, 20. August 2018
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Diskurssand im Getriebe der Marktlogik

Eine Reflexion zum Kulturkonzept-Forum der Stadt St.Gallen, oder: Der kleinste gemeinsame Nenner und die grösstmögliche Vielfalt sind zwei Seiten eines Dings, das in Bewegung bleiben muss.

Zeichnung von David Shrigley

Herumstehen im Foyer der Lokremise. Scheue Blicke, joviale Hand-Schulterschläge, schöne Sakkos, kantige Frisuren, abgeklärte Sprüche, zögerndes Warten, friedliches Chaos. Die von offizieller Stelle als solche anerkannten und deshalb eingeladenen lokalen Kulturschaffenden warten auf die Verhandlung ihrer Zukunftskonzeption. Es gibt diverse Verhaltensmöglichkeiten für diese Art Anlass, folgende sind die vermutlich verbreitetsten:

– optimistisch: zuhören, nachdenken, mitreden und hoffen, dass sich die vielen Stränge, Meinungen und Ideen in eine gemeinsame, gute Richtung fortbewegen.

– unbeeinflussbar: schon immer gewusst haben wie alles läuft und kommen wird, wer recht hat und worum es grundsätzlich geht.

– zynisch distanziert: ständig schwankend zwischen pessimistischem Rückzug und surrealer Amüsiertheit, da sich in der eigenen Wahrnehmung bald alles zu einer Groteske verzerrt.

Plätze, Räume, Geld

Das Treffen zum Kulturkonzept 2020 ist einerseits Partizipationseinladung und Vernetzungsmöglichkeit, andererseits Geste und routinierte Performance. Für wirklich ausufernde, allenfalls schmerzhafte, mühsame und komplizierte Debatten fehlt die Zeit und die geistige Crashtest-Infrastruktur. Dafür gibt es grosse vorstrukturierte Flipcharts, viele Post-Its und einen klaren Zeitplan. Thomas Scheitlins Glut-Metapher in der Eingangsrede passt gut dazu: Wir müssen aufpassen, dass die Glut nie ganz ausgeht, denn dann würde es schnell sehr kalt, aber das Feuer darf auch nicht zu stark brennen, nie sosehr, dass die Flammen unberechenbar werden. Besser es passiert nichts als etwas komplett Rahmensprengendes.

Der Raum ist aufgeteilt in Kreise, anfangs ist man eingeteilt nach Sparten innerhalb des Kulturbetriebs. Wir besprechen zuerst Stärken, dann Schwächen, dann Befürchtungen, dann Chancen und zum Schluss Anliegen und Ideen, eigentlich das Herzstück. Immer im Bezug auf den Hauptgast der Veranstaltung, die St. Galler Kulturszene.

Innerhalb der Gruppen werden nochmals Untergrüppchen gebildet. Ich kannte meine beiden Gegenüber vorher nicht, und wir haben nun je 7 Minuten Zeit, uns auf einem Post-It auf jeweils relevante Punkte zu einigen. Vielleicht bringt schnelles Denken laut Brainstorming-Designthinking-Methodenbuch irgendwas, und natürlich kommt man schnell auf Themen wenn man muss. Es bleibt im Stress aber auch vieles beim Altbekannten. Ein langsam verrostendes Zahnrad der Forderungen: mehr Geld, mehr Raum, mehr Experimentelles. Nur bleibt danach keine Zeit mehr zu klären, wofür man Räume und Geld nutzen will.

Das ist auch irgendwie ok und liegt in der Natur des Experiments. Gleichzeitig wäre es aber doch spannend, dazu mehr Reflexion seitens der Kulturschaffenden zu hören. Nicht nur in der Kultur, sondern in allen Branchen geht es ständig um die Platzverhandlung, wem Raum zusteht und wem zugehört wird. Mit dem Privileg, eine Bühne zu haben, geht die Verantwortung einher, kritisch zu bleiben – sich selbst, dem Publikum und dem ganzen System gegenüber. Nicht so kritisch, dass man schlussendlich in einem riesigen lähmenden Wiederspruch ausbrennt/einfriert, aber auch nicht so ignorant, dass man für indiskutabel relevant hält, was man sendet.

