Eine Chance für den Frauenfussball – wenn man sie nutzt

Ab heute bis 27. Juli findet die Fussball-Europameisterschaft der Frauen in der Schweiz statt. Die Euphorie ist gross, die Erwartungen sind hoch. Doch wie nachhaltig ist dieses Turnier wirklich für den hiesigen Frauenfussball?

Impressionen vom Länderspiel gegen Österreich in Schaffhausen am 8. November 1970 aus einer Reportage der Fotoagentur Actualités Suisses Lausanne. 

Zum ers­ten Mal rich­tet die Schweiz ei­nen Gross­an­lass im Frau­en­fuss­ball aus – ein Er­eig­nis mit gros­ser Strahl­kraft: Die EM ist der gröss­te frau­en­sport­spe­zi­fi­sche Event in Eu­ro­pa. Die 31 Spie­le wer­den in 190 Län­dern über­tra­gen, ei­ne hal­be Mil­li­ar­de Men­schen wer­den sie im TV mit­ver­fol­gen, und meh­re­re hun­dert­tau­send Fans wer­den in die Sta­di­en strö­men. Bei Re­dak­ti­ons­schluss wa­ren für we­ni­ge Spie­le noch Ti­ckets er­hält­lich.

Ent­spre­chend hoch sind die Er­war­tun­gen, dass die in­ten­si­ve Prä­senz in der Öf­fent­lich­keit und in den Me­di­en dem Frau­en­fuss­ball in der Schweiz ei­nen Schub ver­leiht. Es heisst, dass ein sol­cher Gross­an­lass die Ent­wick­lung um bis zu zehn Jah­re be­schleu­ni­gen kön­ne. Das zeig­te sich vor drei Jah­ren bei der Eu­ro­pa­meis­ter­schaft in Eng­land, die auf der oh­ne­hin fuss­ball­ver­rück­ten In­sel ei­nen re­gel­rech­ten Boom aus­lös­te.

Al­ler­dings wur­de der Frau­en­fuss­ball in an­de­ren Län­dern weit­aus stär­ker ge­för­dert als in der Schweiz. Wel­chen Stel­len­wert er hier­zu­lan­de hat, zeig­te sich bei­spiel­haft dar­an, dass der Bun­des­rat An­fang 2024 we­gen der an­ge­spann­ten Fi­nanz­la­ge die Gel­der für die EM von 15 Mil­lio­nen Fran­ken auf vier Mil­lio­nen kürz­te – und die­se vier Mil­lio­nen soll­te das Bun­des­amt für Sport wo­an­ders ein­spa­ren. Das Par­la­ment mach­te die­se Kür­zung En­de 2024 wie­der rück­gän­gig. Zum Ver­gleich: Die Män­ner EM 2008 in der Schweiz und Ös­ter­reich liess sich der Bund da­mals 82 Mil­lio­nen kos­ten.

Dass die kurz­fris­tig ge­stei­ger­te Auf­merk­sam­keit al­lein je­doch nicht reicht, zeigt sich selbst in Eng­land. Die dor­ti­ge Wo­men’s Su­per Le­ague ver­zeich­ne­te in der Sai­son 2024/25 ei­nen Zu­schau­er:in­nen­rück­gang von fast zehn Pro­zent, der auch die Top­clubs traf. Das hat ver­schie­de­ne Grün­de. Die BBC führt un­ter an­de­rem den Weg­fall von Gross­tur­nie­ren (und Er­fol­gen) im ver­gan­ge­nen Jahr an – nach dem Sieg an der Heim EM 2022 und dem WM-Fi­nal 2023 qua­li­fi­zier­ten sich die Li­o­nes­ses nicht für die Olym­pi­schen Spie­le 2024.

Was braucht es al­so, da­mit der Frau­en­fuss­ball in der Schweiz nach­hal­tig von die­ser EM pro­fi­tie­ren kann und das öf­fent­li­che In­ter­es­se nicht mit dem Schluss­pfiff des Fi­nals wie­der zu­sam­men­bricht?

