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Erinnerungen an Urs Bürki
Lehrer, Designer und Lebenskünstler Urs Bürki (1950–2024) ist im Juni in seinen Italienferien überraschend verstorben. Erinnerungen von Freund:innen und Bekannten.
Anzukommen bei einem Freund
Noch einmal diese Vorfreude beim Einsteigen ins Trogenerbähnli am Spisertor.
Die Vorfreude beim Schülerhaus. Darauf, ein paar leichtere Geschichten aus unseren Ärmeln zu schütteln.
Noch einmal diese Vorfreude bei der Notkersegg. Zu essen, zu trinken, uns schöne Fragen zu stellen.
Beim Schwarzen Bären. Zusammen auf der Terrasse zu sitzen und den eindunkelnden Himmel zu studieren.
Noch einmal diese Vorfreude beim Aussteigen in der Vögelinsegg.
Noch einmal.
Diese Freude.
Anzukommen bei einem Freund.
Einmal sah ich dich von weitem vor dem Haus sitzen. Oben. Am Hang.
Du schautest in die Ferne.
Adrian Riklin, 1967, WOZ-Redaktor
Urs Bürki nie mehr zu hören oder zu sehen, nicht mehr mit ihm lachen oder lamentieren zu können, keine Möglichkeit mehr zu haben, ihm unvermittelt zu begegnen oder sich mit ihm zu verabre- den, ist schwer vorstellbar und macht unendlich traurig. Ich habe Urs für sehr vieles geschätzt: für seine ansteckende Lebensfreude und seinen verschmitzten Humor, seine unbändige Neugierde und seinen produktiven Gestaltungswillen, seinen Eigensinn und seine Offenheit, seine Zugewandtheit und seine Autonomie – und ganz besonders für seine radikale Ehrlichkeit. Er sagte, was er dachte, und verfolgte, was ihm wichtig war. Darauf war Verlass. Entsprechend habe ich seine Meinung geschätzt – auch wenn sie mir nicht immer gelegen kam. Mit einer ihm eigenen Selbstverständlichkeit hat er seine Erfahrungen und Kenntnisse geteilt, hat andere über Jahre mit Ideen, Rat und Tat begleitet, beraten, gefördert – und so vielen und für vieles den Weg geebnet. Es ist tröstlich zu wissen, dass Urs Bürki in vielen Erinnerungen und mit seiner reichen und verzweigten «Erbschaft» lebendig bleibt.
Margrit Bürer, 1955, ehemalige Leiterin Amt für Kultur Appenzell Ausserrhoden
Ich habe Urs vor rund 20 Jahren an der «Blickfang Zürich» kennengelernt, wo er mit Begeisterung seine hochwertigen Designobjekte verkaufte. Sofort war klar, dass es ihm Freude machte, mit den Leuten nicht nur ins Geschäft, sondern auch ins Gespräch zu kommen. In der Folge entwickelte sich zwischen uns eine angeregte Freund- und Partnerschaft in Sachen Design: Urs lud mich 2006 ein, auf dem Zarava-Stand an der «Blickfang Tokyo» auszustellen, und er lieferte wichtige Impulse für die Realisierung des Zoid-Hockers, der 2018 mit dem Masterpiece Award des FormForum Schweiz ausgezeichnet wurde. Dazwischen durfte ich ihn mehrfach bei Projekten beraten und unterstützen und als engagierten Workshopteilnehmer an der ETH Zürich begrüssen. Als Autodidakt war Urs sehr neugierig und ein leidenschaftlicher, kreativer Problemlöser. Bei seinen Arbeiten war oft ein «Trick» im Spiel, eine Erfindung oder eine Entdeckung, wie zum Beispiel die ultrastarken Magnete der Kerzenschienen, die ganz nebenbei zum Spielen einladen. Urs war gut darin, das gestalterische Potential von Prozessen und Materialien zu erkennen und dieses mit einem Augenzwinkern in ein Objekt zu verwandeln: aus einem Silodeckel wurde eine massive Edelstahlschale, aus U-Boot-Glas eine subtile Vase. Mit sportlichem Ehrgeiz arbeitete er an der Reduktion – mit wie wenig geht es? Beim unkonventionellen Hochstapler-Papiersammler sind es nur zwei Elemente. Urs beschäftigte sich mit unterschiedlichsten Objektkategorien, er war experimentierfreudig und nutzte seinen reichhaltigen Erfahrungsfundus als Naturwissenschaftler und Sportpädagoge: Der Federhocker lädt spielerisch zum bewegten, rückenfreundlichen Sitzen, der Kegeldekanter kreiselt poetisch über das weisse Tischtuch. Viel zu früh ist Urs gegangen! Ich vermisse einen lieben Freund mit einem grosszügigen, wachen Geist und einem grossen Herzen.
Yves Ebnöther, 1974, Industriedesigner in Zürich
U.B.
Jetzt hab‘ ich ein Tattoo in mein Herz getrommelt.
Das tut weh, aber es ist auch sehr schön.
Urs lacht, sein verschmitztes Lächeln,
und er sagt vielleicht: das hat sie jetzt davon.
