Die Kunsthalle St.Gallen jubiliert und integriert

Die Eröffnungsperformance von 1985: Andy Guhl, Ralph Hug und Norbert Möslang, Wassermusik mit Unterwasserpressluftsounds, 1985. (Bild: Kunsthalle St. Gallen, Ruedi Walti)

Die Kunsthalle St. Gallen feiert am Pfingstwochenende ihr 40-Jahr-Jubiläum. Sie plant auch einen Umbau ihrer Räumlichkeiten im Lagerhaus und will das Foyer künftig für andere Anlässe zur Verfügung stellen.

Die Was­ser­mu­sik von Ge­org Fried­rich Hän­del schallt durch die Ju­gend­stil-Räum­lich­kei­ten des Volks­bads in St. Gal­len. Aber nicht in ih­rer be­kann­ten Ton­fol­ge, son­dern rück­wärts ge­spielt von Nor­bert Mös­lang und Ralph Hug, die mit Kla­ri­net­te, Sa­xo­fon und No­ten­stän­der je­weils in ei­nem auf­blas­ba­ren Ka­nu sit­zend über das Was­ser im Schwimm­be­cken trei­ben. Da­zwi­schen tum­meln sich plant­schen­de Kin­der. Be­glei­tend er­zeugt An­dy Guhl Un­ter­was­ser­press­luft­sounds. Ein rie­si­ges Fo­to­gramm des Ber­ner Fo­to­künst­lers Bal­tha­sar Burk­hard füllt die Fens­ter­ni­sche in der Schwimm­hal­le aus, die sich auf der ge­gen­über­lie­gen­den Sei­te der Skulp­tur zwei­er spie­len­der Bu­ben mit der was­ser­spei­en­den Schild­krö­te be­fin­det. Bice Cu­ri­ger hält ei­ne Er­öff­nungs­an­spra­che.

Wir schrei­ben den 9. Ju­ni 1985. Beim be­schrie­be­nen Spek­ta­kel mit da­da­is­ti­schen Zü­gen han­delt es sich um die Er­öff­nungs­per­for­mance der Kunst­hal­le St. Gal­len. Gut drei Mo­na­te zu­vor, am 25. Fe­bru­ar, wur­de der Ver­ein Kunst­hal­le St. Gal­len ge­grün­det.

40 Jah­re sind seit­her ver­gan­gen, was die – mitt­ler­wei­le un­ter der neu­en Schreib­wei­se be­kann­te – «Kunst Hal­le Sankt Gal­len» zum An­lass für ei­ne aus­gie­bi­ge Ju­bi­lä­ums­fei­er nimmt. Es ist kein Zu­fall, dass die­se am Pfingst­mon­tag, dem 9. Ju­ni 2025 statt­fin­den wird. Auch in­halt­lich soll das Fest zu­nächst an die ers­te Aus­stel­lungs­er­öff­nungs­fei­er mit Sound­per­for­mance an­knüp­fen.

In ei­ner Zeit des kul­tu­rel­len Auf­bruchs ent­stan­den

In 40 Jah­ren ha­ben über 500 Künst­ler:in­nen aus der gan­zen Welt in der Kunst­hal­le aus­ge­stellt. Gut 400 Mit­glie­der ste­hen zur­zeit hin­ter dem Ver­ein. Aus der Idee ei­ner kon­stant ak­ti­ven Ver­ei­ni­gung von Kunst­schaf­fen­den und Kunst­in­ter­es­sier­ten zur Ver­mitt­lung von Ge­gen­warts­kunst ist ei­ne in­ter­na­tio­nal be­kann­te In­sti­tu­ti­on ge­wor­den, die auf die fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung durch Stadt und Kan­ton zäh­len kann.

Die Grün­dung des Ver­eins Kunst­hal­le St. Gal­len Mit­te der 80er-Jah­re ge­schieht zu ei­ner Zeit des schweiz­wei­ten kul­tu­rel­len Auf­bruchs. For­de­run­gen nach kul­tu­rel­len Frei­räu­men und fi­nan­zi­el­ler Un­ter­stüt­zung jun­ger, nicht eta­blier­ter Kunst­schaf­fen­der wer­den laut. Gleich meh­re­re heu­te an­er­kann­te Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen in St. Gal­len fin­den ih­ren Ur­sprung in die­sen be­weg­ten Jah­ren. Zum Bei­spiel auch die Gra­ben­hal­le, das Ki­nok oder we­nig spä­ter das Open Art Mu­se­um.

