Sathajini und Vijayambikai haben beide für die Tamil Tigers gekämpft. Sathajini hat im Krieg ihren Mann verloren, Vijayambikai ihren Lebenswillen. Doch beide sind bis heute überzeugt vom Kampf für ein freies «Tamil Eelam», den von den tamilischen Separatist:innen geforderten unabhängigen Staat. Darum und um sich gegen die Unterdrückung durch den sri-lankischen Staat zu wehren, sind sie als junge Frauen den Rebellen gefolgt. Auch Ambika hat bei den Tamil Tigers gekämpft, allerdings nicht freiwillig. Sie wurde zwangsrekrutiert. Bareera, eine Muslimin, wurde mit ihrer Familie von den Rebellen vertrieben und Rammenike, eine singhalesische Bäuerin, verlor Mann und Sohn durch einen Überfall der Tamil Tigers.
Ursprünglich wurde Damaris Lüthi 2011 von einer Aktivistin angesprochen, ob sie nicht einen Film über die tamilischen Opfer des sri-lankischen Bürgerkriegs machen wolle. Die Aktivistin bot auch finanzielle Unterstützung der Tamil Tigers. Lüthi lehnte ab, sagte, dass sie ihren eigenen Film machen wolle, unabhängig von den Tamil Tigers. Und je mehr sie recherchierte, umso mehr stellte sie fest, wie divers die Opfer des Krieges sind und wie selten Filme über weibliche Kämpferinnen.
Leise und respektvoll nähert sich Damaris Lüthi in Unter Mangobäumen den Protagonistinnen und ihren Erlebnissen. Mittels Bildern von alltäglichen Momenten gelingt es der Regisseurin und dem Kamerateam (Gabriela Betschart, Nathalie Berger, Meret Madörin und Aline Laszlo) unaufdringlich, in die Geschichten der Frauen einzutauchen und emotionale Nähe zu schaffen. Ein Nähe, die gemäss Lüthi gelang, weil einer hauptsächlich weiblichen Crew der Zugang zu den Protagonistinnen leichter fiel.
Leise verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse
So saugt Sathajini in ihrer neuen Heimat St.Gallen ein Büro, während sie im Off von ihrer Ausbildung bei den Rebellen erzählt und welche Waffen sie bedienen konnte. Während Vijayambikai berichtet, wie viele Tabletten sie gegen die Schmerzen ihrer Kriegsverletzungen nehmen muss, schwenkt die Kamera langsam über das Poster des heiligen Rebellenführers Prabhakaran. Die Kamera filmt aber auch unauffällig Sathajinis Tochter, wie sie an einer Zeremonie heimlich ihr Handy aus der Tasche ihrer Schwester klaubt, sichtlich uninteressiert an der religiösen Prozedur, der sie beiwohnen sollte.
Lüthi überlässt die Deutung solcher Situationen den Zuschauenden, kommentiert nicht. Gleichzeitig kommen neben den ehemaligen Kämpferinnen aus Überzeugung auch eine zu Wort, die von den Rebellen zwangsrekrutiert wurde, sowie eine vertriebene Muslimin und eine Singhalesin. So verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse in diesem Dokumentarfilm, ohne es auszusprechen. Täterinnen sind auch Opfer und Opfer gab es auf vielen Seiten – und wer hat überhaupt wann mit der Unterdrückung begonnen? «Die Erde weiss nicht, wem sie gehört» singt die Interpretin Nilakshi Helapitiya Rajivi im Film.
«Hier sind die Einschusslöcher»
Der Bürgerkrieg dauerte rund 26 Jahre und forderte über 200'000 Tote. Offiziell begann er 1983, nachdem mehrere tausend Tamil:innen ermordet und 100'000 weitere vertrieben worden waren. Schon seit der Unabhängigkeit des Landes 1948 waren die Tamil:innen im neu gegründeten Staat Sri Lanka systematischer Diskriminierung durch die singhalesisch geprägte Regierung ausgesetzt. Zuvor, während der Kolonialzeit, hatte England die Tamil:innen gefördert, die hauptsächlich buddhistischen Singhales:innen und die Muslim:innen sahen sich benachteiligt. Nach der Unabhängigkeit führte dies zur «Sinhala Only»-Bewegung oder der Deklaration des Singhalesischen zur einzigen Sprache. Ausserdem siedelte die Regierung immer wieder singhalesische Bauern in vorwiegend tamilische Gebiete um.
Damit beginnt auch die Erzählung von Rammenike. Eine historische Einordnung, Zahlen und Fakten werden als Fliesstext über einem ruhigen Standbild eingeblendet. Dann erzählt die singhalesische Bäuerin, wie die «Tiger-Leute» ihre Familie im Schlaf überfielen, ihren Mann erschossen und ihren Sohn ebenfalls tödlich verletzten. Sie sitzt am rechten Bildrand, starrt in die Ferne, im Off hört man sie sagen: «Hier sind die Einschusslöcher.» Zu sehen am linken Bildrand.
Leben und Sterben für die Freiheit
Der Kampf für die Freiheit ist universell. Beinahe verständlich ist das Bedürfnis, sich gegen Unterdrückung und Diskriminierung zu wehren. Doch weiss Vijayambikai wirklich nicht, ob sie in ihrer 20-jährigen Zeit als Kämpferin bei den Tamil Tigers Menschen getötet hat, nur weil sie nachts gekämpft hat? Ist der Heldentod, den die Kumpaninnen von Sathajini sterben durften, wirklich so glorreich – schrie eine von ihnen doch scheinbar «Rette mich!»?
Derweil erzählt die Muslimin Bareera, wie sie zusammen mit ihrem Mann und ihrem sieben Monate alten Kind aus dem Norden der Insel flüchten musste – die muslimische Gemeinschaft, wollte sich nicht den Tamil Tigers und ihrer Causa anschliessen. Ambika wurde entführt und zwangsrekrutiert, denn jede tamilische Familie musste den Kampf für «Tamil Eelam» unterstützen – unabhängig davon, ob man bereit war, für Unabhängigkeit und Freiheit zu sterben oder nicht.
Der Krieg endete 2009 mit dem Sieg der sri-lankischen Armee über die Tamil Tigers und einem Blutbad an der Zivilbevölkerung. Noch heute steht eine Aufarbeitung der Kriegsverbrechen auf beiden Seiten aus. Unter Mangobäumen zeigt deutlich und zugleich behutsam, mit welchen Traumata die Überlebenden auf beiden Seiten bis heute zu kämpfen haben.
Unter Mangobäumen: ab 15. Juni im Kinok St.Gallen
11 Uhr: Premiere mit Regisseurin Damaris Lüthi, Kamerafrau Gabriela Betschart und Komponist Pascal Schärli. Moderation: Geri Krebs.
kinok.ch