Interessante Entwicklungen kann man nicht konzeptionell koordinieren und Authentizität nicht kaufen. Trotzdem ist ein Konzept ok als Gefäss, solange wir in einem System leben, das Gefässe braucht. Noch okayer wäre es als löchrig-elastisches Gefäss, also als eine Art Fallnetz, das den Balance-Intuitionen der Balancierenden vertraut und sie trotzdem auffängt, wenn sie fallen.

Ziellosigkeit mit Haltung

Was an dem Abend nicht verhandelt wird, ist der Kulturbegriff, von dem ausgegangen wird, ganz grundsätzlich. Das würde den Rahmen sprengen. Es reicht offenbar, dass sich alle einig sind, dass Kultur wichtig ist, Platz braucht, Standorte attraktiver macht und so weiter. Aber das war auch schon beim Konzept von 2009 klar. (Im damaligen Dossier wirds so definiert: „Kultur umfasst die Künste(Bildende Kunst, Theater, Tanz, Musik, Literatur, Film) in ihrem gesamten Prozess von der Kreation über die Vermittlung bis zur Dokumentation sowie das kulturelle Erbe mit sämtlichen Werten, Werken und Gütern, die unser Herkommen bezeugen, zum Verständnis unserer Gegenwart und zur Gestaltung der Zukunft beitragen.“)

Vielleicht wären mehr Zeit, mehr Reflexion, mehr Konflikt- und Chaospotenzial und mehr Ernsthaftigkeit gut gewesen. Oder ich irre mich und zu viel reden führt in Sackgassen, verwirrt alle Beteiligten und verlangsamt reale Prozesse. («Show, don’t tell») Es ist schwierig vom Standpunkt der andauernden Ambivalenz heraus konstruktive, fundierte  Aussagen zu treffen. Aber die Debatte ist ausgerufen, darum zumindest nochmal ein Anlauf zur Frage, was Kultur ist oder ausmacht.

Anders als bei Arbeiten, bei denen ein klares Ziel von vornherein feststeht (eine Mauer bauen, Suppe kochen, Verletzte bergen, Badezimmer sanieren, Macbooks verkaufen, Daten sortieren), ist Kulturarbeit ein niemals fertig gebackener Teig und ein sich ständig reproduzierendes Fragezeichen. Wer braucht Kultur? Wieviel davon? Was für eine? Wie oft? Zu welchem Preis?

Aus einer kapitalistischen Verwertungslogik betrachtet könnte man die einzig daran messbaren Werte, nämlich Publikumszahlen, Konsumentenerträge, Lacher oder Zwischenapplausfrequenzen berücksichtigen. Das wäre entsetzlich traurig und öde.

Künstlerische Arbeit ist mehr, das macht sie so wichtig wie interessant, so anstrengend wie ausartend. Bei klaren Zielen fällt es leichter, sich selbst herauszuhalten und sich von seinen Handlungen zu distanzieren. Man kann sich besser konzentrieren, wenn man weiss, was erwartet wird und in welchem grösseren Auftrag und Sinnzusammenhang man unterwegs ist. Künstlerische Arbeit ist meistens unstet, persönlich, nah am lauernden Drama, an Zweifeln und Zerrissenheit. Es gibt keinen einfach erfüllbaren Auftrag, kein vorbestimmtes Publikum, keine eindeutige Funktion. Falls man nicht vorher die Nerven verliert, zieht man – was auch immer – durch, und dann erübrigen sich womöglich die offenen Fragen vorübergehend, ansonsten verliert man sie – ebenfalls vorübergehend. Das macht Kultur nicht besser als andere Arbeit, verlangt aber spezifische Verhandlung und Betreuung. Wie genau diese aussehen soll-: Darum gehts wohl letztlich in jedem Kulturkonzept.

