, 15. Februar 2022
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Die Königsdisziplin

Steve Jobs, allein mit seinem Krebs. Roberta, die einmal Robert war, allein mit ihrem pflegebedürftigen Vater: Mit den zwei Figuren, gespielt von Matthias Albold und Bruno Riedl, nimmt das Theater St.Gallen seine Monologreihe «radikal allein» wieder auf.

Am Boden: Steve Jobs (Matthias Albold). (Bilder: Tanja Dorendorf)

Da hält es einer nicht aus, dass die Welt nicht nach seiner Pfeife tanzt. Dass sich in seine grandiose Ordnung das Chaos eingeschlichen hat, dass sich Zellen ungefragt vermehren und sein Leben, seine «Struktur» gegen alle Logik zerstören.

Was wie eine Parabel auf die Pandemie klingt, ist ein Theaterstück. Pankreaskrebs heisst die Diagnose, und der Patient: Steve Jobs. Das gleichnamige Stück von Alban Lefranc ist im Keller des St.Galler Kunstmuseums zu erleben, Matthias Albold spielt den von Allmachtswahn und Ordnungsfuror getriebenen Apple-Gründer mit allen Registern.

In der Einheitswelt

Meditationsmusik, ein Mann im schwarzen Rollkragenpullover, barfuss, konzentriert. Dann die Stimme über Lautsprecher, sie wird im Lauf des Stücks ihn und uns penetrant immer wieder an das Todesurteil erinnern: Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs, Fünfjahres-Überlebenschance unter 5 Prozent.

Der Steve Jobs im Stück hat vorerst alles im Griff, weil nicht sein kann, was nicht sein darf in seiner Welt der absoluten Kontrolle. Bauchspeicheldrüse: Gibt es nicht. Zufall: Hat er abgeschafft. Schlecht organisierte Dinge wie eine falsche Farbe im Büro oder ein Krebs treiben ihn zur Weissglut. Optionen sind ihm ein Graus. Seine Mission ist eine komplett vereinheitlichte Realität, wo nirgendwo ein Punkt bleibt, «an dem die Welt eindringt». Kinder: eine Fehlkonstruktion.

Steve Jobs ist das eindrückliche Porträt eines Mannes zwischen Selbstüberschätzung und Lebensangst. Matthias Albold wirft sich mit seinem ganzen Körper in die Rolle und in den poetisch aufgeladenen Text. Man erlebt die allmähliche Zersetzung des Egos, der Lack blättert ab, unter dem Pullover kommt das Spitalhemd zum Vorschein, der Tisch wird zum Rollator, der Körper gewinnt gegen alle vermeintliche «Nutzererfahrung» die Oberhand.

Einer der letzten Sätze im Steve-Jobs-Monolog heisst: «Ich habe Angst.» In Peking wird gerade die scheinbar grenzenlose Leistungsfähigkeit des Körpers «gefeiert», seine Unbesiegbarkeit. Der krebskranke Jobs, den Königsmantel über das Spitalhemd geworfen, weiss es am Ende besser.

Steve Jobs mit Matthias Albold: 17., 19., 24. Februar, 3., 8., 17. März, 20 Uhr, Kunstmuseum St.Gallen

Dienstags bei Migros mit Bruno Riedl: 26. Februar, 10. März, 20. und 27. April, 5. Mai, 20 Uhr, Kirchhoferhaus St.Gallen.

theatersg.ch

Das trotz später Stunde zahlreiche Publikum an der Premiere erlebte eine Sternstunde der Schauspielkunst. Wie anderthalb Stunden zuvor ein paar Schritte entfernt, im schmalen Gang des Kirchhoferhauses: Eine diesmal handverlesene Zahl von Zuschauer:innen sieht gebannt, wie Schauspieler Bruno Riedl Roberta spielt, die einmal Robert war und immer dienstags ihren bärbeissigen Vater betreut, der die Verwandlung seines Sohns in seine Tochter nicht wahrhaben will.

Robert. Punkt. Aus. Ende

Dienstags bei Migros heisst das Stück von Emmanuel Darley in der Schweizer Übersetzung. Riedl, schmale Stiefel, rote Lippen, Handtäschchen, trippelt im Gang hin und her, zum Greifen nah beim Publikum. Der Vater braucht Hilfe nach dem Tod der Mutter, aber er will die Hilfe nicht, er spottet: «Du machst wieder eines auf Weibchen». Er will seinen Sohn zurück, «Robert. Punkt. Aus. Ende».

Roberta (Bruno Riedl).

Riedl wechselt virtuos zwischen der leicht brüchigen Roberta-Stimme und der überharten Vaterstimme, er holt mit feinsten Nuancen den Schmerz und den Stolz der Tochter hervor, die endlich die ist, die sie schon immer im Innersten war, und die Ablehnung aushalten muss in der Kleinstadt, wo man sie noch als Bub in Erinnerung hat. Bis sich, beim rituellen Einkauf in der Migros, die Fassade des Nichtverstehenwollens irgendwann nicht mehr länger halten lässt.

Kunst der Zwischentöne

Beide Stücke sind inszeniert von Leyla Claire Rabih und ausgestattet von Viviane Stüssi und Claudio Pohle. Minimale Requisiten, maximale Textkonzentration, eine Stunde solo, ohne Netz und doppelten Boden, «radikal allein», wie die Monolog-Reihe sich passend nennt: Das ist quasi die Königsdisziplin des Schauspiels. Wäre Kultur olympisch, so würden sich alle Scheinwerfer darauf richten.

So aber gibt es statt Medaillen «nur» Applaus. Dafür geht es um etwas – um drängende Zeitfragen und psychologische Zwischentöne, wie sie so zugespitzt, live und nachhallend nur das Theater hinkriegt.

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