Nach Jah­ren der Wan­de­rung und Zwi­schen­nut­zung leer­ste­hen­der Räu­me kann sich die Kunst­hal­le – in die­ser Zeit ei­ne fluk­tu­ie­ren­de Grup­pe rund um den ers­ten Prä­si­den­ten Hans Jörg Bach­mann – erst für vier Jah­re an der Was­ser­gas­se 24 und spä­ter, 1996, am heu­ti­gen Stand­ort an der Da­vid­s­tras­se 40 nie­der­las­sen. Als «ein Ort für die Pro­duk­ti­on und das Aus­stel­len ak­tu­el­ler Kunst und künst­le­ri­scher Ex­pe­ri­men­te» wird die In­sti­tu­ti­on im ge­gen­wär­ti­gen Leit­bild be­zeich­net. Weit­ge­hend un­ab­hän­gig von der rie­si­gen Kunst­in­dus­trie hält sie auch 40 Jah­re nach der Ent­ste­hung an ih­ren frü­hen Kern­an­lie­gen fest und bie­tet ei­ne Platt­form für die freie Aus­ein­an­der­set­zung mit zeit­ge­nös­si­schen lo­ka­len und in­ter­na­tio­na­len künst­le­ri­schen Po­si­tio­nen so­wie po­li­tisch und ge­sell­schaft­lich re­le­van­ten The­men.

1988 bei­spiels­wei­se be­spielt Ro­man Si­gner die Kunst­hal­le mit «Neue Ar­bei­ten». Dies ist in­so­fern ge­wagt, als ein Jahr zu­vor Si­gners Werk Was­ser­turm im Gra­ben­pär­k­li am Obe­ren Gra­ben bei der St. Gal­ler Be­völ­ke­rung für rie­si­ge Em­pö­rung ge­sorgt hat. Die Ab­leh­nung des ro­ten Fas­ses auf Stahl­bei­nen, aus dem in ho­hem Bo­gen ein Was­ser­strahl auf den Bo­den plät­schert, war der­art gross, dass un­ter an­de­rem in ei­ner Pe­ti­ti­on sei­ne Ent­fer­nung ge­for­dert wur­de. Doch es kam nicht so weit und heu­te ist die Kunst­in­stal­la­ti­on aus dem öf­fent­li­chen Raum nicht mehr weg­zu­den­ken.

Als vi­sio­när er­weist sich auch die Wahl zahl­rei­cher jun­ger Kunst­schaf­fen­der, die in der Kunst­hal­le aus­stel­len konn­ten, noch be­vor ih­re Kar­rie­re als an­er­kann­te Künst­ler:in­nen rich­tig be­gon­nen hat. Als ein Bei­spiel sei­en hier Pi­pi­lot­ti Rist und Mu­da Ma­this ge­nannt, die 1989, kurz nach Ab­schluss ih­res Stu­di­ums, die Vi­deo­in­stal­la­ti­on Die Tem­po­dross­le­rin saust zei­gen.

Auch in Be­zug auf the­ma­ti­sche Aus­stel­lun­gen ist es der Kunst­hal­le ein An­lie­gen, vor­aus­schau­end zu agie­ren. Dies ist ihr bei­spiels­wei­se 2014 in der Grup­pen­aus­stel­lung «The Dark­net – From Me­mes to Oni­on­land. An Ex­plo­ra­ti­on» gut ge­lun­gen, die in Zu­sam­men­ar­beit mit der «!Me­di­en­grup­pe Bit­nik» und dem Pro­jekt «:Di­gi­tal Brain­stor­ming» des Mi­gros-Kul­tur­pro­zents ent­stan­den ist. In der in­ter­dis­zi­pli­nä­ren Aus­stel­lung wur­den die Par­al­lel­welt des In­ter­nets dis­ku­tiert so­wie Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men, Or­ga­ni­sa­ti­ons­for­men und Struk­tu­ren sicht­bar ge­macht, die zu die­sem Zeit­punkt ei­ner brei­ten Öf­fent­lich­keit noch weit­ge­hend un­be­kannt wa­ren. Heu­te aber sind sie Teil un­se­rer me­dia­len All­tags­wel­ten.

