, 7. April 2019
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«Ein Mutanfall»

Eva Bachmann über das Projekt für ein Literaturhaus Wyborada und die Lücken und Tücken der Buchstadt St.Gallen.

Eva Bachmann auf dem Wyborada-Platz. (Bild: Ladina Bischof)

Saiten: Anfang März ist die Idee mit Blick auf die Villa Wiesental lanciert worden, Mitte März hat der Verein Wyborada grünes Licht gegeben. Warum braucht St.Gallen ein Literaturhaus?

Eva Bachmann: Weil es fehlt. Das Literaturhaus soll ein Gravitationszentrum des Worts sein, ein Ort, der zusammenbringt, was mit Lesen, Schreiben und mit Texten in einem weiteren Sinn zu tun hat. Das heisst: Es geht nicht nur um Literatur, sondern um alle Spielarten von Texten, zum Beispiel auch um biografisches Schreiben. Zudem suchen wir den Austausch mit anderen Sparten, mit bildender Kunst, mit Musik.

Es gibt ja auch kein «Haus der Musik» in St.Gallen – müsste man das Literaturhaus also noch grösser denken?

Erstmal ist schon der Vorschlag, die Wyborada auszuweiten zu einem Haus der Literatur, eine grosse Vision, ein Mutanfall. Wie gross es werden kann, hängt von den Partnerschaften ab, von den Finanzen und vom Ort. Falls wir in St.Gallen eine Immobilie finden, die viel Platz bietet, könnte mit der Zeit eine Art Werkhaus entstehen, wie es in den Debatten zum städtischen Kulturkonzept auch schon gefordert worden ist. An der Davidstrasse, wo die Wyborada heute eingemietet ist, ist der Platz beschränkt. Wir sind vorerst darauf angewiesen, grössere Veranstaltungen an anderen Orten durchzuführen, aber das ist auch gut: Das Projekt soll ja integrativ sein.

Wer sind die möglichen Partner?

Frauen der Sprachschule Aida sind in der Initiativgruppe mitbeteiligt. Migrantische Gruppen und Themen sollen selbstverständlich einen Teil des Programms bestimmen. Positiv reagiert hat auch die Gesellschaft für deutsche Sprache und Literatur GdSL. Das Projekt ist nicht auf Konkurrenz oder Futterneid ausgelegt, sondern darauf, gemeinsam Dinge zu machen, mehr Leute mit Kultur in Kontakt zu bringen.

Gibt es für ein solches neues Angebot genug Publikum? Lesungen finden zum Teil vor leeren Reihen statt. Ist Literatur zuwenig massentauglich?

Zum einen: Wenn zehn Menschen an eine Lesung kommen, kann das trotzdem ein grossartiger Anlass sein. Zum andern: Es liest ja jeder und jede. Man muss aber natürlich darüber reden, wie man Bücher und Themen vermittelt. Die Wyborada war seit jeher eine selbstverwaltete Institution, und ein Teil der Programme soll auch künftig selbstverwaltet ablaufen. Dadurch wird es gelingen, mehr Leute zu involvieren, mit Angeboten und Debatten, die nicht monologisch sind, sondern mitgeprägt von den Beteiligten selber. Die gesellschaftliche Realität und die Menschen hier sollen Teil des Projekts sein. Ich glaube daran, dass sich die Menschen auseinandersetzen wollen mit Themen und mit Texten. Kantischüler gehen auf die Strasse… das zeigt, dass Beteiligung gefragt ist.

Wie stark soll das Literaturhaus ein feministisches Projekt bleiben?

Der Fokus auf Frauenthemen ist und bleibt wichtig. Aber die Männer sind mitgemeint. Es ist gerade in der Anfangsphase wichtig, viele Perspektiven einzubringen. Ein solches Projekt steht und fällt damit, dass Leute Ideen haben und die Energie, sie umzusetzen. Wenn man immer gleich Einwände hat – «das geht nicht, es gibt schon so vieles, es fehlt an Geld und an Publikum…» – dann passiert nichts.

Wer soll das Literaturhaus finanzieren?

Das Budget des Vereins Wyborada erlaubt keine Erweiterungen. Die Bibliothek hatte schon länger kaum finanziellen Spielraum. Das Literaturhaus muss anderweitig finanziert sein, das heisst: Man muss potente Sponsorinnen und Sponsoren finden.

Und die Öffentliche Hand?

Die Wyborada ist zum Teil mit städtischen Geldern finanziert. Klar wäre es ein Ziel, zusätzliche Mittel von den Ostschweizer Kantonen zu bekommen. Aber in der Stadt ist das Klima nicht gerade ausgabefreundlich, da müssen wir uns keine Illusionen machen. Das Geld müssen wir anderswo finden, sonst bleibt das Projekt Schmalspur.

Es gibt bereits ein Literaturhaus im Thurgau. Macht es Sinn, ein weiteres Haus zu installieren?

Ich schätze die Arbeit des Bodmanhauses sehr. Aber es liegt, von St.Gallen aus, peripher. Für unser Einzugsgebiet fehlt ein solches Haus. Wir schauen natürlich, was andere Literaturhäuser machen, in Basel zum Beispiel – wenn wir soviel Urbanität wie dort hinkriegen, dann ist das grossartig.

Die Initiativgruppe argumentiert: «Eine Buchstadt braucht ein Literaturhaus.» Du kommst aus der Literaturstadt Solothurn – ist St.Gallen eine Buchstadt?

Der Verein, der das Label «Buchstadt» lanciert hat, hat nicht viel bewirkt. Solothurn hat die Literaturtage, das ist einmalig. Aber St.Gallen muss sich nicht verstecken. Es wird hier gelesen, es gibt initiative Veranstalter, es gibt die klösterliche Tradition, und es wird eine schöne grosse Bibliothek geben – aber das dauert noch, und die «Public Library» ist schon mit so vielen Ansprüchen befrachtet, dass sie nicht auch noch zum Literaturhaus werden kann. Man muss die Idee «Buchstadt» füllen.

Das neue kantonsübergreifende Projekt «Buch und Literatur Ost+» unterstützt Autorinnen und Autoren oder Verlage. Ist das nicht sinnvollere Förderung als ein neues Haus?

Menschen statt Häuser zu fördern: Dem würde ich grundsätzlich beipflichten. Es wäre falsch, Geld von anderswo abzuzweigen. Wir müssen andere Quellen finden. Aber ein Literaturhaus kann Dinge initiieren, es bringt Leute zusammen, ermöglicht Anregung, Auftritte, Publicity. Man könnte auch an eine Stadtschreiber-Stelle denken. Das Haus soll mit der Stadt zu tun haben.

Wann wird St.Gallen ein Literaturhaus haben?

Die Institution Literaturhaus startet im Juli dieses Jahres an der Davidstrasse 42. Träger ist weiterhin der Verein Wyborada. Das Haus…? Es steht wahrscheinlich schon, aber wir wissen noch nicht, welches es ist.

Eva Bachmann, 1968, ist Deutschdozentin, Literaturkritikerin und -veranstalterin.

Dieser Beitrag erschien im April-Heft.

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