Ein Raubtier auf der Anklagebank

Das Amt für Natur, Jagd und Fischerei (ANJF) des Kantons St.Gallen beobachtet die Wölfe auch mithilfe von Wildtierkameras. (Bild: ANJF)

In der Ostschweiz geht der Wolf um. Während die einen mehr Abschüsse fordern, reden die anderen von einem friedlichen Miteinander. Doch was ist möglich – und was nötig? Und geht es wirklich um die Schuld des Tiers?

Bei­na­he täg­lich wird über das pel­zi­ge Raub­tier, das sich einst durch Grimms Mär­chen frass und nun auch in der Ost­schweiz für Fu­ro­re sorgt, be­rich­tet. Der Wolf po­la­ri­siert: in je­der Beiz, auf je­dem Bau­ern­hof, in vie­len Wohn­zim­mern Schwei­zer Städ­te. Ihm wird die Schuld ge­ge­ben an den Ein­bus­sen der Bau­ern­fa­mi­li­en und stei­gen­dem (bü­ro­kra­ti­schem) Mehr­auf­wand.

Was aber wür­de der Wolf sa­gen, könn­te man ihn be­fra­gen? Könn­te man ihn in ei­nem fai­ren Pro­zess schul­dig spre­chen? Und: Wenn er nicht schul­dig wä­re, wie könn­te man die De­bat­te be­en­den und ein Ur­teil fäl­len?

In ei­nem fik­ti­ven Ge­richts­saal wür­de der Wolf ver­mut­lich trau­rig auf sei­nem Stuhl sit­zen und sich mit der Hin­ter­pfo­te am lin­ken Ohr krat­zen. Ei­ne Rich­te­rin wür­de ver­le­sen, was ihm vor­ge­wor­fen wird (Mord in meh­re­ren Fäl­len, Be­sit­zes-stö­rung und Haus­frie­dens­bruch), wäh­rend der Ge­richts­saal vor lau­ter Zu­schau­en­den aus al­len Näh­ten plat­zen wür­de. Ver­mut­lich wür­de das Ge­richt zu Be­ginn wis­sen wol­len, wes­halb der Wolf über­haupt in die Schweiz zu­rück­ge­kehrt sei, ob­wohl ihm die Schwei­zer Bür­ger:in­nen in der ers­ten Hälf­te des Jahr­hun­derts ver­deut­licht hat­ten, sich fern­zu­hal­ten. Und viel­leicht wür­de dann der Wolf in et­wa so ant­wor­ten: «Ich wan­de­re von ei­nem Ge­biet ins nächs­te, eu­er Kon­zept mit den Lan­des­gren­zen leuch­tet mir nicht ein. Und um Land­kar­ten mit mir her­um­zu­tra­gen, fehlt mir schlicht der Platz.»

Dann müss­te ihn die Rich­te­rin fra­gen, ob er zu den Vor­wür­fen Stel­lung neh­men wol­le – auch wenn er sich da­mit selbst be­las­ten könn­te. Wor­auf der Wolf, froh, end­lich mal die Chan­ce zu be­kom­men, ant­wor­ten wür­de: «Na­tür­lich, ich ha­be die Tie­re ge­ris­sen. Wes­halb? Ich hat­te Hun­ger. Wie vie­le es wa­ren? Ich ha­be nicht ge­zählt. Aber ich ha­be mich bloss den aus­ge­lie­fer­ten Tie­ren an­ge­nom­men – mei­ne Ta­ten sind da­her eher je­ne ei­nes Er­zie­hers, ei­nes Sa­ma­ri­ters, wenn Sie so wol­len. Wenn Tie­re un­ge­schützt rum­ste­hen, nut­ze ich die Ge­le­gen­heit. Dann sind sie auch leich­ter zu fas­sen als die Re­he im Wald – wo ich na­tür­lich das All-you-can-eat-An­ge­bot sehr zu schät­zen weiss. Nur Re­he zu fut­tern, ist zu­dem sehr ein­sei­tig, was die Nähr­stof­fe an­geht – ge­ra­de so kurz vor dem Win­ter. Im Zeit­al­ter von Pro­te­in-Pul­vern und Bud­dha-Bowls wer­den Sie das si­cher al­le ver­ste­hen.»

Die Rich­te­rin wür­de nach­ha­ken: «Sie ge­ste­hen al­so?» «Ja, nein», wür­de der Wolf ant­wor­ten: «Ich bin ein Raub­tier und tue das, was ein Raub­tier tut! Mich des­sen an­zu­kla­gen ist gleich­zu­set­zen mit der Ab­leh­nung mei­ner Exis­tenz – und für mei­nen Teil bin ich da­mit zu­frie­den und füh­le mich des­we­gen nicht schul­dig.» Ein be­rech­tig­ter Ein­wand des Tiers. Doch für ei­nen fai­ren Pro­zess wür­de die Rich­te­rin erst die Be­wei­se sich­ten und Zeug:in­nen zu Wort kom­men las­sen.

