Die Wassermusik von Georg Friedrich Händel schallt durch die Jugendstil-Räumlichkeiten des Volksbads in St. Gallen. Aber nicht in ihrer bekannten Tonfolge, sondern rückwärts gespielt von Norbert Möslang und Ralph Hug, die mit Klarinette, Saxofon und Notenständer jeweils in einem aufblasbaren Kanu sitzend über das Wasser im Schwimmbecken treiben. Dazwischen tummeln sich plantschende Kinder. Begleitend erzeugt Andy Guhl Unterwasserpressluftsounds. Ein riesiges Fotogramm des Berner Fotokünstlers Balthasar Burkhard füllt die Fensternische in der Schwimmhalle aus, die sich auf der gegenüberliegenden Seite der Skulptur zweier spielender Buben mit der wasserspeienden Schildkröte befindet. Bice Curiger hält eine Eröffnungsansprache.
Wir schreiben den 9. Juni 1985. Beim beschriebenen Spektakel mit dadaistischen Zügen handelt es sich um die Eröffnungsperformance der Kunsthalle St. Gallen. Gut drei Monate zuvor, am 25. Februar, wurde der Verein Kunsthalle St. Gallen gegründet.
40 Jahre sind seither vergangen, was die – mittlerweile unter der neuen Schreibweise bekannte – «Kunst Halle Sankt Gallen» zum Anlass für eine ausgiebige Jubiläumsfeier nimmt. Es ist kein Zufall, dass diese am Pfingstmontag, dem 9. Juni 2025 stattfinden wird. Auch inhaltlich soll das Fest zunächst an die erste Ausstellungseröffnungsfeier mit Soundperformance anknüpfen.
In einer Zeit des kulturellen Aufbruchs entstanden
In 40 Jahren haben über 500 Künstler:innen aus der ganzen Welt in der Kunsthalle ausgestellt. Gut 400 Mitglieder stehen zurzeit hinter dem Verein. Aus der Idee einer konstant aktiven Vereinigung von Kunstschaffenden und Kunstinteressierten zur Vermittlung von Gegenwartskunst ist eine international bekannte Institution geworden, die auf die finanzielle Unterstützung durch Stadt und Kanton zählen kann.
Die Gründung des Vereins Kunsthalle St. Gallen Mitte der 80er-Jahre geschieht zu einer Zeit des schweizweiten kulturellen Aufbruchs. Forderungen nach kulturellen Freiräumen und finanzieller Unterstützung junger, nicht etablierter Kunstschaffender werden laut. Gleich mehrere heute anerkannte Kulturinstitutionen in St. Gallen finden ihren Ursprung in diesen bewegten Jahren. Zum Beispiel auch die Grabenhalle, das Kinok oder wenig später das Open Art Museum.
Nach Jahren der Wanderung und Zwischennutzung leerstehender Räume kann sich die Kunsthalle – in dieser Zeit eine fluktuierende Gruppe rund um den ersten Präsidenten Hans Jörg Bachmann – erst für vier Jahre an der Wassergasse 24 und später, 1996, am heutigen Standort an der Davidstrasse 40 niederlassen. Als «ein Ort für die Produktion und das Ausstellen aktueller Kunst und künstlerischer Experimente» wird die Institution im gegenwärtigen Leitbild bezeichnet. Weitgehend unabhängig von der riesigen Kunstindustrie hält sie auch 40 Jahre nach der Entstehung an ihren frühen Kernanliegen fest und bietet eine Plattform für die freie Auseinandersetzung mit zeitgenössischen lokalen und internationalen künstlerischen Positionen sowie politisch und gesellschaftlich relevanten Themen.
