, 1. Dezember 2016
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Ein Kino wird zu Grabe getragen

Eigentlich war das Aus des Konstanzer Programmkinos Scala für Ende Jahr geplant. Schon seit Monaten im Zustand der Schnappatmung, konnte es Kinobetreiber Detlef Rabe anscheinend kaum erwarten, ihm ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Am 29. November wurde es mit einer etwas schräg anmutenden Zeremonie beerdigt. Judith Schuck war dabei.

Bilder: Judith Schuck / Stefan Böser

Anfang Jahres erfuhr die Öffentlichkeit, dass das Scala Kino, seit 1938 an der Marktstätte Konstanz in Betrieb, zu Ende des Jahres geschlossen werden soll, um einer Drogeriekettte Platz zu machen. Wütend über diese Information, gründete sich auf Initiative des Theaterintendanten und Aufwieglers Christoph Nix die Bürgerinitiative «Rettet das Scala», die sich das ganze Jahr über ins Zeug legte, um das beliebte Kino, in dem hauptsächlich Arthouse-Streifen liefen, irgendwie am Leben zu halten.

Das gelang trotz der Demonstrationen, zahlreicher Medienberichte und gesammelter Unterschriften nicht. Auch Filmregisseur Douglas Wolfsperger musste eine herbe Enttäuschung einstecken: Der heute in Berlin lebende Filmemacher kommt ursprünglich aus Konstanz, und wie viele Bürger aus der Region, sah er seinen ersten Film im Scala und zeigte seinen ersten eigenen Film auch dort. Ohnehin persönlich mit diesem Kino verhaftet, wollte er am Beispiel des Scala auf das allgemeine Kinosterben aufmerksam machen und beschloss, einen Dokumentarfilm zu drehen, der den Untergang des Scala als paradigmatisch für dieses Symptom «Konsum gewinnt gegen Kultur» aufzeichnen soll.

Die Stadt Konstanz stellte sich alsbald gegen ihn und sein Projekt; während der Kanton Thurgau das Filmprojekt mit 18’300 Euro unterstützt und die Stadt Kreuzlingen mit 3200 Euro, gibt die Stadt Konstanz lächerliche 2499 Euro dazu. Sie fürchtet mit der Realisierung des Films einen Image-Schaden; schliesslich prosperiert die Stadt unter dem Schweizer Einkaufstourismus.

Fackeln, Kerzen, Pickel

Die zornige Reaktion Wolfspergers in der Gemeinderatssitzung Ende April 2016 war: «Jetzt erst recht!». Mit dem Dreh hatte er bereits begonnen, teils hochinteressante Persönlichkeiten auch ennet der Grenze gefunden, die ihm von ihrer leidenschaftlichen Beziehung zum Arthouse-Kino berichtetet. Um dem allen aber die Krone aufzusetzen, verweigerten Bürgermeister Andreas Osner und Detlef Rabe Interviews und verboten den Dreh im Kino.

Schliesslich mussten die Kino-Fans kürzlich erfahren, dass das Scala schon am 30. November zum letzten Mal seine Filmprojektoren anwerfen würde. Am 29. November klärte ein Aushang am Kino die Cinephilen darüber auf, dass ihnen dieser letzte Abschied auch noch versalzen wird.

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«Wir haben erfahren, dass für die letzte Vorstellung in unserem Kino zu einer Art ‹Beerdigung› mit Fackeln, Kerzen, Pickeln, Särgen, Schaufeln & Co. aufgerufen wurde», hiess es da unter anderem. Deshalb bitte man um Verständnis, dass Kinobetreiber und Team ein solches Vorgehen aus Sicherheitsgründen nicht zulassen könnten.

Damit wurde vielen Konstanzer, die sich zum Teil schon Tickets für den Abschiedsfilm gekauft und auf einen letzen Abend im geliebten Kino gefreut hatten, ein weiterer dicker Strich durch die Rechnung gemacht.

Was für ein Aufstand!

Worum es wirklich ging, erläuterte Eveline Ketterer, Kulturschaffende im Thurgau, die mit Douglas Wolfsperger und der Bürgerinitiative das Finale mit geplant hatte. Eine Abschiedszeremonie war tatsächlich geplant, die Kinogäste waren aufgerufen, den letzten Abend in Trauerkleidung zu besuchen, und im Anschluss an die Filmvorstellungen stand eine kleine Kundgebung auf dem Programm, in der mit einem selbstgezimmerten Sarg das Kino symbolisch beerdigt werden sollte.

Auf Facebook gab es dann einige nicht wirklich ernstzunehmende Posts, die das Ganze ausschmückten. Hier war statt von harmlosen Grablichtern von Fackeln die Rede, wie das in sozialen Netzwerken schnell mal passiert.

Tatsächlich war die Atmosphäre am 29.November eine völlig andere. Um 20 Uhr versammelten sich rund 50 meist schwarz gekleidete Menschen vor dem Kino, davon rund 15 von der Presse und dem Filmteam. Eine Frau sass am Eingang des Scala auf dem Boden und klopfte müde, monoton auf eine Trommel; das erinnerte eher an die Überreste eines durchfeierten Hippie-Wochenendes als an einen Aufstand.