Barbara Auer, 1956, ehemalige Präsidentin der Ausserrhoder Kulturstiftung
Wir kannten uns nicht gut. Es hat ihn belustigt, dass ich mir seinen Namen nicht merken konnte. Ausgerechnet! Am Namen kann das nicht gelegen haben. Mir war es unangenehm. Es war ein Bild für meine Zerstreutheit seiner Person gegenüber. Sein Lachen hat mich jeweils entschuldigt. Ich konnte Urs Bürki nicht fassen. Wer ist das? Das Spektrum seiner Interessen und Beschäftigungen hat mich irritiert und mich dünkt, diese Irritation hat ihm gefallen, auch geschmeichelt: Ein Sport- und Geografielehrer, der sich als Designer versteht – wie geht das? Über Design haben wir kaum gesprochen, doch sein Hang zum Praktischen, der sich etwa in der Erfindung der «Hochstapler» manifestierte, hat mir gefallen. Das Beigen als pragmatisches Ordnungsprinzip, das bei mir eine lebenslange, wackelige Konstante bildet, würde mit seinem schlauen schiefen Designprodukt ein stabileres System werden. Ich verzichtete darauf. Verbunden hat uns die Zuneigung zum afrikanischen Kontinent – er liebte Sansibar, ich erzählte von Simbabwe, wie ich dort zu erkennen glaubte, worauf es wirklich ankommt, und dass sich dies hier verflüchtigen kann. Im Gespräch mit Urs ist das Gefühl für Wesentliches wie Langeweile wieder aufgetaucht.
Ursula Badrutt, 1961, freie Kunstkritikerin und Autorin in Herisau
Wundervoll, inspirierende Energie – die Klarheit! Vom ersten Moment bis zum letzten – klar, fadegrad, präzis, wertvoll, kritisch, mutig, ermutigend, warmherzig. Urs habe ich an der Aufnahmeprüfung in das dritte Semester zur Interstaatlichen Maturitätsschule für Erwachsene (ISME) kennengelernt. Ein paar Jahre später, kurz vor der Abschlussprüfung hat Urs einen Zeitpunkt gewählt – und mich konfrontiert. Die Message war ernst und klar: Jetzt fokussieren, lieber Gallus, alle Projekte, Ideen und Tätigkeiten sofort auf Eis legen und endlich den ISME-Abschluss an Land ziehen. Danach tanzen wir weiter. Neugierig! Meinen Mitstudierenden ratend, der Urs’ Einladung zu einem Nachtessen zu folgen, an seinen Schaffensplatz, in sein Zuhause, das Atelier im Speicher. Amigas y Amigos! Wer dieser Einladung nicht folgt, verpasst womöglich die beste Erfahrung in dieser Weiterbildung. Etwa die Hälfte der Klasse kam. – Ja, Urs hat polarisiert – grossartig! Die daraufhin folgenden Einladungen, Momente und Begegnungen begleiten mich. Urs hat seine Zeit grossartig eingesetzt, geteilt und gefeiert. Grossartiger Kerl – mich hast du in der Lebensschule begleitet. (In Erinnerung geschrieben am Tisch I, Serie «U».)
Gallus Knechtle, 1984, Gastrounternehmer
Im April 2015 hat die Ausserrhodische Kulturstiftung eine Gruppenausstellung gemacht, darunter war auch Urs. Plötzlich konnte ich eine frühere Erinnerung zuordnen: Im St.Galler Erst-Stock-Restaurant «Schwarzer Adler» sind Florian und ich früher öfters Essen gegangen. In der kleinen, 50er-Jahre-Charme versprühenden Gaststube standen auf den kleinen Tischen grosse, flache Glasgefässe, gefüllt mit einer transparenten Brennflüssigkeit, die den Docht in der Mitte nährte. Solche Dinge forderten ihren Raum ein, den man ihnen gerne gönnte, die Teller mit den wunderbaren Speisen hatten schon noch irgendwie Platz. Wenn dann noch roter Wein geordert wurde, kam der in einer speziellen Karaffe: Urs’ Nobile, das ich an der Ausstellung 2015 wiedererkannte. Die Karaffe erinnert an einen grossen Kreisel. Die Freude, die sein Anblick auslöst, war immer mit der Angst verbunden, dass diese demnächst vom Tisch rollt oder mit etwas zusammenstösst. Es galt bei der Positionierung den möglichen Bewegungsradius mit zu berücksichtigen, was an sich nicht so schwer ist, auch wenn der kreiselnd geschwenkte Inhalt nach dem Genuss das erforderliche Berechnungsvermögen herabsetzt und dafür umso mehr zum physischen Experiment herausfordert. «Hör auf zu spielen damit!» Das Worst-Case-Scenario einer Kollision mit den flachen Leuchtern ist mir zum Glück nie passiert. Zuhause habe ich auch eine solche Karaffe. Ich verwende sie gerne und denke dabei an das dosierte, aber verschmitzte Lachen von Urs. Vermutlich würden ihn diese kreisenden Gedanken freuen und er sähe seine Gestaltung ihrem Zweck zugeführt.
Ueli Vogt, 1965, Gärtner, Architekt, Kurator