, 5. Juni 2011
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Die letzten Minuten des Mariabergs — Ein Abgesang

Am Sonntag Gestern, während den ersten Minuten des zweiten Aufstiegspiels des SC Brühl, läutet das Telefon. Marco Kamber, bis vor kurzem Programmmitverantwortlicher des Rorschacher Kulturlokals Mariaberg, ist dran. Am Samstag war das letzte Konzert; das Mariaberg machte zu. Kamber ruft aber nicht aus Sentimentalität an. Er erzählt noch ziemlich aufgekratzt von den letzten Minuten des […]

Am Sonntag Gestern, während den ersten Minuten des zweiten Aufstiegspiels des SC Brühl, läutet das Telefon. Marco Kamber, bis vor kurzem Programmmitverantwortlicher des Rorschacher Kulturlokals Mariaberg, ist dran. Am Samstag war das letzte Konzert; das Mariaberg machte zu. Kamber ruft aber nicht aus Sentimentalität an. Er erzählt noch ziemlich aufgekratzt von den letzten Minuten des Kulturlokals, von Polizisten, Schlagstöcken, johlenden Jugendlichen, von keinem schönen Ende nach vier anstrengenden Jahren. Folgend schickte er eine lange Mail, in der er die letzten Augenblicke des letzten Abends im Mariaberg schildert:

«Nein, die Piratenflagge auf dem Dach des Mariabergs hat nichts mit den Betreibern, geschweige denn mit dem Kulturbetrieb zu tun. Sie gehört einem der eben eingezogenen Mieter im Haus. Die inzwischen bezugsfertigen Wohnungen und teilweise schon unterschriebenen Mietverträge beziehungsweise eine daraus folgende Lautstärke-Auflage sind die Gründe für den Entscheid zur Schliessung des Rorschacher Lokals. Nach knapp vierjährigem Bestehen lief letzten Samstag das letzte grosse Fest; mit vier Bands, zwei DJs und knapp 400 BesucherInnen. — Bis eine Polizeistreife eintraf. Dazu ein kurzes Protokoll, das ich als Mitveranstalter, der die meiste Zeit des Abends draussen aufpasste, dass die vielen rauchenden Leute nicht auf der befahrenen Strasse rumstehen, notierte.

2 Uhr morgens:
Die letzte Band hat ihr Konzert vor rund eineinhalb Stunden fertig gespielt. Von den knapp 400 Leute, die die letzte Möglichkeit nutzten, einen Abend im Mariaberg zu verbringen, sind noch viele da. Drinnen: Gute Stimmung, der DJ spielt Garagenrock, die Leute tanzen, die Bar läuft gut. Klar, eine Verlängerung hatten wir keine, aber das tut in diesem Kontext nichts zur Sache.

Kurz vor 3 Uhr:
Der von der Stadt permanent beauftragte private Sicherheitsdienst (mit einigen per Reglement vergebenen und festgelegten Polizeiaufgaben) steht 50 Meter vom Eingang des Mariabergs. Die zwei Männer in dunkelblau beobachten das Treiben vor dem Lokal. Etwa 40 Leute stehen draussen, reden, rauchen, trinken. Eine friedliche Stimmung. Klar, dann und wann klirrt eine Bierflasche auf dem Asphalt. Aber das ist ja noch kein Verbrechen in diesem Zusammenhang.

Dann, einige Minuten später:
Eine Polizeistreife fährt vor. Zwei Polizisten gehen auf die beiden der Verkehrsüberwachung zu. Kleiner Austausch. Die Verkehrsüberwachung bleibt an Stelle, die beiden Beamten gehen ins Mariaberg. Hin zum DJ, der versteht kein Wort Deutsch, macht die Musik etwas leiser, die Buh-Rufe der Besucher werden lauter, aber mehr so zum Spass, eine Aggression ist keine in der Luft. Der eine Polizist ruft in sein Walkie-Talkie, der andere macht das Kopf-Abhacken-Zeichen zum DJ. Der lacht etwas, macht die Musik aus. Die beiden Polizisten verlassen das Mariaberg wieder, stehen neben das Polizeiauto.

Kurze Zeit später:
Es fahren zwei weitere Polizeiautos vor. Insgesamt sind nun acht Polizisten vor Ort, die gerade ihre schwarzen Handschuhe anziehen. Wozu weiss noch niemand. Die Rauchenden rauchen weiter, zu acht sind wir ruhig wir daran, sie ins Innere des Lokals zu verschieben, um die von uns vermutete von irgendeinem Nachbar gemeldete Ruhestörung vor der Beiz zu vermeiden.