Aussenansicht der Kunsthalle (Bild: Oliver-Selim Boualam)

Pro­fes­sio­nel­ler und fi­nan­zi­ell sta­bi­ler

Dass die Kunst­hal­le St. Gal­len bis heu­te die­sen An­satz, ein Frei­raum zu sein, be­wahrt hat, schätzt Gio­van­ni Car­mi­ne sehr. Seit 2007 hat er das Amt des Di­rek­tors in­ne und ist nach Do­ro­thea Strauss und Gi­an­ni Jet­zer so­mit der drit­te be­zie­hungs­wei­se vier­te künst­le­ri­sche Lei­ter. Da­vor hat­te nach ei­ner er­folg­lo­sen ers­ten Stel­len­aus­schrei­bung Grün­dungs­mit­glied Jo­sef Fe­lix Mül­ler die­se Ar­beit für drei Jah­re in­te­rims­wei­se über­nom­men. Gio­van­ni Car­mi­ne, der die Kunst­hal­le mitt­ler­wei­le wäh­rend bei­na­he der Hälf­te ih­rer Exis­tenz künst­le­risch ge­lei­tet hat, meint zur Ent­wick­lung in den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten, dass die In­sti­tu­ti­on pro­fes­sio­nel­ler ge­wor­den sei, sich ih­re fi­nan­zi­el­le La­ge sta­bi­ler ge­stal­te und die Ar­beits­be­din­gun­gen da­durch auch bes­ser ge­wor­den sei­en.

Be­deu­tend war auch das Jahr 2004, weil die Kunst­hal­le vom erstern Stock im La­ger­haus ins Par­terre um­zie­hen konn­te. Im Rah­men des 20-Jahr-Ju­bi­lä­ums er­schien 2005 die Pu­bli­ka­ti­on 20 Jah­re Kunst­hal­le St. Gal­len, die ei­nen Bo­gen von der Ge­schich­te der «Neu­en Kunst Hal­le» zu ih­rer Ver­gan­gen­heit schlägt.

Zeit zur Selbst­re­fle­xi­on er­mög­lich­te die Zwangs­schlies­sung wäh­rend der Co­vid-19-Pan­de­mie. Das Team der Kunst­hal­le konn­te sich in die­ser Zeit dem Ar­chiv und in­fra­struk­tu­rel­len The­men wid­men. Zum Jah­res­wech­sel 2020/21 ent­stand die Aus­stel­lung «WO WIR», in de­ren Rah­men auch di­gi­ta­li­sier­te Ar­chiv­un­ter­la­gen über die Web­sei­te erst­mals der Öf­fent­lich­keit zu­gäng­lich ge­macht wur­den.

Das Foy­er wird zum Be­geg­nungs­ort

Be­reits an­fangs die­ses Jah­res kün­dig­te Di­rek­tor Gio­van­ni Car­mi­ne an, dass sich die Kunst­hal­le St. Gal­len «neu den­ken» will. Kon­kret heisst das: 20 Jah­re nach dem er­wähn­ten Um­bau plant die Kunst­hal­le neue bau­li­che An­pas­sun­gen. Die Bü­ros der Mit­ar­bei­ten­den, die sich hin­ter dem Emp­fang be­fin­den, sol­len an ei­nem an­de­ren Ort un­ter­ge­bracht und das Foy­er zu ei­nem Raum um­ge­baut wer­den, der in Zu­kunft von In­ter­es­sent:in­nen für An­läs­se ge­mie­tet wer­den kann. Das Foy­er könn­te zum Bei­spiel zeit­wei­se zu ei­nem Le­seca­fé oder zu ei­nem Ort für Schach­spie­le wer­den. Mit In­ter­es­sier­ten sei er be­reits im Ge­spräch, sagt Car­mi­ne.

Die Kunst­hal­le will al­so an­läss­lich des 40-Jahr-Ju­bi­lä­ums ih­re Rol­le als Gast­ge­be­rin wei­ter aus­bau­en und durch das Zur-Ver­fü­gung-Stel­len ei­nes Rau­mes für nicht-künst­le­ri­sche Zwe­cke den Aus­tausch und die Ge­mein­schaft un­ter­stüt­zen so­wie ihr Netz­werk pfle­gen und er­wei­tern. Zu­dem sol­len die Räum­lich­kei­ten der Kunst­hal­le voll­stän­dig bar­rie­re­frei wer­den. Aber Bau­en ist teu­er und des­halb ist im Rah­men der Ju­bi­lä­ums­fei­er­lich­kei­ten auch ein Fund­rai­sing ge­plant, um das Vor­ha­ben in die Rea­li­tät um­set­zen zu kön­nen.