Ver­dopp­lung in al­len Be­rei­chen

Der Schwei­ze­ri­sche Fuss­ball­ver­band (SFV) hat das so­ge­nann­te Le­ga­cy-Ent­wick­lungs­pro­gramm «He­re to stay» (here­tostay.ch) lan­ciert. Es star­te­te im Früh­jahr 2024, läuft bis En­de 2027 und um­fasst über 20 Pro­jek­te und Mass­nah­men, die ge­mein­sam mit den Re­gio­nal­ver­bän­den und letzt­lich auch mit den Fuss­ball­clubs um­ge­setzt wer­den. Auch die Aus­tra­gungs­städ­te ha­ben ei­ge­ne Le­ga­cy-Pro­gram­me. Die­se sol­len den Mäd­chen- und Frau­en­fuss­ball in den Be­rei­chen Brei­ten und Eli­te­s­port so­wie «ge­sell­schaft­li­cher Ein­fluss» nach­hal­tig stär­ken. Die UEFA ver­pflich­tet die je­wei­li­gen Gast­ge­ber­län­der da­zu. Der SFV muss die Wir­kung der Mass­nah­men an­schlies­send eva­lu­ie­ren so­wie die UEFA und den Bund als wich­tigs­ten Geld­ge­ber in­for­mie­ren.

Das Recht zu kicken – Die Geschichte des Schweizer Frauenfussballs

Dass die Schweiz be­tref­fend die po­li­ti­schen Rech­te der Frau­en nicht ge­ra­de das fort­schritt­lichs­te Land war und auch heu­te in Gleich­stel­lungs­fra­gen hin­ter­her­hinkt, ist hin­läng­lich be­kannt. Es ist aber noch nicht all­zu lan­ge her, dass für Frau­en auch ein fak­ti­sches Fuss­ball­ver­bot herrsch­te: Made­lei­ne Boll er­hielt 1965 im Al­ter von zwölf Jah­ren nur des­halb ei­ne Li­zenz, weil man sie für ei­nen Bu­ben hielt – und kaum hat­te der Ver­band den Feh­ler be­merkt, ent­zog er ihr die­se wie­der. 

Das ist nur ei­ne der Ge­schich­ten, die Sport­his­to­ri­ke­rin Ma­ri­an­ne Mei­er und Ge­schlech­ter­for­sche­rin Mo­ni­ka Hof­mann in ih­rem Buch Das Recht zu ki­cken – Die Ge­schich­te des Schwei­zer Frau­en­fuss­balls er­zäh­len. In die­sem in­ter­es­san­ten und flüs­sig ge­schrie­be­nen Werk zeich­nen sie auf über 300 Sei­ten die Ent­wick­lung des Frau­en­fuss­balls von den 1920er-Jah­ren bis heu­te nach – ein um­fas­sen­der Zeit­raum, der bis­lang kaum zu­sam­men­hän­gend do­ku­men­tiert wur­de. Por­träts von und In­ter­views mit Pio­nie­rin­nen wie Ca­thy Mo­ser oder der Tog­gen­bur­ge­rin Mar­grit Näf, die dem Sport trotz ge­sell­schaft­li­cher Wi­der­stän­de ih­ren Stem­pel auf­ge­drückt ha­ben, so­wie ak­tu­el­len Spie­le­rin­nen und Funk­tio­nä­rin­nen sind ei­ne Be­rei­che­rung. Ei­ne schö­ne Er­gän­zung zum Buch ist der Pod­cast «Fuss­ball­pio­nie­rin­nen», in dem ei­ni­ge der Be­frag­ten zu Wort kom­men.