Ein po­ten­zi­ell ge­fähr­de­tes Tier auf der Ab­schuss­lis­te

In der Schweiz le­ben rund 320 Wöl­fe in et­wa 26 Ru­deln. Wei­te­re 13 Ru­del hal­ten sich in den Grenz­re­gio­nen auf, wer­den aber zum Schwei­zer Be­stand ge­zählt. Et­wa drei Ru­del le­ben im Kan­ton St.Gal­len: das Gam­ser­rugg-, das Ca­lan­da 2- und das Schilt-Ru­del. Aus­ser­dem wur­de kürz­lich die Exis­tenz ei­nes Wolfs­paars im Alp­stein­ge­biet be­stä­tigt und ein wei­te­res wur­de im März im Ge­biet Schai­es in Ap­pen­zell ver­mu­tet. Zur sel­ben Zeit be­ob­ach­te­te ei­ne Fa­mi­lie in Ness­lau drei Wöl­fe. Die be­sorg­te Bäue­rin und Mut­ter aus Ness­lau schrieb dar­auf­hin in der «Bau­ern­zei­tung» mit vie­len Aus­ru­fe­zei­chen dar­über, wie die Wöl­fe ein­fach so ge­müt­lich mit­ten durch das Wohn­ge­biet spa­ziert sei­en. Und frag­te: «Was muss denn noch al­les pas­sie­ren?»

Die nachfolgenden Bilder hat Daria Frick im Spätsommer auf einer Alp in St.Gallen fotografiert.

Für Men­schen be­stehe kein Grund zur Sor­ge, sagt Si­mon Mei­er, Ab­tei­lungs­lei­ter Jagd im Amt für Na­tur, Jagd und Fi­sche­rei des Kan­tons St.Gal­len (AN­JF). «Seit der Rück­kehr der Wöl­fe gab es in der Schweiz kei­ne An­grif­fe auf Men­schen, auch welt­weit sind sol­che Fäl­le sel­ten.» Das kan­to­na­le Wolfs­ma­nage­ment ba­siert der­weil auf drei Säu­len: In­for­ma­ti­on, Her­den­schutz und Re­gu­la­ti­on. Da­mit könn­ten vie­le Ris­se ver­hin­dert wer­den, sagt Mei­er. Zu­dem sei der Wolf auch für das Öko­sys­tem wich­tig. «Er hilft die Wild­huf­tie­re zu re­gu­lie­ren, so gibt es we­ni­ger Ver­biss an Jung­bäu­men und das hilft wie­der­um dem Wald.»

Beim WWF zeigt man sich er­freut über die Rück­kehr der Raub­tie­re: «Durch die Jagd auf Beu­te­tie­re trägt der Wolf zur Ge­sund­heit de­rer Be­stän­de bei», er­läu­tert Ga­bor von Beth­len­fal­vy. Er be­schäf­tigt sich beim WWF Schweiz mit dem Zu­sam­men­le­ben von Men­schen und Wöl­fen. Noch gilt hier­zu­lan­de der Wolf als po­ten­zi­ell ge­fähr­det. Ge­mäss WWF steigt der Be­stand zwar, aber um die­sen nach­hal­tig zu si­chern, müss­ten in der Schweiz 40 Wolfs­ru­del le­ben. Be­stand und Schutz des Raub­tiers sind in der so­ge­nann­ten Ber­ner Kon­ven­ti­on ge­re­gelt. Der völ­ker­recht­li­che Ver­trag von 1979 soll die Er­hal­tung der wil­den Tier- und Pflan­zen­ar­ten so­wie ih­rer Le­bens­räu­me in Eu­ro­pa und ei­ni­gen an­gren­zen­den Staa­ten si­cher­stel­len.

Al­ler­dings wur­de kürz­lich die Ver­ord­nung zum Schwei­zer Jagd­ge­setz, das sich nach der Ber­ner Kon­ven­ti­on rich­tet, re­vi­diert. Seit 1. Fe­bru­ar 2025 ist die neue Ver­ord­nung in Kraft: Neu ist dem­nach in der Schweiz ein Min­dest­be­stand von zwölf Ru­deln fest­ge­legt. Aus­ser­dem sind die Kri­te­ri­en für die Ab­schüs­se von Wöl­fen ge­lo­ckert und die Kan­to­ne stär­ker in die Ver­ant­wor­tung ge­nom­men wor­den. Heisst: Der Kan­ton kann re­ak­tiv re­gu­lie­ren, al­so ein­zeln le­ben­de Wöl­fe nach ei­nem un­er­wünsch­ten Ver­hal­ten oder bei der Ge­fähr­dung von Men­schen in Ei­gen­re­gie zum Ab­schuss frei­ge­ben. Da­mit sind auch prä­ven­ti­ve Ab­schüs­se ein­zel­ner Tie­re mög­lich. Wenn al­ler­dings gan­ze Ru­del er­legt wer­den sol­len – re­ak­tiv oder  prä­ven­tiv – sei nach wie vor die Ein­wil­li­gung des Bun­des nö­tig, er­läu­tert Si­mon Mei­er. Aus­ser­dem müs­sen für die Sub­ven­tio­nen im Her­den­schutz so­wie für die Ent­schä­di­gun­gen bei Nutz­tier­ris­sen neu ver­mehrt die Kan­to­ne auf­kom­men, die Gel­der vom Bund wur­den zu­rück­ge­schraubt, von 80 auf 50 Pro­zent der Kos­ten.