1988 beispielsweise bespielt Roman Signer die Kunsthalle mit «Neue Arbeiten». Dies ist insofern gewagt, als ein Jahr zuvor Signers Werk Wasserturm im Grabenpärkli am Oberen Graben bei der St. Galler Bevölkerung für riesige Empörung gesorgt hat. Die Ablehnung des roten Fasses auf Stahlbeinen, aus dem in hohem Bogen ein Wasserstrahl auf den Boden plätschert, war derart gross, dass unter anderem in einer Petition seine Entfernung gefordert wurde. Doch es kam nicht so weit und heute ist die Kunstinstallation aus dem öffentlichen Raum nicht mehr wegzudenken.
Als visionär erweist sich auch die Wahl zahlreicher junger Kunstschaffender, die in der Kunsthalle ausstellen konnten, noch bevor ihre Karriere als anerkannte Künstler:innen richtig begonnen hat. Als ein Beispiel seien hier Pipilotti Rist und Muda Mathis genannt, die 1989, kurz nach Abschluss ihres Studiums, die Videoinstallation Die Tempodrosslerin saust zeigen.
Auch in Bezug auf thematische Ausstellungen ist es der Kunsthalle ein Anliegen, vorausschauend zu agieren. Dies ist ihr beispielsweise 2014 in der Gruppenausstellung «The Darknet – From Memes to Onionland. An Exploration» gut gelungen, die in Zusammenarbeit mit der «!Mediengruppe Bitnik» und dem Projekt «:Digital Brainstorming» des Migros-Kulturprozents entstanden ist. In der interdisziplinären Ausstellung wurden die Parallelwelt des Internets diskutiert sowie Kommunikationsformen, Organisationsformen und Strukturen sichtbar gemacht, die zu diesem Zeitpunkt einer breiten Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt waren. Heute aber sind sie Teil unserer medialen Alltagswelten.

Aussenansicht der Kunsthalle (Bild: Oliver-Selim Boualam)
Professioneller und finanziell stabiler
Dass die Kunsthalle St. Gallen bis heute diesen Ansatz, ein Freiraum zu sein, bewahrt hat, schätzt Giovanni Carmine sehr. Seit 2007 hat er das Amt des Direktors inne und ist nach Dorothea Strauss und Gianni Jetzer somit der dritte beziehungsweise vierte künstlerische Leiter. Davor hatte nach einer erfolglosen ersten Stellenausschreibung Gründungsmitglied Josef Felix Müller diese Arbeit für drei Jahre interimsweise übernommen. Giovanni Carmine, der die Kunsthalle mittlerweile während beinahe der Hälfte ihrer Existenz künstlerisch geleitet hat, meint zur Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten, dass die Institution professioneller geworden sei, sich ihre finanzielle Lage stabiler gestalte und die Arbeitsbedingungen dadurch auch besser geworden seien.
Bedeutend war auch das Jahr 2004, weil die Kunsthalle vom erstern Stock im Lagerhaus ins Parterre umziehen konnte. Im Rahmen des 20-Jahr-Jubiläums erschien 2005 die Publikation 20 Jahre Kunsthalle St. Gallen, die einen Bogen von der Geschichte der «Neuen Kunst Halle» zu ihrer Vergangenheit schlägt.
Zeit zur Selbstreflexion ermöglichte die Zwangsschliessung während der Covid-19-Pandemie. Das Team der Kunsthalle konnte sich in dieser Zeit dem Archiv und infrastrukturellen Themen widmen. Zum Jahreswechsel 2020/21 entstand die Ausstellung «WO WIR», in deren Rahmen auch digitalisierte Archivunterlagen über die Webseite erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
Das Foyer wird zum Begegnungsort
Bereits anfangs dieses Jahres kündigte Direktor Giovanni Carmine an, dass sich die Kunsthalle St. Gallen «neu denken» will. Konkret heisst das: 20 Jahre nach dem erwähnten Umbau plant die Kunsthalle neue bauliche Anpassungen. Die Büros der Mitarbeitenden, die sich hinter dem Empfang befinden, sollen an einem anderen Ort untergebracht und das Foyer zu einem Raum umgebaut werden, der in Zukunft von Interessent:innen für Anlässe gemietet werden kann. Das Foyer könnte zum Beispiel zeitweise zu einem Lesecafé oder zu einem Ort für Schachspiele werden. Mit Interessierten sei er bereits im Gespräch, sagt Carmine.