Mei­er und Hof­mann ge­ben mit Das Recht zu ki­cken ei­nen um­fas­sen­den Über­blick, der von recht­li­chen Aspek­ten über den in­ter­na­tio­na­len Kon­text bis zu Mar­ke­ting und Me­di­en reicht. Zu­dem schafft das Buch Be­wusst­sein für die sys­te­mi­schen Her­aus­for­de­run­gen, mit de­nen der Frau­en­fuss­ball trotz stei­gen­der Me­dia­li­sie­rung noch im­mer kämpft. (dag)
 

Ma­ri­an­ne Mei­er und Mo­ni­ka Hof­mann: Das Recht zu ki­cken – Die Ge­schich­te des Schwei­zer Frau­en­fuss­balls. Hier und Jetzt, Zü­rich 2025.

Po­di­ums­dis­kus­si­on mit den Au­torin­nen so­wie mit Mar­grit Näf und Bea­tri­ce Su­ter: 9. Ju­li, 12 Uhr, Fan­zo­ne Markt­gas­se, St.Gal­len.

Im Brei­ten­sport sei das wich­tigs­te Ziel, die Zahl der li­zen­zier­ten Spie­le­rin­nen (heu­te rund 40’000; Spie­ler: 300’000) so­wie der Trai­ne­rin­nen, Schieds­rich­te­rin­nen und Funk­tio­nä­rin­nen bis En­de 2027 zu ver­dop­peln, sagt Do­mi­nik Erb, Me­di­en­ver­ant­wort­li­cher Frau­en­fuss­ball beim SFV. Es ist ein am­bi­tio­nier­tes Vor­ha­ben. Denn vie­le Mäd­chen und Frau­en ha­ben ei­nen er­schwer­ten Zu­gang zum Fuss­ball, nur schon, weil ent­spre­chen­de Teams in vie­len Ver­ei­nen feh­len. Des­halb hat der SFV ver­schie­de­ne Pro­jek­te lan­ciert: bei «Play­makers» kom­men 5- bis 8-Jäh­ri­ge an­hand von Dis­ney-Ge­schich­ten mit Fuss­ball in Be­rüh­rung, «Dop­pel­pass» soll Mäd­chen im Schul­sport an den Fuss­ball her­an­füh­ren und ba­siert auf ei­ner Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen Schu­len und Ver­ei­nen, und ab dem nächs­ten Schul­jahr bzw. der neu­en Sai­son gibt es ei­ne Kick­start-Tool­box für Lehr­per­so­nen und Trai­ner:in­nen mit Spiel­for­men, Pra­xis­tipps oder Trai­nings­plä­nen. 

Beim «ge­sell­schaft­li­chen Ein­fluss» will der SFV Frau­en im Fuss­ball sicht- be­zie­hungs­wei­se hör­ba­rer ma­chen. Er hat in den ver­gan­ge­nen Wo­chen 15 Sta­di­on­spre­che­rin­nen aus­ge­bil­det, die künf­tig in der Meis­ter­schaft zu hö­ren sein wer­den. Acht von ih­nen wer­den be­reits an der EM im Ein­satz sein.

«Blick»-Bildreportage zu einem Hallentraining des DFC Zürich, 8. Dezember 1976.

Auch die Trai­ne­rin­nen­aus­bil­dung wur­de be­reits ver­stärkt: Seit 2024 bie­tet der SFV zu­sam­men mit den Re­gio­nal­ver­bän­den Kur­se auf Ni­veau C-Ba­sic nur für Frau­en an. «Das ist ein Be­dürf­nis – und ei­ne Er­folgs­ge­schich­te», sagt Erb. In den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren sei­en gleich vie­le Trai­ne­rin­nen aus­ge­bil­det wor­den wie in den sie­ben Jah­ren da­vor. Für Schieds­rich­te­rin­nen gibt es eben­falls spe­zi­el­le Kur­se.

Ver­ei­ne kön­nen sich aus­ser­dem für die Le­ga­cy-Chall­enge an­mel­den, aus vor­ge­ge­be­nen För­der­mass­nah­men für Mäd­chen und Frau­en aus­wäh­len, Punk­te sam­meln und Prä­mi­en ge­win­nen, von Wasch­mit­teln über Trai­nings­sets bis zu Trai­nings­la­gern oder so­gar ei­nem Team Bus für ein Jahr. Ge­mäss Erb ha­ben bis­her rund 200 Ver­ei­ne teil­ge­nom­men und über 1000 Mass­nah­men ein­ge­reicht. 