Die Re­vi­si­on wur­de von Tier­schutz­ver­ei­nen und dem WWF stark kri­ti­siert, der Min­dest­be­stand sei will­kür­lich fest­ge­legt und viel zu tief. Und: «Die neue Ver­ord­nung macht uns Sor­gen, ten­den­zi­ell kommt es zu mehr Ab­schüs­sen», sagt Ga­bor von Beth­len­fal­vy. Zu­mal die Ef­fek­ti­vi­tät der Ab­schüs­se nicht nach­ge­wie­sen sei: «Es ist ein Trug­schluss, dass mehr Ab­schüs­se zu we­ni­ger Nutz­tier­ris­sen füh­ren.»

Drei Tie­re im Jahr pro Wolfs­ma­gen

Übers ge­sam­te Jahr fal­len in der Schweiz et­wa 1000 Nutz­tie­re dem Wolf zum Op­fer. So die Zah­len von KO­RA, ei­ner von den Kan­to­nen ge­tra­ge­nen Schwei­zer Stif­tung, die im Auf­trag von Bund und Kan­to­nen Wild­tie­re wie den Wolf er­forscht und über­wacht. Das ent­spricht et­wa drei Scha­fen oder Zie­gen pro Wolf und Jahr. Im Kan­ton St.Gal­len kam es in die­sem Jahr bis Re­dak­ti­ons­schluss die­ser Aus­ga­be zu 24 ge­mel­de­ten und ver­gü­te­ten Nutz­tier­ris­sen und 17 er­fass­ten Wild­tier­ris­sen. Auch in den bei­den Ap­pen­zell ist das Tier prä­sent, in Aus­ser­rho­den kam es 2024 zu meh­re­ren Ris­sen.

Der Scha­den, der durch die Ris­se ent­steht, ist schwer zu be­zif­fern. Vie­le Bau­ern­fa­mi­li­en «emp­fin­den ein Ge­fühl der Ohn­macht», schreibt der St.Gal­ler Bau­ern­ver­band auf An­fra­ge. «Zu­neh­men­de Sich­tun­gen und Ris­se von Nutz­tie­ren sor­gen für Ver­un­si­che­rung und be­schäf­ti­gen die Land­wirt­schaft so­wohl emo­tio­nal als auch be­trieb­lich.»

Kon­se­quen­ter Her­den­schutz führt laut ei­ner Stu­die der Hoch­schu­le für Agrar-, Forst- und Le­bens­mit­tel­wis­sen­schaf­ten (HAFL) aus dem Jahr 2018 zu ei­nem Mehr­auf­wand von rund 9000 Fran­ken jähr­lich pro Alp – oh­ne den Mehr­auf­wand, der durch Bund und Kan­to­ne ent­schä­digt wird (wei­te­re 9000 Fran­ken). Ga­bor von Beth­len­fal­vy vom WWF kann an­ge­sichts die­ser Zah­len die Un­zu­frie­den­heit der Bau­ern ver­ste­hen, doch im Kon­text sei­en die Ent­wick­lun­gen po­si­tiv zu deu­ten: «Der Be­stand der Scha­fe und Zie­gen ist seit Jah­ren sta­bil, der Her­den­schutz wird ver­bes­sert und die Nutz­tier­ris­se neh­men kon­ti­nu­ier­lich ab. Die­ser Trend hat be­reits vor den prä­ven­ti­ven Ab­schüs­sen ein­ge­setzt.» Das be­stä­ti­gen so­wohl Da­ten der Stif­tung KO­RA als auch je­ne der Grup­pe Wolf Schweiz, die sich für das Zu­sam­men­le­ben mit ein­hei­mi­schen Raub­tie­ren ein­setzt: Dort spricht man von ei­ner Zu­nah­me der An­zahl Wöl­fe und ei­nem Rück­gang der Ris­se – de­ren An­zahl sank zwi­schen 2022 und 2023 um rund 25 Pro­zent. Ge­mäss ei­nem im Ju­ni ver­öf­fent­lich­ten Be­richt von KO­RA ha­be sich der Rück­gang 2024 be­stä­tigt und dürf­te «ge­mäss den bis­he­ri­gen Da­ten auch 2025 an­hal­ten».

