unternehmens amtet seit dem Abgang des Chefredaktors der langjährige Finanzchef, Markus Schwab. An der operativen Spitze der SDA sind jetzt also Leute, die nicht aus dem Journalismus kommen.

Die beiden Medien-Kraken Tamedia und NZZ-Gruppe wollen seit langem einen Billig-Laden aus der Nachrichtenagentur machen und drohen einmal mehr, bei der SDA auszusteigen und selber eine Agentur auf die Beine zu stellen. Das Projekt laufe unter dem Namen «Bulgaria», schreibt die «Republik». Damit wollten die NZZ und die AZ-Medien die SDA zu einem Rabatt von 30 Prozent zwingen. Der damalige SDA-Chefredaktor Maissen sei darauf aber nicht eingegangen. Erst als die Tamedia als grösste Aktionärin ebenfalls Rabatte verlangte, knickte die Agentur ein. Vereinbart wurde ein Rabatt von zehn Prozent. Unbeteiligt blieb die SRG, die dem Treiben zuschaute.

So will die SDA aus der Krise heraus

Die SDA und die Bildagentur Keystone sollen zur Keystone-SDA fusionieren. Der Zusammenschluss ist als Beteiligungstausch geplant: Die Austria Presse Agentur APA, die bisher wie die SDA eine 50-Prozent-Beteiligung an Keystone hält, bringt ihre bisherige Beteiligung in das neue Unternehmen ein und erhält dafür einen Anteil von 30 Prozent der Aktien von Keystone-SDA. Die österreichische Agentur wird damit «strategischer Technologiepartner» des neuen Medienunternehmens und nimmt Einsitz in dessen Verwaltungsrat. Die APA werde für die Entwicklung und Bereitstellung multimedialer und insbesondere digitaler Angebote im Rahmen einer langfristigen IT-Kooperation ihre Technologiekompetenz einbringen, teilte die SDA mit. Der geplante Unternehmenszusammenschluss muss erst noch von der Wettbewerbskommission (Weko) abgesegnet werden.

Wie ein Feldherr am Morgen vor der Schlacht hat der neue SDA-CEO Schwab den Personalabbau, der rund einen Viertel der Gesamtbelegschaft betrifft, und die künftige Unternehmensstrategie im Interview mit der «NZZ am Sonntag» kommuniziert. Die SDA sei keine Non-Profit-Organisation, sagte er, sondern eine Firma, die das Ziel habe, angemessene Gewinne zu machen. Damit sei die SDA nur ihren Aktionären etwas schuldig. Eine frühere Erklärung der SDA, dass das Unternehmen nicht gewinnorientiert arbeite, wies Schwab als nicht mehr gültig zurück.

Als Gründe für das SDA-Defizit nannte Schwab Tarifsenkungen und den Wegfall weiterer Leistungen, welche die Kunden nicht mehr abonniert hätten. Ausserdem verursachten die Kosten der Redaktion seit langem ein strukturelles Defizit. Er könne jetzt nicht mit einem strukturellen Loch in eine Fusion gehen, sagt der neue CEO. Der Verwaltungsrat sehe das genau so. Im Interview fragte Schwab auch, wie man auf die Idee komme, dass die SDA eine Verpflichtung für einen Service public habe.

Genau von dieser Verpflichtung geht aber Medienministerin Doris Leuthard aus und will deshalb der Nachrichtenagentur weiterhin jährlich zwei Millionen Franken aus den Mediengebühren zustecken. Im Interview mit der «Aargauer Zeitung» zeigte sich die Bundesrätin besorgt über die Situation bei der SDA. Die Nachrichtenagentur habe eine grosse Bedeutung für die Medienvielfalt. Der Bund sei ein guter Kunde der SDA und kaufe Produkte ein, die die Agentur in hoher Qualität produziere. Sehr wichtig sei die SDA auch für kleinere Verleger, die sich keine eigenen Redaktoren für die Ausland-, Kultur- und Sportseiten leisten könnten.

Den Zustupf aus den Gebührengeldern sieht Schwab nicht als Subvention, sondern als Leistungsauftrag. «Wir sind frei zu entscheiden, ob wir ihn annehmen», sagte er der «NZZ am Sonntag».