Mehr Spie­le­rin­nen brin­gen aber auch neue Her­aus­for­de­run­gen mit sich. Vie­le Ver­ei­ne ha­ben mit ei­nem Man­gel an Trai­nings­plät­zen und Trai­ner:in­nen (und zu vie­len An­mel­dun­gen) zu kämp­fen. Für neue Sport­an­la­gen fehlt in vie­len Ge­mein­den der Platz oder das Geld – oder bei­des. Aus­ser­dem ist der Bau ei­nes neu­en Trai­nings­plat­zes oft ein lan­ger Pro­zess. Der SFV will ge­mäss Erb mit ei­nem bald er­schei­nen­den Hand­buch die Ver­ei­ne da­bei un­ter­stüt­zen, ih­re In­fra­struk­tur – vor al­lem Plät­ze, aber auch Gar­de­ro­ben – bes­ser zu nut­zen, et­wa durch kür­ze­re Trai­nings oder klei­ne­re Trai­nings­fel­der. Sol­che Mass­nah­men hät­ten sich in an­de­ren Län­dern be­währt. 

«Vie­le Frau­en füh­len sich in ei­ner Frau­en­grup­pe woh­ler»

JENNIFER WYSS ist seit Mai 2024 verantwortlich für den Frauenfussball beim Ostschweizer Fussballverband (OFV), der die Kantone St.Gallen, Thurgau, beide Appenzell, Graubünden und Glarus sowie das Fürstentum Liechtenstein umfasst. Die Stelle wurde damals neu geschaffen. Die 21-Jährige weiss aus eigener Erfahrung, wo der Kickschuh im Mädchen und Frauenfussball drückt: Sie spielte für den FC St.Gallen (2019–2023) und den FC Luzern (2023) fast 100 Partien in der höchsten Spielklasse, seit Anfang 2024 ist sie für den FC Wil in der Nationalliga B aktiv. Daneben trainiert sie die U14 Mädchen des FC Wil.

Zu Wyss’ Aufgaben gehört es unter anderem, die Vereine für die Anliegen des Mädchen- und Frauenfussballs zu sensibilisieren, zu beraten und Überzeugungsarbeit zu leisten – etwa betreffend die vom SFV initiierten Optimierungen der Infrastruktur. «Als Verband können wir einiges anbieten, aber am Schluss müssen die Vereine mitmachen.»

Im OFV-Gebiet zeigt die Legacy bereits Wirkung, die Zahlen sind gestiegen: bei den Spielerinnen um rund 15 Prozent (auf über 5000), bei den Funktionärinnen um 18 Prozent (auf knapp 300) und bei den Schiedsrichterinnen um 5 Prozent (auf rund 60). Am stärksten war die Zunahme bei den Trainerinnen – um über 30 Prozent auf mehr als 400. Allein im letzten Jahr wurden so viele ausgebildet wie in den drei Jahren zuvor zusammen.

250708 Frauenfussball Lea Le Jenny Wyss

Impressionen vom Länderspiel gegen Österreich in Schaffhausen am 8. November 1970 aus einer Reportage der Fotoagentur Actualités Suisses Lausanne. 

Der Grund für die­sen star­ken An­stieg sei der 2024 erst­mals durch­ge­führ­te Kurs nur für Frau­en, sagt Wyss. Die­ses Jahr fin­den zwei wei­te­re Kur­se statt. «Wir stel­len fest, dass sich vie­le Frau­en in ei­ner rei­nen Frau­en­grup­pe woh­ler füh­len.» Hilf­reich sei aus­ser­dem, dass die­se die ehe­ma­li­ge FCSG-Trai­ne­rin Ma­ri­sa Wun­der­lin lei­tet – nicht nur we­gen ih­res rie­si­gen Know­hows, son­dern auch hin­sicht­lich der Vor­bild­funk­ti­on.