Folg­lich zen­tral, um Ris­se zu ver­hin­dern – und da sind sich Tier­schutz- und Um­welt­schutz-Or­ga­ni­sa­tio­nen so­wie das AN­JF ei­nig –, ist der Her­den­schutz. Ge­gen­tei­li­ge Be­haup­tun­gen von Land­wirt:in­nen sei­en oft auf ma­ro­de oder falsch auf­ge­stell­te Zäu­ne zu­rück­zu­füh­ren so­wie auf das (noch) feh­len­de Um­den­ken, das die Rück­kehr der Wöl­fe er­for­de­re, sagt Chris­ti­na Stei­ner, Prä­si­den­tin von CH­WOLF, ei­nem Ver­ein, der sich für den Schutz des Raub­tiers ein­setzt. «Wäh­rend über 100 Jah­ren muss­ten sich die Land­wirt:in­nen nicht um Zäu­ne küm­mern. Das ist jetzt na­tür­lich ein Auf­wand, sie müs­sen ih­re Ge­wohn­hei­ten än­dern und Geld in­ves­tie­ren.» Ein Blick auf die Zah­len in Ap­pen­zell Aus­ser­rho­den zeigt, dass Her­den­schutz tat­säch­lich ei­nen Un­ter­schied macht: So wa­ren 2024 nur drei der ge­mel­de­ten 16 ge­ris­se­nen Nutz­tie­re durch Her­den­schutz­mass­nah­men ge­schützt. Al­ler­dings er­weist sich der Her­den­schutz mit Zäu­nen im Al­pen­raum auf­grund der To­po­gra­fie oft als auf­wän­dig.

«Im Herbst er­klä­ren sie uns, was wir falsch ge­macht ha­ben»

Ma­thi­as Rüesch ist Schaf­züch­ter aus St.Mar­grethen. Sei­ne rund 100 Scha­fe söm­mern seit Jah­ren zu­sam­men mit et­wa 400 Art­ge­nos­sen auf der­sel­ben Alp im En­ga­din, von Ju­ni bis Sep­tem­ber. Im Kan­ton Grau­bün­den gibt es nach­weis­lich mehr Wöl­fe und auch mehr Ris­se als im Kan­ton St.Gal­len oder den bei­den Ap­pen­zell. Die­sen Som­mer hat Rüesch meh­re­re Tie­re an ei­nen Wolf ver­lo­ren (und an ei­nen Bä­ren). «Wenn ich mei­ne Tie­re bru­tal zu­ge­rich­tet zwi­schen den Fel­sen fin­de – falls ich sie über­haupt noch fin­de –, dann ist das nicht nur ein fi­nan­zi­el­ler Ver­lust, son­dern auch ein enorm emo­tio­na­ler.» Rüesch hat we­nig Ver­ständ­nis für die Na­tur- und Tier­schutz­ver­ei­ne, die «Schreib­tisch­tä­ter», die den Wolf ver­harm­lo­sen und sich «oh­ne zu re­flek­tie­ren» über sei­ne Aus­brei­tung freu­en. «Wäh­rend des Som­mers hört man nichts von den Ver­tre­ter:in­nen die­ser Or­ga­ni­sa­tio­nen – und im Herbst, wenn die Al­pen leer sind, kom­men sie und er­klä­ren uns, was wir al­les falsch ge­macht ha­ben, oh­ne sich ein Bild vor Ort ge­macht zu ha­ben.» Und das Bild kann grau­sam sein, wer­den die Tie­re doch nicht sel­ten zu To­de ge­hetzt oder ster­ben qual­voll an Ver­let­zun­gen – für Rüesch un­er­träg­li­che Si­tua­tio­nen.

Land­wirt:in­nen wer­den für ge­ris­se­ne Tie­re nur dann ent­schä­digt, wenn sie für aus­rei­chend Her­den­schutz ge­sorgt ha­ben. Und auch die­ser wird nur vom Kan­ton ge­för­dert, wenn im Vor­feld ein auf die Alp zu­ge­schnit­te­nes Her­den­schutz­kon­zept ein­ge­reicht wur­de. Bei Ris­sen wird der Scha­den vom Wild­hü­ter und der Fach­stel­le für Her­den­schutz be­gut­ach­tet und ge­prüft, ob das ein­ge­reich­te Her­den­schutz­kon­zept be­leg­bar um­ge­setzt wor­den ist. Der Bund kom­pen­siert dann die ge­ris­se­nen Tie­re zu 80 Pro­zent, für den Rest kom­men die Kan­to­ne auf. Für Tie­re, die vom Wolf ge­ris­sen wur­den, aber nicht mehr auf­find­bar sind, be­kom­men die Land­wirt:in­nen der­weil kei­ne Ent­schä­di­gung. Das kommt laut Rüesch häu­fig vor.

Mit der neu­en Ver­ord­nung wer­den so­wohl die Her­den­schutz­kon­zep­te und de­ren Kon­trol­len als auch die Ent­schä­di­gun­gen der Land­wirt:in­nen bei ei­nem Ver­lust so­wie prä­ven­ti­ve Ab­schüs­se vom Kan­ton selbst ver­ant­wor­tet. Chris­ti­na Stei­ner sieht die Tat­sa­che, dass die­se Auf­ga­ben nun un­ter dem­sel­ben Dach er­le­digt wer­den, skep­tisch: «Da­mit fehlt ei­ne neu­tra­le In­stanz.»