Nick Lüthi von der «Medienwoche» meint dazu: «Geht es darum, die privaten Medien mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren, gilt bei Schweizer Verlagen der Grundsatz: Wes Geld ich nehm’, dessen Lied ich sing. Darum Finger weg von staatlicher Medienförderung, weil sie die Unabhängigkeit gefährdet. Anders sieht es aus, wenn die gemeinsam getragene Nachrichtenagentur SDA finanziell unterstützt werden soll. Sowohl Tamedia als auch die NZZ-Gruppe, die beiden grössten Aktionäre der SDA, zeigen sich offen für eine Subventionierung der Agentur.»

Die SDA im Verdrängungskampf mit der AP

Die SDA ist 2010 mit Killerinstinkt gegen die Konkurrenz vorgegangen und hat mitgeholfen, die AP Schweiz, eine Tochter der US-amerikanischen Nachrichtenagentur «Associated Press», auszuschalten. Die Amerikaner hatten 2009 beschlossen, sich aus Europa zurückzuziehen, und verkauften ihren deutschsprachigen Dienst mit Sitz in Frankfurt, zu welchem die AP Schweiz seit 1981 gehörte, an zwei deutsche Finanzinvestoren.

Balz Bruppacher, von 1983 bis 2010 Chefredaktor der AP Schweiz, schreibt in der «Luzerner Zeitung» dazu: «Es sind ziemlich genau acht Jahre her, als sich die SDA das Monopol auf dem Inlandmarkt für Nachrichtenagenturen verschaffte. Was war geschehen? In einem als Lizenzabkommen kaschierten Deal hatte die SDA erreicht, dass sich die neuen Eigentümer des deutschsprachigen Dienstes der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) mit sofortiger Wirkung aus dem Schweizer Markt zurückzogen. Die Eigentümer der SDA – vorab Tamedia, die NZZ-Gruppe und die SRG – hielten es nicht einmal für nötig, die Chefredaktoren ihrer Publikationen über den Entscheid zu konsultieren, der den Verlust der zweiten Quelle für Inlandnachrichten zur Folge hatte.»

Und so ging es laut Bruppacher dann weiter: Die SDA-Geschäftsleitung schrieb am 28. Januar 2010 in einer Hausmitteilung von einem «Meilenstein». Die über 20 Angestellten des Schweizer AP-Dienstes erhielten gleichentags die Kündigung. Die SDA erklärte sich nicht in der Lage, entlassene Mitarbeiter der aufgelösten AP Schweiz zu übernehmen. «Laut einer geleakten Absichtserklärung mit den neuen Eigentümern des deutschsprachigen AP-Dienstes war die SDA aber bereit, sich mit 250’000 Franken an den Kosten zu beteiligen, die durch die Kündigungen entstehen», schreibt er. «Der Absichtserklärung war auch zu entnehmen, dass die SDA willens war, gestaffelt über einen Zeitraum von fünf Jahren bis zu 12 Millionen Franken als Lizenz­gebühr für den deutschsprachigen AP-Dienst zu zahlen. Weil die beiden deutschen Finanzinvestoren, denen der AP-Dienst gehörte, im Oktober 2012 in Deutschland Pleite machten, musste die SDA nicht die vollen Lizenzgebühren zahlen.»

Wie sich im Nachhinein herausgestellt habe, war der Deal von langer Hand vorbereitet, sagt Bruppacher. Dabei habe die SDA allerdings mit gezinkten Karten gespielt. Schon Ende 2008 habe der Marktleader damit begonnen, seinen Kunden sogenannte Exklusivitätsrabatte zu gewähren, wenn sie auf den Schweizer AP-Dienst verzichteten. Im Sommer 2014 stellte die Weko fest: «Die unzulässige Verhaltensweise der SDA hat in einem für den Wettbewerb sehr heiklen Zeitraum stattgefunden und war direkt gegen die einzige Konkurrentin auf dem wichtigsten relevanten Markt gerichtet.» Die SDA musste eine Busse von 1,88 Millionen Franken bezahlen. Das nützte der AP Schweiz nichts mehr. Sie war bereits Geschichte.