Währenddessen:
Die Polizisten kommen trotz der Bemühungen der Veranstalter immer näher, alle von einer Seite, es gibt ein wenig Stadiongesang, harmlos, immer mit einem Lachen. Dann plötzlich schreiten sie ruckartig ein, gezogene Schlagstöcke, Pfefferspray-Drohung, gehen direkt auf einen Gast los, der vor der Hausfassade zusammen mit seinen Freunden steht. Er hat gerade die Hände hinter dem Kopf verschränkt, sie packen ihn, die Leute rufen aus, es gibt Handgreiflichkeiten, ein Schlagstock wird kurz benutzt. Sie zerren den jungen Mann aus der Menge, der ruft aus, geht zu Boden, wird dann die fünf Meter zum Polizeiauto auf dem Asphalt geschleift. Zu viert drücken sie ihn auf die Rückbank, verbinden seine Hände. Leute perplex: «Warum macht ihr das? Warum genau er?», die Polizisten und der Sicherheitsdienst decken das Auto ab, stehen mit gezogenen Schlagstöcken und drohenden Pfeffersprays 2 Meter vor meiner Nase.

Irgendwann …
… fährt das Polizeiauto mit dem jungen Mann davon. Es gibt Diskussionen, mitten auf der Strasse, die Polizisten versuchen es mit Witz. Viele wollen eine Erklärung, auch ich. Antworten kommen von einem älteren, bemüht smarten Beamten etwa so: «Es ist eine normale Personenkontrolle.» — «Warum genau er? Wir haben unsere Gründe.» — «Er hat sich sehr auffällig verhalten.» — «Doch, wir haben eine rechtliche Grundlage für diese Personenkontrolle.» — «Doch, das war angemessen, wir haben Telefonanrufe von Nachbarn gekriegt, dass Flaschen auf dem Trottoir zerschmettert werden.» — «Wir haben ihn ja nicht verhaftet?!» — «Doch, genau so machen wir Personenkontrollen.» – «Reden Sie mit unserem Einsatzleiter, Kommandant Schellinger.»

Zum Schluss …
… geben sich die Polizisten als Kollegen und machen mir ein Angebot: «Wissen Sie was? Wir ziehen uns jetzt zurück, im Fall, ist das gut? Dann beruhigt sich die Situation wahrscheinlich auch ein wenig. Und dann schauen Sie, dass Sie langsam die Leute nachhause schicken. Ist das ein Deal?».

Am nächsten Morgen erzählt mir der junge Mann am Telefon, dass sie mit ihm im Auto lediglich eine Runde drehten, bis vor seine Haustüre, sehr unweit vom Mariaberg. Nach einer kurzen Ausweiskontrolle sowie einer Wegweisung durfte er dann gehen. Aha, «es ist eine ganz normale Personenkontrolle».

The party is over, und vier Jahre Mariaberg auch.»

3 Kommentare zu Die letzten Minuten des Mariabergs — Ein Abgesang

  • jürg moser sagt:

    Die Vorbilder jener, die zur Mariabergbeerdigung für die Sicherheit in der Rorschacher Hauptstrasse sorgten, singen ein Lied:
    http://www.youtube.com/watch?v=r-B7_7LA02A

  • N. R. Key sagt:

    So wie Marco Kamber das darstellt, war es nicht. Die Party ging nach dem Besuch der Polizei, noch gut drei Stunden weiter. Zudem waren die „friedlichen und lustigen Pfiffe“ von einigen wohlbekannten Mitgliedern des Schwarzen Blockes nicht ganz so witzig gemeint, wie Marco Kamber das gesehen hat. Es war auch ein Mitglied des Schwarzen Blocks, das den Schlagstock abbekommen hat. Er nahm es mit Fassung, es täte ihm zwar die Rippe weh, aber sonst sei es okay. Trotzdem eine Schweinerei, fand er.

    Und wenn wir schon unser aller Kulturlokal beerdigen müssen, lasst es uns nicht mit einer halbwahren Geschichte über Gräueltaten der Polizei tun. Lasst uns lieber die letzten Tänze im Lokal zu The Pixies „Where is my mind“ und dergleichen in Erinnerung rufen. Denn das war es, was das Maberg war, nicht ein Ort an dem die Polizei bösartigerweise friedliche Gäste kloppen geht.

  • Marco Kamber sagt:

    «Halbwahre Geschichten über Gräueltaten der Polizei», naja. Es war ein sehr unangemessener Polizeieinsatz. Das sage ich als Veranstalter, der in der zweiten Hälfte der dritten Saison Mariaberg jedes Wochenende mit der Polizei zu tun hatte. Damals hat es geklappt mit Dialogen; «Bitte schaut einfach, dass es ruhiger wird». Das hat dann gut funktioniert. Diese Bitte ist uns auch in diesem Fall entgegen getragen worden. Wir haben sie auch umgesetzt, sprich: Die Leute auf dem Trottoir aufgefordert, doch bitte rein zu gehen. Klar, während genau dem gabs noch einige Rufe gegen die Polizei. Aber diese hat überhaupt nicht abgewartet, ob unser Zutun nützt oder eben nicht, und ist dann völlig unangemessen eingeschritten.

    Es war meiner Meinung nach zu vergleichen mit den ewigen Aktionen an der Langstrasse. Es geht ums Verschaffen von Respekt. Um die Autorität, die demonstriert werden muss. Dann eben mit Gewalt.

    Das kann man meiner Meinung nach, gerade als Veranstalter, schon ein bisschen mehr hitzig als sachlich nehmen.

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