Wett­rüs­ten mit dem Wolf

Her­den­schutz kann heis­sen: Hun­de, Zäu­ne, Be­man­nung. Auf der Alp, auf der Ma­thi­as Rüesch sei­ne Tie­re hielt – in­zwi­schen sind sie zu­rück im Tal –, hat­te der Alp­meis­ter für al­le drei Stu­fen ge­sorgt. Sei­ne Mü­hen wa­ren den­noch ver­geb­lich. Der Wolf ha­be ge­lernt, sagt Rüesch. Nach we­ni­gen Wo­chen, in de­nen er die Her­de be­ob­ach­tet hat­te, ha­be es der Wolf ge­schafft, an den Hun­den, dem Hir­ten und dem Zaun vor­bei­zu­schlei­chen und sei­ne Beu­te zu reis­sen. «Her­den­schutz ist im­mer ein Wett­rüs­ten mit dem Wolf.»

Dass der Wolf lernt, strei­ten we­der der WWF noch CH­WOLF ab. Ab­schüs­se sei­en je­doch un­ge­eig­net, um an­de­re Wöl­fe ab­zu­schre­cken und von be­stimm­ten Ge­bie­ten fern­zu­hal­ten, sagt Chris­ti­na Stei­ner. Trotz­dem wur­den An­fang Sep­tem­ber zwei Jung­wöl­fe, al­so zwei Drit­tel des St.Gal­ler Schilt-Ru­dels, zum Ab­schuss frei­ge­ge­ben – auch da­mit «die ver­blei­ben­den Wöl­fe ler­nen, dass der Mensch ei­ne Ge­fahr für sie be­deu­tet», heisst es in ei­ner Me­di­en­mit­tei­lung des Kan­tons.

In St.Gal­len hat es die­sen Som­mer we­ni­ger Ris­se ge­ge­ben als im Vor­jahr. Da­mals wa­ren es laut Kan­ton rund 100, al­ler­dings wur­den sämt­li­che ge­mel­de­ten Nutz­tie­re ent­schä­digt und es wur­de viel we­ni­ger Her­den­schutz be­trie­ben. Das be­stä­tigt der St.Gal­ler Her­den­schutz­be­auf­trag­te Sven Baum­gart­ner. Er ist zur Stel­le, wenn ein Tier ge­ris­sen wird, un­ter­stützt die Land­wirt:in­nen aber auch beim Er­stel­len der Un­ter­la­gen, Pla­nen der Mass­nah­men und bei der «Be­schaf­fung der Fi­nanz­bei­trä­ge» (heisst es auf der Web­site des Kan­tons). «Aber wenn der Wolf kommt und über den Zaun springt, dann nützt al­les nichts. Das ist zer­mür­bend.» Baum­gart­ner, auch Prä­si­dent des St.Gal­ler Ver­eins Zie­gen­freun­de, kann den Un­mut der Land­wirt:in­nen ver­ste­hen, denn der Auf­wand für den Her­den­schutz sei gross und die Ku­lanz bei Ris­sen nied­rig. «Das Ein­schla­gen der Zäu­ne, das Be­treu­en der Hun­de und das kon­stan­te Be­wa­chen der Her­de sind ein enor­mer Mehr­auf­wand, da­für fehlt das Per­so­nal. Vor dem Auf­tau­chen des Wolfs reich­te ei­ne Per­son aus, heu­te braucht es si­cher zwei, da­für sind we­der die Al­pen noch die Be­trie­be aus­ge­rüs­tet.»

Auch Land­wirt und Schaf­züch­ter Bru­no Zäh­ner, des­sen 1200 Scha­fe und 150 Zie­gen ver­teilt auf drei Her­den auf ei­ner St.Gal­ler Alp söm­mern, be­schäf­tigt mitt­ler­wei­le meh­re­re Hir­ten und kämpft so mit der feh­len­den In­fra­struk­tur auf der Alp. Denn die Be­hau­sun­gen sind meist auf le­dig­lich ei­ne oder zwei Per­so­nen aus­ge­rich­tet. Da­ne­ben schützt er sei­ne Tie­re mit elek­tri­schen Zäu­nen und ins­ge­samt neun Hun­den. Er ist über­zeugt, dass Her­den­schutz zwar im­mens auf­wän­dig sei, aber funk­tio­nie­re. Zäh­ner hat es sich zum Ziel ge­setzt, den Wolf zu ver­ste­hen, zu ler­nen, wie die­ser funk­tio­niert. Da­mit kann er lau­fend sei­ne Her­den­schutz­mass­nah­men an­pas­sen: «Es ist wie im Mi­li­tär: Man muss sei­nen Feind ken­nen. Mit mei­nem Team ver­su­che ich, dem Wolf im­mer ei­nen Schritt vor­aus zu sein.» Zäh­ner hat ein ei­ge­nes Ka­me­ra­sys­tem auf­ge­stellt, weiss, dass er und sei­ne Trup­pe sich die Alp mit min­des­tens ei­nem Wolf tei­len. Doch sei­ne Stra­te­gie scheint auf­zu­ge­hen, in 13 Jah­ren kam es bloss zu zwei Ris­sen. «Na­tür­lich könn­te ich dem Wolf die Schuld da­für ge­ben, letzt­end­lich ha­be ich aber bei bei­den Ris­sen Feh­ler ge­macht.» Wenn der Wolf es schaf­fe, ein Tier zu reis­sen, dann weil die Her­den­schutz­mass­nah­men un­ge­nü­gend sei­en. «Klar, springt der Wolf ge­gen oder über ei­nen Zaun, wenn die­ser nicht ge­la­den ist. Wenn er sich weh­tut, lässt er es sein.»