So­mit sind wir wie­der beim kom­men­den Ju­bi­lä­ums­fest an­ge­langt. Auch wenn das Pro­gramm noch nicht bis ins letz­te De­tail in Stein ge­meis­selt ist, ste­hen schon meh­re­re Punk­te fest. Vor der Fei­er am Pfingst­mon­tag bil­det die Ver­nis­sa­ge zur Aus­stel­lung «al­go­rith­mic-me­ga-de­ath-su­per­spell.exe» von Ara­mis Na­var­ro am Frei­tag­abend, 6. Ju­ni, den Auf­takt. Es wird die bis­her gröss­te Ein­zel­aus­stel­lung des in St. Gal­len le­ben­den Künst­lers. Na­var­ro wird neue, ei­gens für die Aus­stel­lung rea­li­sier­te Ar­bei­ten zei­gen, die ge­zielt den ar­chi­tek­to­ni­schen Kon­text der Kunst­hal­le St. Gal­len mit­ein­be­zie­hen. Der jun­ge auf­stre­ben­de Künst­ler ar­bei­tet mit sehr vie­len ver­schie­de­nen Me­di­en, wo­bei ein ste­tes In­ter­es­se der Spra­che und Tex­ten gilt. In der Aus­stel­lung wird die Nut­zung von künst­li­cher In­tel­li­genz ei­ne Rol­le spie­len, es wer­den Sound­skulp­tu­ren, Ma­le­rei und Raum­in­stal­la­tio­nen zu se­hen sein. «Wir dür­fen uns da­her auf ei­ne sehr viel­sei­ti­ge, sehr in­stal­la­ti­ve und gleich­zei­tig sehr li­te­ra­ri­sche und poe­ti­sche Aus­stel­lung freu­en», so Gio­van­ni Car­mi­ne.

In An­leh­nung an die Er­öff­nungs­fei­er der Kunst­hal­le 1985 wird auf den Tag ge­nau 40 Jah­re spä­ter, am 9. Ju­ni, ab 17 Uhr das Ju­bi­lä­um ge­fei­ert. Weil es der Pfingst­mon­tag ist, wird die Kunst­hal­le üb­ri­gens auch tags­über be­reits of­fen und die neue Aus­stel­lung von Ara­mis Na­var­ro zu­gäng­lich sein. Der Ju­bi­lä­ums­abend wird sich durch die Ak­ti­vie­rung von Sound- und Sprach­per­for­mance aus­zeich­nen. Die Fei­er wird ku­li­na­risch von der Kö­chin und Künst­le­rin Mar­ga­re­tha Jüng­ling be­glei­tet. Vor­ge­se­hen sind ei­ne Text­per­for­mance der Au­torin und Co­mic­zeich­ne­rin Ju­lia Ku­bik, ei­ne Per­for­mance von Ma­thi­as Ring­gen­berg aka PRI­CE so­wie ein DJ-Set von Kas­per-Flo­rio. Das Duo be­steht aus Ro­sa­rio Flo­rio und La­ris­sa Kas­per. Letz­te­re wur­de an der ver­gan­ge­nen Mit­glie­der­ver­samm­lung der Kunst­hal­le St. Gal­len zur neu­en Prä­si­den­tin ge­wählt.

Ein Ju­bi­lä­um ist im­mer auch ein An­lass zur Selbst­re­fle­xi­on, zum Blick in die Ver­gan­gen­heit, aber auch in die Zu­kunft. Das letz­te Wort in die­sem Bei­trag ge­hört des­halb Gio­van­ni Car­mi­ne: «Wenn ich se­he, wie vie­le Per­so­nen in der Kunst­hal­le wa­ren, was sie jetzt ma­chen und wo sie im Le­ben ste­hen; dass sie Gross­zü­gig­keit und Gast­freund­schaft aus ih­rer Zeit bei der Kunst­hal­le mit­ge­nom­men ha­ben und in ih­ren neu­en In­sti­tu­tio­nen ein­brin­gen und im­mer noch mit der Kunst­hal­le ver­bun­den sind, dann macht es mich stolz, Teil da­von zu sein.»

40 Jah­re Kunst­hal­le St.Gal­len: 9. Ju­ni, 17 Uhr.
kunst­hal­le­sankt­gal­len.ch