Eine Ode an die Unordnung

Verwaltung und Kunst sind sehr verschiedene Abteilungen, und es ist schön, dass es Menschen gibt, die sich der Vermittlung widmen. Noch schöner wäre es, wenn Kultur rundherum nicht als exotische Extrawurst verstanden würde, sondern als normalwichtiger Bestandteil der Welt. Zwar findet man in den Künsten vorerst die schillernde Magie der Gegenwelt, aber reproduzieren kann diese Magie nur das echte Leben. Also sind die Fragen der Kultur die Fragen der Welt. Polititische und gesellschaftliche Bewegungen kann man als Kulturschaffende nicht ausblenden, es sei denn, man verfolgt ein sehr strenges inhaltliches Konzept oder beschäftigt sich ausschliesslich mit der Vergangenheit.

Kultur und alles, was gemeinhin nicht als Kultur gilt, sollen sich gegenseitig befruchten, nicht ausstechen.

Häuser sind Konzepte zum Wohnen, Kleider Konzepte zum Aussehen, das gesamte politische System ein Konzept zum zivilisierten Leben. Konzepte sind formale Gerüste, die Inhalten Platz lassen, gleichzeitig aber auch verhindern, dass diese gross und unberechenbar werden.

Wenn die Grundvoraussetzungen der Existenz sind, dass man vergeht, nichts bleibt, es keine Sicherheiten gibt und alles, was man liebt, ebenfalls stirbt, kann man sich das Festklammern an einer gegebenen Ideologie sparen. Es beruhigt vielleicht das Nervensystem vorübergehend, aber es verhindert auch Vielfalt, Fortschritt und Vernetzung.

Bleibt verwirrt und sensibel, neurosenbehaftet, unfertig und immer wieder frustriert. Hütet euch, die Frage worum es geht, abschliessend zu klären. Schubladisiert Verhältnisse nicht und falls es nicht anders geht, lasst die Schublade offen. Optimiert Plätze nicht zum Stillstand und erklärt etwas, das nicht sofort nützt, nicht gleich als unnütz. Lasst euch nicht dazu verleiten eine stabile Mitte zu suchen sondern übt euch in Oszilliertechnik zwischen Rückgrat und Demut, Ordnung und Chaos, Gefühl und Verstand.

Das sind die ersten Anforderungen die ich stelle als eine, die sich irgendwo zwischen den Stühlen von kulturschaffend, vermittelnd und konsumierend sieht.

Natürlich kann man sich auch grundsätzlich abzweigen und verweigern, aber dann ist man an einem partizipativen Prozess am falschen Ort. (Ausser man hat schon lange aufgehört, an seinem Zynismus zu zweifeln)

Tocotronische Schlussfolgerung also aus diesem ersten Kulturkonzept-Forum: Im Zweifel für den Zweifel. Für Wiedersprüche, Toleranz, Freiheit und Respekt. Auf dass das Forum als Prozess weiterlebt und nicht in ordentlichen Floskeln stagniert.

Abschliessend ein paar Kulturtipps die sich mit den verschiedenen angerissenen Fragen auf ihre Art beschäftigen.

 

httpv://www.youtube.com/watch?v=3etZFekyvVI

httpv://www.youtube.com/watch?v=ckrdsokd8Sw

httpv://www.youtube.com/watch?v=7j3trCjVM8Q

 

(Bild: Simon Netzle)

 

 

 

1 Kommentar zu Diskurssand im Getriebe der Marktlogik

  • Philipp sagt:

    Apropos Konzepte und Sicherheit: Stimmt wohl, es gibt keine totale Sicherheit im Leben, aber die Einen, die danach suchen und die Anderen, die sie versprechen gibt es sehr wohl. In Zeiten, wo die staatlich-sozialen Auffangnetze löcheriger werden, nicht ganz unrelevant.
    Hab den Artikel sehr gerne gelesen.

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