Re­strik­ti­ves Wolfs­ma­nage­ment

Wenn der Wolf ein Nutz­tier reisst, geht es ge­mäss den Bau­ern­ver­bän­den oft um fi­nan­zi­el­le Ver­lus­te und da­mit um Exis­ten­zen. Zahl­rei­che Land­wirt:in­nen, der St.Gal­ler Bau­ern­ver­band und ei­ni­ge (bür­ger­li­che) Po­li­ti­ker:in­nen der Re­gi­on for­dern da­her noch mehr «Re­gu­la­ti­on» im Wolfs­ma­nage­ment und «re­strik­ti­ve Be­din­gun­gen».

Die Tie­re, die Ma­thi­as Rüesch zu­letzt an den Wolf ver­lor, wa­ren wich­ti­ge Zucht­tie­re und da­mit Teil ei­ner im­mer sel­te­ner wer­den­den, ein­hei­mi­schen Ge­ne­tik, er­klärt der Schaf­züch­ter. Er plä­diert für ein ge­ziel­tes Be­stands­ma­nage­ment: «Bei an­de­ren Wild­tier­ar­ten wur­de die An­zahl der Tie­re auf den Le­bens­raum und die Ge­ge­ben­hei­ten an­ge­passt.» Das ak­tu­el­le Re­gle­ment be­züg­lich der Wöl­fe sei sehr an­spruchs­voll in der Um­set­zung: von der Be­weis­pflicht im Her­den­schutz bis zur Tat­sa­che, dass die Wöl­fe oft be­reits über al­le Ber­ge sei­en, bis de­ren DNS be­stä­tigt sei, und man sie re­gu­lie­ren könn­te, er­klärt Rüesch. «Es geht mir nicht um Re­strik­tio­nen, son­dern um die Pra­xis­taug­lich­keit im Vor­ge­hen. Der Wolf muss wie­der ler­nen, scheu zu blei­ben und sich fern­zu­hal­ten von den Nutz­tie­ren und vom Men­schen.»

Die For­de­rung nach ei­ner Re­gu­lie­rung des Be­stands hält der Land­wirt und Schaf­züch­ter Bru­no Zäh­ner für ris­kant: «Na­tür­lich ist es wich­tig, dass ein Wolf, der wie­der­holt Tie­re reisst und al­le Mass­nah­men um­geht, un­bü­ro­kra­tisch er­legt wer­den kann. Aber es ist zen­tra­ler, dass die Land­wir­te beim Her­den­schutz an­ge­mes­sen un­ter­stützt wer­den – lie­ber 500 Wöl­fe, vor de­nen wir uns mit aus­rei­chend Her­den­schutz si­chern kön­nen, als fünf, de­nen wir aus­ge­lie­fert sind.» Hand­lungs­be­darf sieht Zäh­ner vor al­lem auch in der Ge­sell­schaft: «Her­den­schutz be­ginnt zwi­schen den Oh­ren.» Denn im Win­ter le­ben die gros­sen und manch­mal lau­ten Her­den­schutz­hun­de un­ten im Tal und wer­den von den Nach­bar:in­nen nicht ak­zep­tiert, ob­schon es die­sel­ben Per­so­nen sind, die sich für den Wolf ein­set­zen, er­zählt Zäh­ner. Auch der Her­den­schutz­be­auf­trag­te Sven Baum­gart­ner fin­det, dass im Tal da­hin­ge­hend die Kon­se­quenz oft fehlt: «Wer Ja zum Wolf sagt, muss auch Ja zum Her­den­schutz sa­gen.» Heisst: Wer sich über den Wolf freut, muss sich auch mit bel­len­den Her­den­schutz­hun­den – im Tal oder in Wan­der­ge­bie­ten – ab­fin­den.

Aber, Gross­mutter, was hast du für ein ent­setz­lich gros­ses Maul!?