Weit­aus schwie­ri­ger sei es, neue Schieds­rich­te­rin­nen zu ge­win­nen, sagt Wyss. Ge­ra­de für jun­ge Schieds­rich­te­rin­nen sei es schwie­rig, Män­ner­spie­le zu pfei­fen und sich ge­gen­über den Spie­lern be­haup­ten zu müs­sen. Der OFV hat des­halb ei­nen «Frau­en­weg» ein­ge­führt: An­ge­hen­de Schieds­rich­te­rin­nen müs­sen neu­er­dings nicht mehr Män­ner­spie­le in un­te­ren Li­gen pfei­fen, son­dern kön­nen bis zu ei­ner ge­wis­sen Stu­fe nur Frau­en oder Mäd­chen­spie­le lei­ten. «So ho­len wir je­ne ab, die sich den Job bis­her nicht zu­ge­traut ha­ben.»

Mit den EM-Spielen erreiche man viele Leute, die sonst nicht oder wenig Fussball schauen, sagt CÉLINE BRADKE. Die 25-Jährige ist Projektleiterin der «Host City St.Gallen», wo drei Vorrundenspiele stattfinden, und somit zuständig für die Organisation und das Rahmenprogramm. Auch besuchten viele Familien mit Kindern die Partien. Das sei eine grosse Chance, sie für den Frauenfussball zu gewinnen, etwa als Besucher:innen von Spielen der Schweizer Meisterschaft. 

Sie sei überzeugt davon, dass die EM dem Mädchen- und Frauenfussball in der Region einen Schub geben werde, sagt Bradke. Denn auch die «Host City St.Gallen» hat ein Legacy-Programm, das von Stadt und Kanton mitfinanziert wird. Dieses enthält diverse Angebote. Unter anderem gibt es für Primarschülerinnen Schnuppertrainings an Schulen, zudem wird im Schulhaus Buchwald während der Mittagszeit Fussball angeboten. Im Frühling gab es Goalietrainings in St.Gallen, Henau und Chur sowie Schnupperkurse für Trainerinnen und Schiedsrichterinnen. Im Heimat-Schulhaus entsteht die «Soccerbox», ein kleines Kunstrasenspielfeld. Zudem baut die Stadt den Hauptplatz im Stadion Espenmoos, wo der Rasen während der Wintermonate jeweils wochenlang nicht bespielbar war, sowie einen Trainingsplatz im Gründenmoos zu Kunstrasenplätzen um, wodurch eine intensivere und ganzjährige Nutzung möglich sein wird. Ausserdem arbeitet sie zusammen mit acht Stadtvereinen an einer effizienteren Belegung von Plätzen und Garderoben sowie an einem nationalen Handlungsleitfaden mit. 

250708 Frauenfussball Lea Le Celine Bradke

Pu­bli­kums­an­stieg in der AWSL

Auch im Elitefussball soll die EM Wirkung zeigen. Das wichtigste Ziel ist die Stärkung der Axa Women’s Super League (AWSL). Zum einen geht es um deren Sichtbarkeit: «HighlightSpiele» würden künftig mit zusätzlichen Marketingmassnahmen gepusht, sagt DOMINIK ERB vom SFV. Ganz allgemein wolle man noch mehr «Konsument:innen» gewinnen – also nicht nur in den Stadien, sondern auch bei Liveübertragungen im TV oder auf den digitalen Kanälen bzw. in den sozialen Medien. Zum anderen hat der SFV beschlossen, eine Lizenzierung für die AWSL einzuführen, die von den Clubs höhere Standards im Bereich Infrastruktur und Spielbetrieb verlangt. Ausserdem gibt es für die AWSL und die Nationalliga B ab der Saison 2026/27 ein neues Nachwuchslabel, um mit gezielten Vorgaben die Talente besser zu fördern.

Ab der nächsten Saison müssen ausserdem alle AWSL-Clubs, die auch ein Männerteam in den obersten beiden Ligen stellen – derzeit alle zehn –, mindestens zwei Spiele pro Saison im Heimstadion der Männer austragen. Die Statistiken zeigten, dass mehr Zuschauer:innen in die grösseren Stadien kommen, sagt Erb. 