Dominante Position im Inland

Nachrichtenagenturen liefern gegen Geld Meldungen an Medien, im Minutentakt, Tag und Nacht. Die Nachrichten sind seriös recherchiert, geprüft, von allem überflüssigen Schnickschnack befreit, ein Rohstoff, ohne den keine Zeitung und kein News-Portal funktionieren könnte.

Wie stark ist die Position der SDA in der Schweizer Medienlandschaft? Das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich (Fög) schrieb schon 2011 in einer Studie über die Qualität der Medien zur Vormachtstellung der SDA: «Besonders ausgeprägt ist der Ausbau der Vormachtstellung in den Ressorts Politik-Inland, Politik-Region, Kultur und Human-Interest. Aber selbst in den Ausslandsressorts nimmt der Einfluss der SDA zu. Die Dominanz ist vom Standpunkt der Medienqualität insbesondere in der Inlandberichterstattung problematisch. Tangiert wird erstens die publizistische Vielfalt in der Pressearena. Zweitens steigen die Anforderungen an die Pressetitel, den dominanten SDA-Ursprung als solchen transparent zu machen. Und drittens erhöhen sich auch die Qulitätsanforderungen an die SDA selbst, wenn sie die Berichterstattung in der Pressearena derart stark beeinflusst.»

Die Ostschweizer Kantone und die SDA

Eine Nachfrage bei den Medienstellen-Leitern der Ostschweizer Kantone zeigt: Sie bekämen grosse Probleme, wenn die SDA ihr Regionalbüro in St.Gallen personell reduzieren oder ganz auflösen würde.

Thomas Zuberbühler, Leiter der Kommunikation des Kantons St. Gallen, sagt: «Die SDA leistet einen wichtigen regionalen Medienbasisdienst. Ihre Journalistinnen und Journalisten decken die politischen Geschäfte der St.Galler Regierung und des Kantonsrates ab – auch jene, die weniger populär sind. Sie verhilft der Politik, gehört zu werden und leistet damit ihren Teil für eine funktionierende Demokratie.»

Wie die Konsequenzen bei einem Stellenabbau im St.Galler Büro wären, könne er zurzeit nicht beurteilen, sagt Zuberbühler. Es werde sich zeigen, wie die inhaltliche Gewichtung in Zukunft getätigt werde respektive welche Themen weiterhin abgedeckt würden. «Insgesamt steht die Politik indes vor einer schwierigen Aufgabe: Die Öffentlichkeit verlangt tendenziell nach mehr Transparenz, sprich mehr Informationen, die schneller verfügbar sein sollten», sagt der Kommunikationsleiter. «In den Journalismusbetrieben werden aber Stellen und Platz gespart. Immer mehr Themen kämpfen somit um immer weniger Platz bei stetig steigendem Zeitdruck. Die Fachkompetenz der Journalisten sinkt wegen des Zeitdrucks eher. Wie können wir unter solchen Gesichtspunkten eine demokratische Diskussionsgrundlage sicherstellen, auf der die Politik basiert? Diese Frage beschäftigt uns schon länger. Ein Stellenabbau bei der SDA würde das Problem erneut leicht akzentuieren.»

Walter Hofstetter, Leiter des Informationsdienstes beim Kanton Thurgau, sieht keine unmittelbaren Konsequenzen für die Arbeit seines Dienstes, wenn die SDA durch personellen Abbau eingeschränkt würde. Müssten allenfalls Lücken bei der Medienberichterstattung in Kauf genommen werden? «Ja, diese Gefahr sehe ich», meint Hofstetter. «Die SDA trägt zahlreiche Meldungen aus dem Kanton Thurgau über ihr Abonnentennetz in die ganze Schweiz hinaus. Wird das Personal in der Ostschweiz weiter ausgedünnt, könnte die SDA diese Aufgabe mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht mehr im bisherigen Umfang wahrnehmen. Eine ähnliche Ausdünnung hat der Kanton Thurgau bereits vor einigen Jahren mitmachen müssen, als das SDA-Büro in Frauenfeld geschlossen wurde. Schon damals ging eine gewisse Nähe zu Thurgauer Themen bei der SDA verloren.»