Auch Ga­bor von Beth­len­fal­vy vom WWF und Chris­ti­na Stei­ner vom Ver­ein CH­WOLF sind über­zeugt, es brau­che ein Um­den­ken. Schon heu­te wer­de der Wolf po­si­ti­ver be­trach­tet als noch vor 100 Jah­ren, un­ter an­de­rem auch weil sich die heu­ti­ge Ge­sell­schaft ver­mehrt mit öko­lo­gi­schen Fra­gen und Zu­sam­men­hän­gen aus­ein­an­der­set­ze, so von Beth­len­fal­vy. Der ETH-Wis­sen­schaft­ler und Wolf-Ex­per­te Ni­ko­laus Hein­zer hat in sei­ner Dok­tor­ar­beit die kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Be­deu­tung des Raub­tie­res un­ter­sucht. Ge­mäss Hein­zer steht der Wolf ei­ner­seits für mensch­li­che Ängs­te und Ab­grün­de und an­de­rer­seits für des­sen Sehn­süch­te.

Dies lässt sich viel­leicht mit ei­nem Blick in die Mär­chen und Sa­gen er­klä­ren, in de­nen der Wolf im­mer wie­der ei­ne wich­ti­ge Rol­le spielt. Man neh­me Rot­käpp­chen oder Der Wolf und die sie­ben Geiss­lein. Hier ver­schafft sich ein als Mensch (oder als Geiss­lein­mut­ter) ver­klei­de­ter Wolf Zu­gang zu Häu­sern – The­ma: Miss­trau­en, frem­de Ein­dring­lin­ge. Der Wolf ver­stellt sich, tut so, als wä­re er ein Freund oder ei­ne Be­kann­te, schleicht sich ein und ver­schlingt klei­ne, un­schul­di­ge (Tier-)Kin­der. Er ist bö­se. Auch in der Welt der Fa­beln und in grie­chi­schen Sa­gen fällt der Wolf auf: ge­fähr­lich und nim­mer­satt.

Hein­zer zi­tiert in sei­ner Stu­die ei­ne wei­te­re Pu­bli­zis­tin, Pe­tra Ah­ne, die er­klärt, dass die ge­sell­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Deu­tung des Wol­fes einst durch Krie­ge ver­stärkt wor­den sei. So mach­ten sich wäh­rend des Dreis­sig­jäh­ri­gen Krie­ges im­mer wie­der Wöl­fe an den mensch­li­chen Ka­da­vern zu schaf­fen. Al­ler­dings ha­be sich das Bild des Wol­fes im Lau­fe der Zeit ge­än­dert, schreibt Hein­zer. Heu­te ste­he der Wolf auch für ei­ne spi­ri­tu­el­le Ver­bin­dung des Men­schen zur Na­tur, für Wild­nis und Sehn­sucht. Man könn­te sa­gen, er sei po­si­ti­ver kon­no­tiert als frü­her. Ob sich das Bild vom Wolf in der Ge­sell­schaft wei­ter­hin po­si­tiv ent­wi­ckelt oder ob der Ge­dulds­fa­den der Land­wirt:in­nen nicht eher reisst, ist frag­lich.

Der Wolf als Mit­tel zum Zweck – und Sün­den­bock

Of­fen­sicht­lich ist die Emo­tio­na­li­tät der De­bat­te. Ei­ne De­bat­te, an der längst nicht mehr nur Land­wirt:in­nen und Tier­schutz­ver­ei­ne teil­neh­men, son­dern auch die Be­völ­ke­rung, Um­welt­schutz­ver­ei­ne, Jä­ger:in­nen, Förs­ter:in­nen, Ver­bän­de, Äm­ter und Par­tei­en. Es scheint, als wür­den ent­lang der Dis­kus­si­on um das pel­zi­ge Raub­tier ganz an­de­re, ideo­lo­gisch auf­ge­la­de­ne The­men se­ziert. Der Wolf ist Mit­tel zum Zweck. Ni­ko­laus Hein­zer stellt in sei­ner Ar­beit fest: «Die ho­he Emo­tio­na­li­tät der De­bat­ten le­se ich als Hin­weis dar­auf, dass im Rah­men der Aus­ein­an­der­set­zun­gen über Wöl­fe tie­fer­lie­gen­de ge­sell­schaft­li­che Kon­flik­te ver­han­delt wer­den.»

Zwar wird in di­ver­sen Ar­ti­keln und Be­rich­ten der Wolf  für al­les Leid auf der Alp ver­ant­wort­lich ge­macht, in­klu­si­ve Lun­gen­ent­zün­dun­gen bei Scha­fen, doch geht es längst nicht mehr um das Tier. Heu­te steht die Wolfs­de­bat­te viel­mehr für den Zwist zwi­schen Stadt und Land, zwi­schen de­nen, die «an­pa­cken», und den «Schreib­tisch­tä­ter:in­nen». Es geht um Tra­di­tio­nen, Kul­tur­gü­ter und Iden­ti­tät, be­son­ders in der Ost­schweiz, wo der Alp­auf­zug im­ma­te­ri­el­les Kul­tur­er­be ist. Es geht um Na­tur, Nutz­flä­chen und Wirt­schaft. Und da­mit um Pro­fit. Dar­um, wer land­wirt­schaft­li­che Flä­chen wie nut­zen darf. So schreibt der Bau­ern­ver­band des Kan­tons St.Gal­len: «Der Schutz der Nutz­tie­re und die Si­che­rung der tra­di­tio­nel­len Alp- und Wei­de­wirt­schaft müs­sen im Zen­trum ste­hen.» Die Aus­sa­ge steht der Ideo­lo­gie des Wolf­schutz­ver­eins CH­WOLF dia­me­tral ent­ge­gen: «Wir soll­ten wie­der ler­nen, den Wolf als Teil der na­tür­li­chen Um­welt zu ak­zep­tie­ren, und ihm sei­nen ur­sprüng­li­chen Le­bens­raum zu­ge­ste­hen.»