250708 Frauenfussball Lea Le Dominik Erb

«Blick»-Bildreportage zu einem Hallentraining des DFC Zürich, 8. Dezember 1976.

Nimmt man die Zu­schau­er:in­nen­zah­len als Grad­mes­ser, er­lebt die AWSL seit der Mo­dus­än­de­rung 2021/22 (Auf­sto­ckung von acht auf zehn Teams und Ein­füh­rung der Play­offs) ei­nen Boom. Die Zu­schau­er:in­nen­zah­len stie­gen seit­her von 22’200 (oder knapp 200 pro Spiel), was trotz Co­ro­na­mass­nah­men bis im Früh­ling neu­er Höchst­stand war, auf über 84’000 oder rund 700 pro Spiel in der ab­ge­lau­fe­nen Sai­son – fast das Vier­fa­che der Sai­son 2021/22 und knapp 17 Pro­zent mehr als in der Sai­son 2023/24 (72’000). Der letz­te An­stieg ist je­doch mit Vor­sicht zu in­ter­pre­tie­ren. Zum ei­nen gab es im Play­off-Fi­nal neu ein Spiel mehr (Hin- und Rück­spiel). Zum an­de­ren ent­fiel na­he­zu ein Vier­tel des To­tals auf zwei Spie­le der YB-Frau­en mit je­weils über 10’000 Zu­schau­er:in­nen, dar­un­ter das Fi­nal-Rück­spiel.

Auch beim Frau­en­team des FC St.Gal­len zeigt sich die­se po­si­ti­ve Ent­wick­lung: Ka­men 2021/22 noch ins ge­samt et­was über 2000 Zu­schau­er:in­nen an die Spie­le (Durch­schnitt: 190), wa­ren es 2024/25 rund 4400 oder durch­schnitt­lich 400, al­so mehr als dop­pelt so vie­le. Im Ver­gleich zur Vor­sai­son ver­zeich­ne­te der FCSG je­doch ei­nen Zu­schau­er:in­nen­rück­gang von fast 15 Pro­zent, ob­wohl er bei­de Ma­le in den Play­off Vier­tel­fi­nal kam. Al­ler­dings trägt das Frau­en­team in den Win­ter­mo­na­ten we­gen der Un­be­spiel­bar­keit des Plat­zes im Es­pen­moos sei­ne «Heim­spie­le» in Wil aus, was den Pu­bli­kums­auf­marsch na­tür­lich be­ein­flusst.

Do­mi­nik Erb nennt meh­re­re Grün­de für die­sen Sprung bei den Zu­schau­er:in­nen­zah­len: den Ein­stieg der Axa 2020 als Li­ga­spon­so­rin, Dop­pel­spie­le (Frau­en und Män­ner­team ei­nes Clubs nach­ein­an­der im glei­chen Sta­di­on) und Play­offs. Den­noch prü­fe der SFV der­zeit ei­ne er­neu­te Mo­dus­än­de­rung.

Kla­re Vi­sio­nen für den Frau­en­fuss­ball

So sehr die Ver­bän­de die Ent­wick­lung des Frau­en­fuss­balls vor­an­trei­ben – wenn die Clubs nicht mit­zie­hen, wird es schwie­rig, ent­schei­dend vor­wärts­zu­kom­men. Bei den gros­sen Clubs sei­en die Be­din­gun­gen heu­te viel bes­ser als noch vor ein paar Jah­ren, sagt Jen­ni­fer Wyss. Auch wenn es nur klei­ne Din­ge sei­en, die im Män­ner­fuss­ball längst selbst­ver­ständ­lich sind. «Frü­her muss­ten wir im Win­ter um Trai­nings­plät­ze kämp­fen, wenn Schnee lag, und die Trai­nings­klei­dung zu Hau­se sel­ber wa­schen.» Auch die Prä­senz auf den Club­ka­nä­len sei viel grös­ser als frü­her. 