Georg Amstutz, Leiter des Kommunikationsdienstes von Appenzell Ausserrhoden, sagt: «Die Berichterstattung der meisten lokalen und regionalen Radio- und TV-Veranstalter, aber auch von zahlreichen Online- und ‹Gratis›-Medien bauen auf dem Dienst der SDA auf. Gerade eine kleinräumige und ländliche Region wie Appenzell Ausserrhoden ist deshalb stark auf die SDA angewiesen, weil der Kanton ohne SDA in den genannten Medien kaum oder gar nicht mehr zu finden wäre.» Damit würden sich Lücken in der Berichterstattung und der Wahrnehmung des Kantons auftun.

Für den Kommunikationsdienst des Kantons selber hätte es keine direkten Folgen, da das Bereitstellen von Primärinformationen ohnehin zu dessen Hauptaufgaben gehöre, sagt Amstutz. Das Verarbeiten und Einordnen der kantonalen Mitteilungen – die Uraufgabe von Journalistinnen und Journalisten – würde aber darunter leiden. «Dies hätte wohl zur Folge, dass sich die Bevölkerung je länger umso mehr beispielsweise direkt auf der kantonalen Homepage informieren müsste, ein Trend, den wir für die kantonale Homepage ar.ch schon seit längerem feststellen.»

Eine neue Medienpolitik braucht das Land

Nicht nur bei vielen Medienschaffenden, auch in weiten Teilen der Öffentlichkeit sind das Vertrauen in die SDA und ihr Ansehen gesunken. Mitverantwortlich dafür ist auch der Ton, den der neue SDA-CEO im Interview mit der «NZZ am Sonntag» angeschlagen hat. Auch die menschenverachtenden personellen Abbaupläne der Geschäftsleitung widern an. Kommt hinzu, dass die neue Unternehmensführung aus der Agentur eine reine Geldmaschine machen will. Man wolle das Geschäft mit Kunden ausserhalb der Medien gezielt ausbauen, sagten Schwab und Jenatsch der «Werbewoche». Dabei stünden Unternehmen, Organisationen und Behörden im Vordergrund. In einem weiteren Geschäftsfeld sollen digitale Dienstleistungen wie kundenspezifische Apps entwickelt werden.

Die SDA wird also über kurz oder lang ihr Kerngeschäft – die Verbreitung von Nachrichten – verlassen und ziemlich sicher auch nicht zu einer Non-Profit-Unternehmens-Philosophie zurückfinden, welche die Agentur jahrzehntelang gelebt hatte. Wenn plötzlich Finanzinvestoren mit Businessplänen die Medien aufzumischen beginnen und niemand nach Redaktionskonzepten und publizistischen Inhalten fragt, alles einfach nur noch Content ist, dann läuft etwas faul. Das könnte jetzt genau bei der SDA passieren.

Um das zu verhindern, haben die Grünen bei der Verkehrs- und Fernmeldekommission des Nationalrates einen interessanten Vorstoss gemacht, sind damit aber leider gescheitert. Sie haben gefordert, dass die SDA so rasch als möglich mit einem Leistungsauftrag zur Unterstützung des dreisprachigen Basisdienstes für alle Medien in der Schweiz gestärkt wird. Zudem sollten Verhandlungen über die Umwandlung der SDA in ein eigenständiges, unabhängiges Non-Profitunternehmen geführt werden, dessen Trägerschaft eine Stiftung oder eine Genossenschaft sein könnte.

Man kann diese Idee noch weiterspinnen. All die vielen Journalistinnen und Journalisten, die von den Redaktionen aus Kostengründen outgesourct werden, könnten sich in den Regionen zusammentun, zu kleinen Medienpools unter einer selbstverwalteten Dachorganisation, und so eine landesweite, flächendeckende, multimediale Nachrichtenagentur auf die Beine stellen, die durch eine Stiftung oder Genossenschaft getragen würde. Daran könnten sich all jene Institutionen beteiligen, die auf die Verbreitung von Basisinformationen an die Medien angewiesen sind: Kantone, Gemeinden, NGO’s, Verbände, Vereine und so weiter…

Der Arbeitskampf bei der SDA ist eine Momentaufnahme der Misere in der Schweizer Medienwelt, die von Verdrängungskämpfen und Renditeoptimierungen bei einer Handvoll mächtiger Medienunternehmen ausgelöst worden ist. Um den angerichteten Schaden an Menschen und an der Medienqualität wieder zu reparieren, braucht es eine neue Medienpolitik in diesem Land.

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