Was wä­re, wenn man die Flä­chen auf­tei­len wür­de? Viel­leicht könn­ten für die Nutz­tie­re wo­an­ders ähn­lich nähr­stoff­rei­che Wie­sen ge­schaf­fen wer­den wie auf der Alp – da­mit man ein­zel­ne Ge­bie­te den Wöl­fen über­las­sen könn­te, na­tür­lich re­gu­liert. Schaf­züch­ter Ma­thi­as Rüesch fin­det, das kä­me ei­ner fak­ti­schen Ent­eig­nung gleich, und hält den Vor­schlag für nicht zu En­de ge­dacht: Wöl­fe folg­ten ih­rer Beu­te und ih­ren In­stink­ten, sie sei­en Op­por­tu­nis­ten bei der Nah­rungs­su­che.

Mit der neu­en Ver­ord­nung geht man zwar auf die Ru­fe nach mehr Re­gu­la­ti­on ein, doch viel­leicht müss­te man an­stel­le der Jagd­ver­ord­nung die Bei­trä­ge an die Land­wirt:in­nen im Be­reich Her­den­schutz aus­bau­en. Wäh­rend bei­spiels­wei­se der Ver­ein CH­WOLF oder auch Land­wir­te wie Bru­no Zäh­ner sol­che Vor­stös­se be­grüs­sen wür­den, hält dies der St.Gal­ler Bau­ern­ver­band nicht für ziel­füh­rend. Der Her­den­schutz brin­ge «Un­ru­he in den Al­pen­raum» und sei sehr zeit­auf­wän­dig – Zeit, für die auch das Per­so­nal feh­le, be­son­ders bei schlech­tem Wet­ter. Län­ger­fris­tig hel­fe nur die Re­gu­la­ti­on des Wolfs­be­stan­des auf ein «er­träg­li­ches Mass».

Nicht min­der düs­ter sieht es für das Tier eu­ro­pa­weit aus. Kaum re­gie­ren in Deutsch­land CDU und CSU wie­der mit, steht im Ko­ali­ti­ons­ver­trag ne­ben dem Auf­trag, die Ost- und die Nord­see zur Schutz­zo­ne zu er­klä­ren, dass eben­so der Bay­ri­sche Al­pen­raum ge­schützt wer­den müs­se. Da­für soll der Schutz­sta­tus des Wol­fes ab­ge­stuft und das Jagd­ge­setz ge­lo­ckert wer­den. Ob der Bay­ri­sche Al­pen­raum per se ge­nau­so viel zur Bio­di­ver­si­tät bei­trägt und eben­so vom Kli­ma­wan­del be­droht wird wie die Mee­re, dar­über lässt sich ver­mut­lich strei­ten, an­sons­ten ha­ben die bei­den wohl nicht viel ge­mein. Aber eben: Es geht um mehr.

(K)Ein Ur­teil im Sach­ver­halt Wolf

Da­mit wä­re die Be­weis­auf­nah­me ab­ge­schlos­sen. Der An­ge­klag­te wür­de wohl eher mü­de auf sei­ne von der Bank bau­meln­den Pfo­ten star­ren. Vie­le wü­ten­de und ei­ni­ge be­sorg­te Ge­sich­ter wür­den in sei­ne Rich­tung bli­cken. Er wür­de kein Schluss­wort mehr jau­len mö­gen. Und doch, nach all den ge­hör­ten Zeug:in­nen und ge­sich­te­ten Be­wei­sen, blie­be der Rich­te­rin nur ei­ne lo­gi­sche Mög­lich­keit zu ur­tei­len: un­schul­dig. Denn als Raub­tier hat der Wolf kei­ne an­de­re Wahl, als sei­nen aku­ten Be­dürf­nis­sen nach­zu­ge­hen. Der Mensch hin­ge­gen hat ei­ne. Er kann pla­nen und sich schüt­zen, or­ga­ni­sie­ren und ent­schei­den. Er be­sitzt die Ma­gie, mit Geld Din­ge mög­lich zu ma­chen. Er könn­te über das In­stru­ment Po­li­tik die Na­tur schüt­zen und gleich­zei­tig die Agrar­wirt­schaft för­dern. Doch das ist ein an­de­res Ver­fah­ren, das mit dem Raub­tier nichts zu tun hat, und ein Ur­teil, das wohl wei­ter­hin hän­gig ist.

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