, 21. Dezember 2017
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Die Wut des Don Quichotte

Aus dem Dezemberheft: Hansueli Stettler und der Mobilfunk –
Porträt eines Unermüdlichen.

Hansueli Stettler.

«Weiss nicht ganz, ob es wirklich Wut ist.»

So meldet sich Hansueli Stettler per Mail zurück auf die Saitenfrage, ob er für ein Gespräch über Wut zu haben wäre.

«Ich versuche einfach, die Welt zu retten, wenn ich das so im Bauch spüre. Und zwar dort, wo ich es am besten kann.»

Ein paar Tage später treffen wir uns im Kulturkonsulat. Das Gespräch schweift von der Wut immer wieder ab zum Gegenstand, der sie auslöst: die Funkstrahlung. Gegen sie kämpft der Architekt und Bauökologe Stettler seit zehn Jahren an – beziehungsweise gegen unser Wegschauen, Nichtwissenwollen oder Verharmlosen.

«Die Industrie verkauft uns das als Fortschritt – ich nenne es Mord.»

Stettler sagt solche Sätze ruhig, aber man kann sich gut vorstellen: Hinter der Ruhe brodelt es.

Hansueli Stettler kennt man in St.Gallen. Er hat das «Komitee vernünftiger Marktplatz» gegründet, hat mit Aktionen, Einsprachen oder dem «Platanenfest» gegen das (inzwischen aufgegebene) Projekt einer Parkgarage am Union gekämpft, er tritt schon mal mit Schellenkappe als «Hofnarr» der städtischen Politik auf, sass sieben Jahre als Grüner im Stadtparlament, hält den Behörden akribische Verbesserungsvorschläge für den Fahrplan der VBSG entgegen, protestiert beim Tiefbauamt gegen das seltene Freigeben des Eises auf Drei Weieren oder hat bis vor Bundesgericht prozessiert gegen die Ablagerung von Altschnee in einem Tobel.

Die Stadt St.Gallen, das ist seine Passion, das ist, trotz konsequent beibehaltenem Zürcherdialekt, für Stettler der Ort, wo er «es» am besten kann. Der Ort, wo er sich unermüdlich zu Wort meldet, wenn es nicht so läuft, wie er es für richtig hält. Und wo er sich dann immer mal wieder anhören müsse, er sei ein «Nörgler». «Das bin ich nicht – ich will es einfach wissen», korrigiert Stettler im Gespräch.

Er sei eben einer, der sich wehrt, aber nicht für sich, sondern für die Sache.

Die Sache: Das ist der Marktplatz, die Umweltverschmutzung, der Busbetrieb oder eben: die Funkstrahlung. Stettler hat zahllose (er spricht von über tausend) Verkehrsunfälle der letzten Jahre analysiert, oft Unfälle mit angeblich «medizinischer Ursache», und festgestellt: Unfälle dieser Art passierten zu 95 Prozent in Empfangsdistanz, mit einer Funkantenne links oder frontal von den Fahrern. Ein Unfall vor vielen Jahren, der sogenannte «Epileptikerunfall» von Zürich, habe ihm die Augen geöffnet.

«Unfälle sind keine Zufälle», sagt er und sieht in der Funkstrahlung und ihrem ungebremsten Ausbau eine der schlimmsten Bedrohungen für Mensch und Natur.

«Man weiss, was da abgeht. Aber man will es nicht wissen. Es isch zom Brüele.»

So nebenbei, ergänzt Stettler, klärt sich nun auch das Wesen der Einschlafunfälle; dank Google sieht man heute die querenden Hochspannungsleitungen vor den Unfallorten. Stettler erlebt das Problem am eigenen Leib. Seit einigen Jahren sei er strahlensensibel.

Das Symptom: ein ringförmiger Schmerz um den Kopf. In den Garten seines Hauses an der Lindenstrasse kann er nicht mehr gehen, ganz nah steht eine Antenne. St.Gallen habe wohl die höchste Antennendichte der Schweiz.