Dennoch: In vielen Vereinen gebe es noch Entwicklungspotenzial, sagt Dominik Erb, sei es personeller, struktureller, infrastruktureller oder finanzieller Art. Nur schon professionelle Trainings seien nicht überall uneingeschränkt möglich. 

In dieselbe Kerbe schlägt PATRICIA WILLI, Co-Sportchefin des Frauenteams des FC St.Gallen. Sie fordert von den Fussballclubs klare Visionen für ihre Frauenteams. Das gelte auch für den FCSG. Dieser habe in den vergangenen Jahren viel in den Frauenfussball investiert. Doch wenn in einem Jahr der Businessplan für die erste Equipe ausläuft, brauche es eine klare strategische Ausrichtung, auch im Sinne eines Bekenntnisses zum Frauenfussball. «Ich wünsche mir, dass wir allen unseren Spielerinnen Verträge als Nicht-Amateurinnen geben können und sie genügend Lohn bekommen, um nebst ihrem Job oder der Ausbildung den Fokus auf den Fussball legen zu können.» 

Ähnlich argumentiert Céline Bradke, die ebenfalls einst für den FC St.Gallen auflief (2018—2021) und seit 2024 beim FC Staad in der 1. Liga (dritthöchste Spielklasse) spielt. Für sie ist es zentral, dass die Clubs ein offenes Ohr für diese Bedürfnisse haben – und entsprechend handeln. «Für Frauenfussball muss man kämpfen», ist sie überzeugt.

250708 Frauenfussball Lea Le Patricia Willi

Pro­fes­sio­na­li­sie­rung nimmt zu, Löh­ne sta­gnie­ren

Ei­nes der Haupt­pro­ble­me bei der Pro­fes­sio­na­li­sie­rung des Eli­te­fuss­balls ist, dass die Ent­löh­nung der Spie­le­rin­nen im­mer noch auf ei­nem sehr tie­fen Ni­veau ist. Et­wa die Hälf­te der Spie­le­rin­nen in der AWSL sind ge­mäss Do­mi­nik Erb Nicht-Ama­teu­rin­nen, ver­die­nen al­so mehr als 500 Fran­ken pro Mo­nat. Pa­tri­cia Wil­li schätzt, dass der Gross­teil von ih­nen zwi­schen 500 und 1500 Fran­ken pro Mo­nat be­kommt. «Wenn wir von Pro­fes­sio­na­li­sie­rung re­den, muss es mög­lich sein, ei­ner ge­stan­de­nen Spie­le­rin 2500 bis 3000 Fran­ken zu be­zah­len.» Das rei­che zwar nicht, um vom Fuss­ball zu le­ben, wür­de den Spie­le­rin­nen aber im­mer­hin die Mög­lich­keit ge­ben, im «rich­ti­gen» Job das Pen­sum zu re­du­zie­ren. Noch ex­tre­mer ist es in der Na­tio­nal­li­ga B: Für die meis­ten Spie­le­rin­nen gibt es gar kei­ne Ent­schä­di­gung. Bis zur In­te­gra­ti­on des Frau­en­teams in die AG im ver­gan­ge­nen Som­mer muss­ten die Spie­le­rin­nen des FC Wil so­gar ei­nen Ver­eins­bei­trag zah­len, um spie­len zu dür­fen. Da­mit war der Klub bis heu­te kein Ein­zel­fall, son­dern die Re­gel.