Die Kunsthalle will also anlässlich des 40-Jahr-Jubiläums ihre Rolle als Gastgeberin weiter ausbauen und durch das Zur-Verfügung-Stellen eines Raumes für nicht-künstlerische Zwecke den Austausch und die Gemeinschaft unterstützen sowie ihr Netzwerk pflegen und erweitern. Zudem sollen die Räumlichkeiten der Kunsthalle vollständig barrierefrei werden. Aber Bauen ist teuer und deshalb ist im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten auch ein Fundraising geplant, um das Vorhaben in die Realität umsetzen zu können.
Somit sind wir wieder beim kommenden Jubiläumsfest angelangt. Auch wenn das Programm noch nicht bis ins letzte Detail in Stein gemeisselt ist, stehen schon mehrere Punkte fest. Vor der Feier am Pfingstmontag bildet die Vernissage zur Ausstellung «algorithmic-mega-death-superspell.exe» von Aramis Navarro am Freitagabend, 6. Juni, den Auftakt. Es wird die bisher grösste Einzelausstellung des in St. Gallen lebenden Künstlers. Navarro wird neue, eigens für die Ausstellung realisierte Arbeiten zeigen, die gezielt den architektonischen Kontext der Kunsthalle St. Gallen miteinbeziehen. Der junge aufstrebende Künstler arbeitet mit sehr vielen verschiedenen Medien, wobei ein stetes Interesse der Sprache und Texten gilt. In der Ausstellung wird die Nutzung von künstlicher Intelligenz eine Rolle spielen, es werden Soundskulpturen, Malerei und Rauminstallationen zu sehen sein. «Wir dürfen uns daher auf eine sehr vielseitige, sehr installative und gleichzeitig sehr literarische und poetische Ausstellung freuen», so Giovanni Carmine.
In Anlehnung an die Eröffnungsfeier der Kunsthalle 1985 wird auf den Tag genau 40 Jahre später, am 9. Juni, ab 17 Uhr das Jubiläum gefeiert. Weil es der Pfingstmontag ist, wird die Kunsthalle übrigens auch tagsüber bereits offen und die neue Ausstellung von Aramis Navarro zugänglich sein. Der Jubiläumsabend wird sich durch die Aktivierung von Sound- und Sprachperformance auszeichnen. Die Feier wird kulinarisch von der Köchin und Künstlerin Margaretha Jüngling begleitet. Vorgesehen sind eine Textperformance der Autorin und Comiczeichnerin Julia Kubik, eine Performance von Mathias Ringgenberg aka PRICE sowie ein DJ-Set von Kasper-Florio. Das Duo besteht aus Rosario Florio und Larissa Kasper. Letztere wurde an der vergangenen Mitgliederversammlung der Kunsthalle St. Gallen zur neuen Präsidentin gewählt.
Ein Jubiläum ist immer auch ein Anlass zur Selbstreflexion, zum Blick in die Vergangenheit, aber auch in die Zukunft. Das letzte Wort in diesem Beitrag gehört deshalb Giovanni Carmine: «Wenn ich sehe, wie viele Personen in der Kunsthalle waren, was sie jetzt machen und wo sie im Leben stehen; dass sie Grosszügigkeit und Gastfreundschaft aus ihrer Zeit bei der Kunsthalle mitgenommen haben und in ihren neuen Institutionen einbringen und immer noch mit der Kunsthalle verbunden sind, dann macht es mich stolz, Teil davon zu sein.»
40 Jahre Kunsthalle St.Gallen: 9. Juni, 17 Uhr.
kunsthallesanktgallen.ch