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Einen Sarg gab es, auch hatten einige Leute Grablichter in der Hand, und Lichtprojektionen warfen BYE BYE und REST IN PEACE an die Hauswand. Der grüne Neonlichtzug «Scala» flackerte nur manchmal schwach auf; passend zum Kino, das gerade sein Leben aushauchte. Einige Journalisten machten sich schon über «die Menschenmassen» lustig: «Was für eine Schlagzeile! 80’000 nehmen Abschied von Scala!»

Stille Trauer

Einige Schilder liessen ein wenig Trauer-Proteststimmung aufkommen, wie «Will jemand noch ’n Eis» – vom Wort «Eis» tropfte Schmelzwasser beziehungsweise Tränen. Am Sarg hielt jemand eine für die Filmkamera und die Presse inszenierte Rede; dann wurde lange Zeit erstmal nur posiert, ebenfalls für die Kameras.

Ein paar authentische Stimmen, die das Filmteam leider nicht aufschnappte, kamen von einer ehemaligen Mitarbeitern, die 14 Jahre im Kino beschäftigt war und wirklich traurig und enttäuscht schien, dass man ihr den letzten Abschied derart vermiest hat. Obwohl auf der Marktstätte momentan Weihnachtsmarkt ist, interessierte sich von den zahlreichen Besuchern dort kaum jemand für ungewöhnliche Szene.

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Dann setzte sich der Trauermarsch endlich in Bewegung Richtung Kanzleistrasse. Ob vor dem dortigen dm Markt vielleicht noch eine kleine wütende Sequenz geplant war? Nein, ganz brav schleppte die «wilde Horde», hauptsächlich aus Menschen im Pensionsalter bestehend, den Sarg in Richtung Münster.

Wurst und Wahrheit

Am Wurststand am Obermarkt hätte es noch eine wirklich filmreife Szene gegeben, denn hier wurde ein alter Konstanzer auf den seltsamen Umzug aufmerksam – verkleidete Menschen kennt das Bodenseestädtchen traditionell nur während der Fasnachtszeit. Dieser erklärte dem Wurstverkäufer: «Des isch, weil schon wieder so n’Stück Traditionskultur kaputt geht.» Doch leider war das Filmteam zu stark auf den völlig in Szene gesetzten stillen Marsch fokussiert, um den Kommentar festhalten zu können.

Am Münster angekommen, wunderte man sich über den aufkommenden Nebel, zwar durchaus nicht ungewöhnlich für einen Konstanzer November, doch war seit Tagen die Luft glasklar. Es wirkte «wie im Film» vor den gotischen Gemäuern – und es war auch für den Film. Hinter der Buchshecke, die ein Stück Rasen vor dem Kreuzgang einzäunt, hörte man verdächtige «Ppfff»-Geräusche und hier wurde die Luft dann richtig dick: Eine einsame Nebelmaschine stand da auf dem Rasen parat und sorgte für die künstliche Friedhofsstimmung.

Es gab Gerüchte, dass der Sarg noch verbuddelt wird; spannend, wo sich die Stadt doch so gegen Film und die Bürgerinitiative stellt. Würde sie wirklich erlauben, ein Erdloch für einen immerhin fast lebensgrossen Sarg mitten in der Stadt und am heiligen Münster zu graben? Aber nein! ein Grab war auf der Wiese tatsächlich vorbereitet: ein Haufen aufgeschütteter Erde, dekoriert mit Holzkreuz, Grablichtern, Kränzen und ganz vielen Filmstreifen. Und einem Abschiedsbrief: «Armes Konstanz … lässt dich einfach sterben – mein Scala – gibt es eine Auferstehung????» Und Klappe.

Man darf gespannt sein, ob der Film von Douglas Wolfsperger an dieser Stelle endet oder ob dieser merkwürdige Abend und Spielverderber Detlef Rabe die engagierte, aber zahme Bürgerinitiative zum Weitermachen inspirieren.

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1 Kommentar zu Ein Kino wird zu Grabe getragen

  • Sebiturbo sagt:

    Danke für diesen Bericht.
    Es gäbe noch viel zu sagen.
    Interessant, dass das Kino und dessen Betreiber hier so gut wegkommen.
    Ich weiss, dass das Vorgehen von langer Hand geplant war, und dass es heute so aussehen soll, als ob die BI mit ihrer Bedrohung ein Grund für die vorgezogene Schliessung gewesen wäre.
    Mit dieser Aktion hat das CineStar/Scala-Management nachhaltig das Vertrauen seiner Gäste zerstört und in völliger Fehleinschätzung der Öffentlichkeitswirkung, eine Aktion, die vom Filmregisseur Douglas Wolfsperger begleitet wird und die eigentlich ab 22.30 unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hätte, durch den Wegfall der Filmvorstellungen zu einer erheblich höheren Publicity verholfen.
    Danke, Herr Rabe #scalaKN

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