Das hat zur Fol­ge, dass prak­tisch al­le AWSL-Spie­le­rin­nen ei­ner Ar­beit nach­ge­hen, oft in ei­nem ho­hen Teil­zeit­pen­sum. Zwi­schen Job, Trai­nings, Meis­ter­schafts­spie­len und an­de­ren Ver­pflich­tun­gen bleibt ih­nen kaum Zeit für die Re­ge­ne­ra­ti­on, was ih­re Leis­tungs­fä­hig­keit min­dert und das Ver­let­zungs­ri­si­ko er­höht. Wenn ein Club Mor­gen- oder Nach­mit­tags­trai­nings an­setzt, kön­nen vie­le nicht dar­an teil­neh­men, weil sie ar­bei­ten müs­sen – und ei­ne Re­duk­ti­on des Pen­sums kön­nen sie sich nicht leis­ten. «Wir müs­sen da­hin kom­men, ih­nen den Job, den sie ab dem Nach­mit­tag auf dem Trai­nings­platz ver­rich­ten, zu ver­gü­ten wie ih­ren rich­ti­gen Job», sagt Wil­li. Wenn die stei­gen­de sport­li­che Be­las­tung nicht ho­no­riert wer­de, dro­he ein Rück­zug vom Fuss­ball.

Auch Jen­ni­fer Wyss sagt, sie ha­be sich be­wusst für den Schritt von der AWSL in die Na­tio­nal­li­ga B ent­schie­den: «Ich in­ves­tier­te im­mer sehr viel in den Fuss­ball, aber ir­gend­wann be­kam ich nicht mehr gleich viel zu­rück.» Da­mit meint sie nicht nur Geld, son­dern in ers­ter Li­nie die Freu­de am Spiel. Beim FC Wil be­kom­me sie zwar kein Geld, da­für sei auch der Auf­wand ge­rin­ger. In der AWSL wür­den die meis­ten Spie­le­rin­nen vie­les zu­rück­stel­len, um ih­ren Traum, der letzt­lich doch nur ein Hob­by sei, le­ben zu kön­nen.

Pa­tri­cia Wil­li, Jen­ni­fer Wyss und Cé­li­ne Brad­ke wün­schen sich, dass Fuss­bal­le­rin­nen end­lich mehr An­er­ken­nung be­kom­men. Sie sind sich aber ei­nig, dass es wohl noch lan­ge dau­ern wird, bis sie vom Fuss­ball­spie­len le­ben kön­nen: «Uns muss klar sein: In der Schweiz wer­den Frau­en auch in den nächs­ten Jah­ren nicht des Gel­des we­gen tschutten», sagt Wyss.

Dar­an wird auch der Schub durch die EM nichts än­dern. Aber wenn al­le mit­zie­hen, kann die­se zum Start­schuss für ei­ne neue Ära wer­den.


Die Il­lus­tra­tio­nen sind von LEA LE. Die Bil­der stam­men aus dem Buch Das Recht zu ki­cken – Die Ge­schich­te des Schwei­zer Frau­en­fuss­balls.

Das EM-Rahmenprogramm in St.Gallen

St.Gal­len ist ei­ne von acht Städ­ten, in de­nen die Fuss­ball-EM der Frau­en statt­fin­det. Vom EM-Start am 2. Ju­li bis zum 13. Ju­li ent­steht des­halb in der Markt­gas­se ei­ne Fan­zo­ne. Dort gibt es täg­lich (aus­ser am 6. Ju­li) am Mit­tag Talks zu Frau­en­fuss­ball oder zu Leis­tungs­sport, am Nach­mit­tag ein Spiel­pro­gramm und am Abend Live­mu­sik. 

Das Tex­til­mu­se­um zeigt vom 2. bis 27. Ju­li die Son­der­aus­stel­lung «Dres­sed to Win – Wo­men, Foot­ball & Tex­ti­les». Zu se­hen sind Tri­kots, wel­che «die sport­li­che Leis­tung von Fuss­bal­le­rin­nen wür­di­gen» – vie­le da­von mit di­rek­tem Be­zug zu St.Gal­len. 

An meh­re­ren Ta­gen fin­det die Stadt­füh­rung «St.Gal­ler Zeit­rei­se mit Ball­ge­fühl» zur Ge­schich­te der Stadt St.Gal­len und des Fuss­balls in der Re­gi­on statt. 

Im Waag­haus gibt es ein Pu­blic Vie­w­ing meh­re­rer Grup­pen­spie­le und al­ler Fi­nal­spie­le. (dag)