Im Bus trägt er «eine Art Burka», und auch jetzt im Konsulat soll das Gespräch nicht mehr als eine gute Stunde dauern – «sonst ist der Rest des Tages dahin». Sagts und holt aus der Tasche das Strahlenmessgerät von Gigahertz Solutions.

«Am schlimmsten ist WLAN», sagt Stettler.


Es knarzt und flimmert, nah an den PCs knattert es wie eine Gewehrsalve.

Stettler erklärt die Phänomene, in den Händen das Gerät mit dessen scharfer Spitze – ein zeitgenössischer Don Quichotte im Kampf gegen die Windmühlen der Ignoranz. In Sachen Wut habe ihm sein Vater, der als Verdingbub aufgewachsen war, sicher viel gelehrt. «Er hat mir auf den Weg gegeben, dass man sich wehren muss, wenn man nicht unter die Räder kommen will.»

Bei Wut oder Zorn soll es aber nicht bleiben; seine Haltung sei vielmehr: «Zuerst analysieren – und dann in die Aktion gehen». Wie bei der elektromagnetischen Strahlung: Stettler korrespondiert mit den Polizeikorps aller Kantone, holt Informationen über Unfälle ein und gibt seine Erkenntnisse weiter.

Er nennt es «meinen Versuch, durch stetiges Feedback der Thematik eine genauere Unfallanalyse in der Schweiz zu erreichen.» Einzelne Behörden, wie die St.Galler, seien interessiert und kooperativ – andere wie der Kanton Zug machen «den Laden zu» und berufen sich auf den Datenschutz. Seine Analysen veröffentlicht er teilweise auch auf seiner Webseite.

Um die Unfälle allein geht es Stettler dabei nicht. Gerade werde über den neuen Mobilfunkstandard «5G» diskutiert, der schweizweit eingeführt werden soll. Dabei habe die Schweiz jetzt schon das dichteste Funknetz. Aber jetzt gehe es um mehr, es gehe darum, dem autonomen Fahren den Weg zu ebnen und dafür das ganze Strassennetz funktechnisch abzudecken. Und mehr als das: «Sie wollen unsere Daten.» Ob am Handy, in der Stadt oder am PC mit seinen schädlichen drahtlosen Maus und Tastatursystemen: «Der Funk greift in unsere Gesellschaft ein, auf allen Ebenen.»

Die Krankheitssymptome seien jetzt schon da: Lernschwierigkeiten, Suchtverhalten, Unfälle… Stettler steht mit der Be­fürchtung nicht allein – erst jüngst im September ist ein Appell von 180 Wissenschaftlern aus 36 Ländern publiziert worden, der vor den gesundheitlichen Schäden warnt und ein 5G-Moratorium fordert. Stettler sagt es drastisch: «Wir steuern auf eine Katastrophe zu.»

Bei all dem, was ihn stört: Geht er dann immer mit einem halben oder ganzen Ärger durch die Stadt? «Ich rege mich nicht ständig auf», lacht er. «Aber ich habe meinen Fotoapparat dabei. Man sieht immer etwas. Shit happens…». Zum Beispiel auf dem Bahnhofplatz, wo er mit den neuen Buswartehallen hadert. «Der geräumige Platz ist nicht mehr da.»

Oder in St.Fiden, wo er sich die komplette Überdachung der Autobahn mit kostengünstigen Techniken wünscht. Dann könnte dort zum Beispiel eine Containersiedlung für Kleingewerbe und Kunstschaffende entstehen, günstig im Bau, wachsend nach Bedarf, gern auch chaotisch, privilegiert durch die hervorragende Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Da tut sich vielleicht ein neues Stettler’sches Feld auf. Obwohl er am Anfang des Gesprächs vom Aufhören gesprochen hatte.

«40 Jahre Kampf und am Ende das Gefühl: Es nützt nichts. Es wird nicht mehr besser.»

Der Optimismus aus den 70er­, 80er Jahren: verflogen. Das Denken für die Mitwelt, die Menschlichkeit: vorbei. «Die Menschheit will in den Abgrund rasseln.» Hansueli Stettler hat gute Gründe, zu resignieren. Oder wütend zu bleiben.

Dieser Beitrag erschien im Dezemberheft von Saiten.

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